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Globaler Marsch auf Jerusalem im Schlagschatten des syrischen Bürgerkriegs

25. April 2012
von Leo Gabriel*)

„Am 30. März 2012 werden wir, von allen Kontinenten kommend, uns an der palästinensischen Grenze mit Jordanien, Ägypten, Syrien und dem Libanon einfinden und uns zu einem friedlichen Marsch nach Jerusalem vereinigen,“ stand kurz nach Weihnachten in dem internationalen Aufruf zum Global March on Jerusalem, dessen erklärtes Ziel es war, „den arabischen Frühling nach Jerusalem zu bringen.“


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Diese zunächst etwas schräg anmutende Idee, Jerusalem zum virtuellen Konvergenzpunkt eines politischen Kräfteparallelogramms zu machen, war ursprünglich in den Köpfen einer Gruppe von AktivistInnen unter der Leitung von Feroze Mithiborwala aus Indien entstanden. Feroze war und ist ein namhafter Aktivist des Weltsozialforums, der schon seit einigen Jahren eine Rolle in der internationalen Palästina-Solidaritätsbewegung gespielt hat.

Stolpersteine auf dem Weg nach Jerusalem

Bereits im Vorfeld hatten sich verschiedene interne Konflikte, welche die Bewegungen der Palästinenser und rund um die Palästina-Solidarität schon seit langem charakterisiert haben, als Stolpersteine auf dem relativ kurzfristigen Marsch auf Jerusalem entpuppt:

· Da gab es zum einen das Misstrauen zwischen Fatah und Hamas, das trotz der jüngst deklarierten Einigung nach wie vor bestand. Obwohl die Fatah dem Projekt von Anfang an positiv (oder zumindest nicht negativ) gegenüberstand, befürchtete diese, dass Hamas den GMJ als Propagandaaktion für die anstehenden (wenn auch nicht bevorstehenden) Wahlen in den Palästinensergebieten ausnützen könnte.

· Andererseits spielte die religiöse Fraktionierung zwischen den von der libanesischen Hezbollah und den Iranern unterstützten Schiiten und den eher sunnitisch orientierten Kräften in Ägypten und Jordanien eine gewisse Rolle.

· Und schließlich kam dazu der Umstand, dass die linken Kräfte, die sich in einem eigenen internationalen Koordinationskommittee zusammengeschlossen hatten (in dem der deutschen Solibewegung neben den ItalienerInnen und den US-AmerikanerInnen eine tragende Rolle zukam), ernsthafte Bedenken gegen die anfänglich ziemlich stark artikulierte, religiös-islamische (wenngleich auch nicht islamistisch) gefärbte Sprache angemeldet hatten, eine Diskussion, die einen äußerst positiven Einfluss auf die innere Homogenisierung der Bewegung um den Globalen Marsch hatte.

Geburt einer historischen Allianz

Als sich dann Ende März, wie geplant, die Delegationen der verschiedenen am Projekt beteiligten Organisationen und Bewegungen in den Hauptstädten Amman, Beirut und Kairo zusammenfanden, waren diese anfänglichen Schwierigkeiten größtenteils überwunden: innerhalb der Fatah hatten sich jene Kräfte durchgesetzt, die auch der von der Hamas großteils befürworteten so genannten Einstaatenlösung immer mehr abgewinnen konnten; und auch die schiitischen Kräfte hielten ihre religiöse Sprache im Zaum und nahmen sich im Rahmen der internationalen Koordination stark zurück.

Wenngleich jeder und jede der am GMJ beteiligten AktivistInnen ganz genau wusste, dass es – ähnlich wie bei der Gaza-Flotte im Juli dieses Jahres – völlig ausgeschlossen war, auch nur einen Fuß auf jenes Territorium zu setzen, das die einen als das „Heilige Land“ und die anderen als „von den Zionisten besetze Gebiete“ ansahen, waren endlich die politischen Voraussetzungen gegeben, um diese Kampagne „für die Befreiung von Jerusalem von der politisch-militärischen Vorherrschaft Israels und für die Festschreibung eines interkulturellen Statuts an der Wiege der drei großen Weltreligionen“, zu einem weltweiten Erfolg zu machen. Denn schließlich waren an dieser politischen Allianz nicht nur die wichtigsten Palästinenserorganisationen unter Einschluss von Fatah, Hamas und PFLP sowie die maßgeblichsten Kräfte im linken Spektrum des arabischen Raums beteiligt, sondern auch namhafte VertreterInnen der Gaza-Schiffsinitiative und der Palästina-Solidarität in Europa, Nordamerika und Asien; letztere hatten sogar ein eigenes Schiff mit FriedensaktivistInnen aus Indien, Indonesien und dem Iran entsandt.

Von der Angst der Wirte

Doch diese breite und in gewisser Weise sogar historische Allianz mit den PalästinenserInnen an ihrem traditionellen „Tag des Bodens“, die am 30. März auch im Westjordanland und in Gaza zu heftigen Zusammenstößen bei verschiedenen Check Points (mit einem Toten in Gaza und an die 100 Verletzte, darunter auch Mustafa Barghuthi) geführt hat, hatte dir Rechnung ohne die Wirte gemacht. So unterbanden z.B. in Ägypten nicht nur die nach wie vor vorherrschende Armee, sondern auch die politisch stärkste Kraft des Landes, die Muslim Brothers, diesen Vorstoß der linken Kräfte, sodass sich am Tahir-Platz schließlich nur einige Hundert DemonstrantInnen einfinden konnten – sehr im Unterschied zu Jordanien, wo unter aktiver Beteiligung der Muslims an die 50 000 DemonstrantInnen unweit der israelischen Grenze aufmarschiert waren.

Am komplexesten war die Lage im Libanon. Denn dort hatten sich die schiitische Hezbollah in Zusammenarbeit mit den Palästinenserorganisationen dazu entschlossen, dem libanesischen Kommitee das Heft aus der Hand zu nehmen und die geplanten Märsche in den Süden zur libanesisch-israelischen Grenze elegant, aber bestimmt „umzuleiten“. Anstelle der geplanten Massendemonstrationen an der Grenze, welche auch viele der über 100 000 palästinensischen Flüchtlinge aus den Lagern hätte einschließen sollen, beschränkte sich das Triumvirat Hezbollah-Hamas-Fatah darauf, eine feierliche, von kämpferischen Reden gespickte Kundgebung rund um die historische Ruine des Schlosses Beaufort abzuhalten, an der auch einige mit einem Transparent bewaffnete Rabbiner teilnahmen, auf dem geschrieben stand: „Judaism rejects Zionism!“ (Das Judentum ist gegen den Zionismus). Einige besonders kämpferische Jugendliche versuchten zwar, den Stacheldrahtzaun um das Schloss zu umgehen, um zur israelischen Grenze zu gelangen, wurden aber bald von Einheiten der libanesischen Armee zurückgepfiffen.

Syrische Schlagschatten

Was da wirklich passiert war erfuhr man aus inoffiziellen Quellen erst hinterher. Es stellte sich nämlich heraus, dass gerade jene Kräfte, die in der Vergangenheit immer als die radikalsten und kompromisslosesten Gegner Israels aufgetreten waren, auf Grund des Konflikts in Syrien zum Rückzug geblasen hatten. Hezbollah und Hamas hatten einfach Angst davor, dass eine Konfrontation mit Israel in diesem Moment, da der von ihnen unterstützte Bashir al Assad sowohl innen- als auch außenpolitisch in die Enge getrieben war, zum Ausbruch eines offenen Bürgerkriegs führen könnte, den neben Saudi-Arabien und den USA auch Israel auf mehr oder minder direkte Weise unterstützen könnte.

Diese Interpretation wurde auch durch jene Syrer im Libanon bestätigt, die weder auf der Seite Assads stehen, noch eine bewaffnete Intervention mit westlicher Unterstützung wie der sogenannte Sirian National Council (SNC – Syrischer Nationalrat) befürworten, sondern dem parteiunabhängigen Vorkämpfer für die Demokratisierung Syriens, Michel Kilo, nahestehen.

Wie dem immer auch sei: die komplexe Geschichte rund um den Global March on Jerusalem, dem es gelungen ist, eine zukunftsträchtige Allianz zu bilden, zeigt, wie sehr der Kampf der PalästinenserInnen um ihr Recht auf Selbstbestimmung ins Schlepptau des Stellvertreterkrieges in Syrien geraten ist, für den es einfach keine militärische Lösung geben kann, die den Ansprüchen auf Frieden und Gerechtigkeit im arabischen Raum gerecht würde.

*) Dr. Leo Gabriel ist Journalist, Anthropologe und Filmemacher in Wien, Friedensaktivist und Mitglied des Internationalen Rates des Weltsozialforums. Als international anerkannter Lateinamerika-Experte veröffentlichte er kürzlich: Lateinamerikas Demokratien im Umbruch, Mandelbaum Verlag, 2011.

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