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„Zerfällt“ die Währungsunion?

Folgen eines griechischen Austritts aus der Eurozone


23. Juni 2012
Von A.F.Reiterer

Gegen linke Krisen-Rhetorik und für eine nüchterne Analyse


(0) „Ökonomische“ und „politische“ Abläufe zu unterscheiden, ist stets höchst gefährlich: zu sehr sind sie in der Gegenwart verflochten. Doch ist dies auch immer wieder notwendig. Aber es muss gut überlegt werden. In der Ökonomie geht es unmittelbar um die Abläufe in Produktion und Verteilung der Lebens-Ressourcen, sozusagen um die „Primärverteilung“; um Gewinn und Verlust. Politik hat hingegen für die Gestaltung des allgemein-gesellschaftlichen Rahmens zu sorgen, und darüber hinaus für vieles Andere. Politik greift stets auch in den Verteilungsprozess ein, im Sinn einer „Sekundär“- oder Umverteilung, damit das System möglichst rund läuft. Aber es sind Entscheidungen einer anderen Art und sie werden auch auf andere Weise legitimiert. Und dabei gibt es immer Alternativen. Nie ist eine Entwicklung mit Notwendigkeit vorgezeichnet.

(1) Die Debatte um den Euro, um Griechenland und die Finanzkrise steckt voller journalistischer und undurchdachter Schlagwörter. Und diese werden nicht selten auch von der Linken aufgegriffen. „Die Eurozone zerfällt.“ Was heißt das? Selbst wenn Griechenland, Portugal und Spanien aus der Währungsunion austreten müssten, zerfällt dadurch keineswegs die Eurozone. Für Österreich etwa wird sie ihren politischen Schaden weiter voll entfalten können – es sei denn, die hiesige Bevölkerung steht dagegen aktiv auf!

(2) Bricht Griechenland aus der Eurozone weg, so passiert für die anderen Wirtschaften ökonomisch zunächst (fast) gar nichts. Auch bei Portugal wäre es nicht anders. Und selbst bei Spanien wären die ökonomischen Auswirkungen für die Anderen begrenzt.

(3) Anders steht es um die politischen Auswirkungen. Der Euro war von Anfang an ein politisches Projekt. Und im Wesentlichen ein politisches Projekt wäre auch der Ausstieg aus der Eurozone. Der Ausstieg welchen Landes auch immer wäre ein schwerer politischer Schlag für die gesamte europäische politische Elite: die nationalen politischen Klassen vor allem der Kernländer, die Brüsseler Bürokratie, auch die Eliten der diversen Peripherien in Ost und Süd.

(4) Aber was wären die konkreten Folgen? Hier kommt es darauf an, ob es bei Griechenland bleibt, oder ob andere Länder des Olivengürtels folgen. In der BRD und in Österreich ist der Austritt Griechenlands aus dem Euro politisch bereits „eingepreist“, um dies ironisch auszudrücken. Die Medien haben schon längst klar gestellt: „Die Griechen sind selbst schuld!“ Die Verantwortung für das Scheitern tragen nicht etwa die zentralen politischen Eliten, sondern „die Griechen“, nicht einmal so sehr deren politischen Eliten als vielmehr die Bevölkerung. Denn die Griechen „haben über ihre Verhältnisse gelebt“. Die Wut über die riesigen finanziellen Verluste durch die „Griechenland-Hilfe“ geht weniger gegen die hiesigen Politiker, gegen die Faymann, Fekter, Ostermayer und Schindelegger. Ein gewisses Risiko bleibt auch für sie, aber es scheint schon bewältigt.

(4) Kommen aber Portugal und Spanien und womöglich andere Länder ins Rutschen, dann sieht die Sache anders aus. Dann ist dies eine politische Katastrophe für dieses ganze „Europa“.

(5) Nach Griechenland ist der erste Reflex: Weiter wie bisher, und verstärkt so. Wir erleben gerade die ersten Schritte. Selbst deutsche Politiker drängen die spanische Regierung, sich „unter den Euro-Schutzschirm zu flüchten“, wie es komplett manipulativ heißt: also das griechische Trauerspiel aufs Neue zu beginnen. Die grundlegende Hoffnung dahinter ist: Die spanische / portugiesische Bevölkerung hat bisher Ruhe gehalten, sie wird dies weiterhin tun. Ausgeschlossen ist das nicht, jedenfalls für eine Zeit lang. Andererseits ist dieser Optimismus der Eliten auch nicht sehr realistisch. Der Grund für das Schlamassel, die Währungsunion, die bleibt ja. Und es ist alles andere als klar, ob die Strategie der „inneren Abwertung“ überhaupt technisch funktioniert, von der politischen Seite ganz zu schweigen. Sogar Nouriel Roubini, als Regierungsberater Teil des US-Etablishments, hat gemeint. „Die internationalen Erfahrungen bei ‚internen Abwertungen’ sind im Wesentlichen die des Fehlschlags.“

(6) Technisch gesehen ist die Währungsunion nichts als ein Verbund von Regionen mit erkennbaren Grenzen, die sich zu festen Wechselkursen untereinander entschlossen haben. Sie haben mehr oder weniger autarke Ökonomien mit mehr oder weniger Wettbewerbsstärke. Technisch gesehen kommt es nur auf dieses zweimalige „mehr oder weniger“ an.

(7) Politisch ist eine Währungsunion aber wesentlich anspruchsvoller, jedenfalls in parlamentarischen Systemen, wo die Bevölkerung noch eine gewisse Ausdrucksmöglichkeit hat. Machen wir einen Umweg!

(8) Warum funktioniert, so wird nicht selten gefragt, die Währungsunion in den USA ganz fraglos? Dort gibt es doch auch gewaltige Unterschiede zwischen den Staaten, zwischen Massachusetts (BIP pro Kopf 2010 in US-$, laufende Preise: 57.700), New York (58.300) und Wyoming (63.600) einerseits, und Montana (36.900), Missisippi (32.200) und West Virginia (33.400) andererseits: teilweise in der Größenordnung von 2 : 1, wie man sieht. Die politische Antwort ist: Die Bevölkerung der USA versteht sich offenbar als Einheit, als Demos, und ist aus diesem Grund bereit, die ständigen Folgen einer „inneren Abwertung“ auf sich zu nehmen: niedrigerer Lebensstandard, Abwanderung (in diesem Fall ist die Geschichte übrigens ziemlich trickreich und keineswegs immer direkt plausibel…) und Fernpendeln und ähnliche Konsequenzen. Sie kommen gar nicht auf die Idee, sich gegen diese Strukturfolge zu wenden. Wenn sie schon protestieren, dann endet das in faschistoiden Rechts-Chauvinismus: English Only, Anti-Immigration, Tea Party…

(9) Die Bevölkerungen in den Ländern Europas sind aber in ihrer großen Mehrheit noch nicht bereit, ihre nationalen Traditionen und Zugehörigkeiten zu vergessen. Sie fühlen sich in ähnlichen Fällen diskriminiert. Wenn sie schon auswandern, wie derzeit viele Griechen oder auch Bürger des Ostens, so sehen sie dies gewöhnlich als erzwungen und als oft fast verzweifelten Ausweg. Es gibt, außer für die obersten Eliten-Gruppen, keinen europäischen Demos, weil es kein europäisches Ethnos gibt. Die oberen Schichten allerdings und insbesondere ihre bürokratische Vertretung bilden einen Demos ihrer Art, wie auch im 19. Jahrhundert die Mittel- und Oberschichten schon eine Nation bildeten, lange bevor die große Mehrheit, die Unterschichten, die Bauern und Arbeiter, auch dazu gehörten.

(10) Die Bevölkerung der Kernstaaten, der früheren DM-Zone, also die BRD, die Benelux-Länder, Finnland, Österreichs, aber auch ironischer Weise Schwedens und Dänemarks, haben von einem Wegbrechen Griechenlands ökonomisch weder Schaden noch Nutzen. Den Schaden haben sie sowieso bereits, aber nicht durch Griechenland, sondern durch Faymann und Fekter und tutti quanti. Er wird ein Minimum von 10 Mrd. € betragen, wahrscheinlich aber das Doppelte. Politisch wird allerdings der Schaden nicht nur für die Elite, auch für die Bevölkerung hoch sein – wenn es nicht gelingt, die Elite einzubremsen. Denn dieser mainstream nutzt seit längerem die Krisen-Rhetorik, um seine Ziele voran zu bringen. Und dieser Krisen-Diskurs, ist im Gegensatz zum linken von Macht gestützt. Die Schlussfolgerungen heißen: weitere Zentralisierung in Brüssel und dahinter in Berlin; konsequenter Demokratie-Abbau; und Reduzierung des Sozialstaats auf ein Minimum zur Verhinderung absoluter Armut. Kurz: Der Weg zur Ein-Drittel- oder vielleicht auch Ein-Viertel-Gesellschaft wurde zielstrebig eingeschlagen.

(11) Man kann in diesem Sinn dem Wahlausgang in Griechenland auch etwas abgewinnen, zwar nicht für die Griechen, wohl aber für uns. Mit der abzusehenden künftigen europäisch-griechischen Politik wird die derzeitige Misere in der Eurozone und der EU insgesamt verlängert. Der politische Stachel im Fleisch aller übrigen bleibt stecken. Er wird umso spürbarer werden, je länger sich dies hinzieht. Zugegeben: Es ist ein zynischer Trost. Aber vergessen wir nicht: Es entspricht immerhin dem, wofür gut die Hälfte der griechischen Bevölkerung gestimmt hat.

20. Juni 2012

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