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Moslembrüder vor den Scherben ihres Blocks mit der Junta

Generäle opfern Mubaraks rechte Hand, um aussichtsreiche Islamisten loszuwerden


21. April 2012
von Wilhelm Langthaler

Im Countdown um die Präsidentenwahl am Nil folgt ein Paukenschlag auf den anderen.


Entgegen ihren ursprünglichen Ankündigungen hatten die Muslimbrüder Ende März doch noch einen Kandidaten für die Präsidentenwahl nominiert, nämlich den millionenschweren Geschäftsmann Khairat el Shater, der dem reaktionärsten Flügel der Bewegung angehört.

Darauf folgte Omar Suleiman, der oberste Folterknecht Mubaraks und von ihm eigenhändig nominierte Nachfolger, seine Kandidatur bekannt zu geben.

Zwischenzeitlich hatte die Justiz die Verfassungskommission als nicht repräsentativ aufgelöst, die die diversen Islamisten mit Hilfe ihrer parlamentarischen Mehrheit unter ihre Fittiche gebracht hatten. Alle anderen Kräfte hatten sich bereits aus Protest aus der Kommission zurückgezogen.

Und dann folgte die Wahlkommission mit dem Ausschluss von zehn Kandidaten, unter ihnen die größten Tiere, Suleiman selbst, el Shater und der populistische Salafist Hazem Abu Ismail.

Am Freitag, den 13. April, hatten die Moslembrüder und die salafistische Tendenz Abu Ismails das erste Mal seit vielen Monaten zum Tahrir gerufen. Die Linke lehnte es ab, nun auf der Seite jener zu stehen, die bisher mit dem Militärs unter einer Decke gesteckt hatten. Sie riefen indes für den darauf folgenden Freitag, den 20. April, zum Tahrir. Muslimbrüder und Salafisten schlossen sich an (auch wenn gegen den Willen beträchtlicher Teile der Tahrir-Aktivisten). Seit den Tagen des Umsturzes war es das erste Mal, dass Muslimbrüder und Linke wieder gemeinsam zum Tahrir mobilisierten. Doch mit sieben unterschiedlichen Bühnen wurden mehr die Differenzen als die Gemeinsamkeiten zum Ausdruck gebracht.

Gescheiterter Testballon der Generäle mit Nebennutzung

Wenn jemand Symbolfigur des alten Regimes ist, dann Omar Suleiman. Ihn als Kandidaten aufzustellen, wurde als unerhörte Provokation gegen die Revolution verstanden. Dementsprechend stürmisch waren die Reaktionen. Das bisher nichtsnutze, machtlose, von den Moslembrüder kontrollierte Parlament verabschiedete ein Gesetz, dass das Antreten von Figuren des alten Regimes zur Präsidentschaftswahl untersagt. Viel wichtiger noch, es drohten neue, große Mobilisierungen, dem sich auch das islamistische Milieu nicht entziehen würde können.

Die Militärs zogen die Bremse und ließen die Wahlkommission Suleiman vom Urnengang ausschließen. Doch nicht nur ihn, sondern gleichzeitig mit ihm auch die zwei wichtigsten islamistischen Kandidaten, nämlich jenen der Muslimbrüder und jenen der Salafisten. Wenn sie sich mit diesem Zug nicht selbst geschwächt hätten, wäre man geneigt anzunehmen, dass die Militärs Suleiman von Anfang an als Gambit ins Rennen geschickt haben.

Immerhin schafften sie sich so ihre wichtigsten Rivalen vom Leib und haben mit Amr Mousa noch einen Kandidaten im Rennen, der damit auch etwas vom alten Regime abgesetzt werden konnte. Er wird mit der Karte spielen, die auch Suleiman zu benutzen versuchte: Sicherheit, Stabilität und Schutz vor den Islamisten.

Moslembrüder in der Zwickmühle

Im Herbst noch konnten die Moslembrüder gegen die Straßenproteste des Tahrir einen Erdrutschsieg zum Parlament einfahren. Die Revolutionäre argumentierten, dass ein Parlament unter der Herrschaft der Militärs reine Staffage sei und nur der Fortsetzung ihrer Herrschaft diente. Daher forderten sie zuerst den Rücktritt des Militärrates und dann Wahlen, denn nur dann hätten solche frei sein können. Doch die passive Mehrheit wünschte sich Wahlen, egal zu welchen Bedingungen. Die Moslembrüder verkauften ihren Wahlsieg als einen Schritt zum sanften Übergang hin zu einem zivilen Staat.

Tatsächlich haben sich die Warnungen der Tahrir-Leute bestätigt. Die Kooperation der Moslembrüder mit den Generälen hat letzteren Herrschaft stabilisiert. Bedeutende Teile der Wählerschaft der Moslembrüder beginnen das zu verstehen und wenden sich ab, denn auch sie wollen die alten Mubarak-Leute endlich los haben.

Wohin das Stillhalten der Muslimbrüder und ihr Block mit der Junta führen, zeigt sich an den technischen Details des Ausschlusses von el Shater. Er gilt nämlich als vorbestraft, weil er unter Mubarak ein politischer Häftling war. Das hat man davon, denn man die Massen demobilisiert und auf der Basis des alten Systems für die Elite möglichst schmerzlose Reformen anstrebt. Die Moslembrüder haben in ihrem Eifer nach Machtbeteiligung verabsäumt, selbst minimale Reformen wie etwa die Rehabilitierung der Mubarak-Opfer und die Abschaffung repressiver Gesetze zu fordern. Genau diese unveränderte Gesetzeslage half den Militärs in ihrer Gegenoffensive.

Der Gegenwind bläst den Moslembrüdern aber nicht nur von Militärs und Linken ins Gesicht, sondern auch aus dem islamistischen Milieu selbst, insbesondere von den diversen salafistischen Gruppen. Die hatten mit ihrem Kandidaten Abu Ismail eine Figur im Rennen, die besonders unter den Ärmsten großen Anklang fand. Auch sie befinden sich nun auf der Straße gegen den Militärrat und wollen sich nicht unter die Führung der Moslembrüder begeben.

Wollen die Moslembrüder ihre zentrale Stellung nicht gänzlich verlieren, müssen sie sich an der Massenbewegung beteiligen, sich zumindest nicht mehr so frontal gegen sie stellen und damit auch das De-facto-Bündnis mit der Junta lockern – sonst kommen andere Islamisten und auch der Tahrir könnte wachsen.

Was die Wahlen betrifft haben sie noch den Vorsitzenden ihrer Partei Freiheit und Gerechtigkeit, Mohamed Mursi, im Rennen, der allerdings als wenig populär gilt und dem daher wenig Chancen auf einen Wahlerfolg eingeräumt werden. Eine andere Möglichkeit wäre im letzten Moment den aus ihren Reihen ausgeschlossenen, liberaleren und dem Tahrir näher stehenden Kandidaten, Abdel Moneim Aboul Fotouh, doch noch zu unterstützen. Doch auch das könnte als Teilniederlage interpretiert werden.

Wie man es dreht und wendet, die Muslimbrüder werden für ihre Politik der Kooperation mit den Militärs gegen die demokratische Bewegung eine erste Teilrechnung begleichen müssen. Das heißt aber nicht, dass sie damit schon am Ende wären. Dazu sind ihre Verwurzelung und ihr politisches Kapital zu groß. Von ihnen dürfen daher noch so einige Wendungen zu erwarten sein. Die jüngste ist die Beteiligung an den gegenwärtigen Demonstrationen.

Revolutionäre Bewegung nicht erkaltet

Der heftige Sturm, der die Kandidatur Suleimans auslöste und letztlich die Muslimbrüder zur Aufweichung ihres Blocks mit der Junta zwang, zeigt, dass die demokratische Volksbewegung noch lange nicht am Ende ist. In der Demonstration vom 20. April wurde nicht nur gegen Suleiman, Mousa und anderen Regime-Leute geschrieen, sondern auch der Rücktritt des SCAF gefordert – in Anknüpfung an die Bewegung vor des Parlamentswahlen im Herbst. Aber auch die Verfassungsgebende Versammlung war Thema. Viele skandierten für ihre Bestellung nicht durch das Parlament, sondern per Volkswahl. Auch das richtet sich nicht nur gegen die Militärs, sondern auch gegen die Muslimbrüder, die die Bedingungen der Junta akzeptiert hatten, da sie sich im Vorteil wähnten.

Die Forderung der Demonstranten lautet gegenwärtig daher ganz im Sinne des Tahrir: Nieder mit dem SCAF, zuerst eine neue Verfassung am beste durch Wahlen und dann erst kann sinnvoll über die Präsidentschaft entschieden werden.

Von den Präsidentschaftswahlen hat die Volksbewegung indes wenig zu erwarten, sollten sie nun überhaupt stattfinden. Doch sie zeigt auch die Schwierigkeiten des fragilen Blocks Militärs-Muslimbrüder. Es ist durchaus möglich, dass weder Mousa noch Mursi den Sieg davontragen, sondern eventuell Fotouh. Er ist dem Tahrir bis zu einem gewissen Grad in der Pflicht. Das heißt nicht, dass er nicht ins System gezwungen werden kann, aber die Unkosten dafür wären höher. Sein Erfolg wäre für die Bewegung sicher kein schlechtes Zeichen. Aber auch der Kandidat der historischen Linken, der Nasserist Hamdeen Sabahi, ist für einen Achtungserfolg gut.

Von einem „Islamischen Winter“ oder gar von der glatten Fortsetzung der Herrschaft der USA kann also nicht die Rede sein. Das Spiel ist gänzlich offen und es stehen noch viele Runden vor uns.

20. April 2012

Interview mit Mohamed Wakid, einem führenden Tahrir-Aktivisten, in englisch vom Februar 2012 über die Rolle der Muslimbrüder.

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