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„Allah, Brot und Freiheit“

Interview mit Abdulkadir Bal von der „Antikapitalistischen Muslimischen Jugend“ in der Türkei (Teil 1)


14. Juli 2012
Von Mustafa Ilhan und Wilhelm Langthaler

Am 1. Mai in Istanbul hatte die Antikapitalistische Muslimische Jugend ihren ersten spektakulären Auftritt. Sie beteiligte sich an der Manifestation der Linken und unternahm damit einen Brückenschlag, der bisher noch kaum versucht wurde, geschweige denn gelungen wäre. Wir sprachen mit ihren Vertretern über die Verfälschung des Islam zugunsten der Herrschenden und ihren Versuch die soziale Botschaft des Islam hörbar zu machen.


Frage: Ihr bemüht euch die wahre Bedeutung des Islam den Massen zu vermitteln und zum Wesen des Islam zurückzukehren. Glaubt ihr, dass der Islam von den Herrschenden verfälscht wurde?

Unserer Meinung nach wurde der Islam den Massen von den Herrschenden in einer Weise auferlegt, um die unteren Klassen zum Trauern und oberen Klassen zum Lächeln zu bringen. So haben sie die Stimme Allahs von den Armen getrennt. Nach unten rufen sie „sei geduldig“ und nach oben „raub sie aus wie ein geschälte Zwiebel“ [türkisches Sprichwort].

F: Beten, an der Hadsch teilnehmen, Fasten usw. sind die Grundsäulen der islamischen Religion. Seht ihr diese Pflichten mehr als ein Ritual an und stellt die sozialen Aspekte in den Vordergrund?

Beten, zur Hadsch gehen, Fasten usw. sind ein symbolischer Ausdruck der sozialen Botschaft des Islam. Diese Rituale stehen weder über noch unter unseren sozialen Botschaften. Vielmehr müssen diese Botschaften mit der Ritualen verflochten werden.

Während man mit dem Gebet zu Gott steht, soll man nicht in den vergänglichen Vergnügungen der Welt stecken bleiben. Beim Fasten geht es nicht nur ums Hungern, sondern es wird dabei auch eine kollektive Widerstandsmauer gegen eine verrückte Produktions- und Konsumwelt errichtet und für eine bescheidene Mahlzeit plädiert.

Bei der Hadsch geht es nicht nur darum, sieben Runden im Kreis um die Kaaba zu laufen, sondern dieses jährlicher Erlebnis ist eine Stellungnahme gegen die Grausamkeiten auf dieser Erde.

Bis heute wurden aufgrund der von den Herrschenden forcierten Auslegungen und überkommener Traditionen über Religion nur Rituale in den Vordergrund gestellt. Die soziale Verantwortung wurde auf die Seite geschoben.

F: Sind in der Türkei die ungewaschenen Diebe von früher nun durch gewaschene Diebe ersetzt worden? [Bezug auf das islamische Waschritual]

Ja. Die Kemalisten, die die Waffen der Armee auf die unschuldigen Völker gerichtet haben und dabei ihr Spaß hatten, sind jetzt weg. Jetzt sind diejenigen Diebe gekommen, die sich als demokratisch-konservativ bezeichnen, die ebenso ihre Waffen auf die armen Völker richten.

F: Was ist eure Haltung als Antikapitalistische Muslimische Jugend zur kurdischen Frage?

Wir haben am 1. Mai 2012 unsere Position zu kurdischen Frage gegenüber Freunden und Feinden deutlich erklärt. Eine unserer Parolen war: „Die Forderungen des kurdischen Volkes sind auch unsere Forderungen“. Unsere Haltung wird weiterhin im Einklang mit den Forderungen der kurdischen Bevölkerung sein. Mit ihnen gegen das Unrecht, auch gegen das Unrecht unter ihnen, mit den Unterdrückten gegen die Unterdrückung.

F: Seit einem Jahr gibt es in der Türkei den „Demokratische Kongress der Völker“ [ein Bündnisversuch der kurdischen Bewegung mit Teilen der türkischen Linken]. Verschiedene Nationalitäten und Glaubensrichtungen treffen sich in diesem Rahmen, um die Probleme des Landes zu lösen. Was halten sie von dieser Initiative?

In Bezug auf den Kongress verfolgen wir die Entwicklungen sorgfältig. Es ist noch zu früh eine Aussage zu treffen.

F: Wie können die verschiedenen Meinungen und Bewegungen in einem gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung und Kapitalismus gebündelt werden?

Das Wort für Gemeinsamkeit im Islam ist: „Es gibt keine Gottheit außer Gott“ [der erste Term des islamischen Glaubensbekenntnis Schahada] und „Ihm gebührt der Besitz / die Herrschaft“ [prominenter islamischer Sinnspruch].

Mit anderen Worten: Schluss mit Dienerschaft von Menschen gegenüber Menschen. Der Reichtum darf nicht nur den Reichen zu gute kommen. Die Reichen dürfen den Staat nicht kontrollierten. Das ist ein Aufruf an die Unterdrückten, gemeinsam auf der Erde eine Stadt des Friedens (Dar es Salam) aufzubauen.

F: Ihr besteht vor allem aus jungen Menschen. Wie aufmerksam ist die Gesellschaft euch gegenüber?

Tag für Tag wächst das Interesse und die Beteiligung.

F: In der Vergangenheit gab es verschiedene Initiativen mit Meinungsvielfalt, aber sie haben sich unter dem Druck der Repression wieder aufgelöst. Gibt es einen Mangel an Perspektiven? Ruft die Pervertierung des Islam Widerspruch hervor?

Die Schwäche der Unterdrückten hat zur Zerstreuung und Auflösung solcher Initiativen geführt. Die Unterdrückten müssen dem [islamischen] Auftrag des Tauhid [Einheit, Monotheismus] folgen und zu einem gemeinsamen Wort gegen Unterdrückung kommen. Sonst fällt man der Repression der Herrschenden anheim oder löst sich in der sozialen Umgebung auf.

Warum sind die Unterdrückten und Opfer zerstreut, vereinzelt und gespalten? Wie klug ist es, sich gegen organisierte Unterdrückung ohne organisierten Kampf zu stellen?

Als erstes ist es notwendig, sich auf die Entwicklung und Stärkung der eigenen Positionen zu konzentrieren. Man muss den Entstellungen und Verfälschungen, die die Herrschenden in der Gesellschaft verbreiten, entgegentreten.

Der Gesellschaft wurde sowohl die verfälschte islamische als auch die kemalistisch-oligarchische Tradition vererbt. Das Bild des Islam wurde von beiden verzerrt, um ihm zu schaden. Über den Islam und seine Moscheen wurde von den Hodschas [islamische Religionsgelehrte] ein Spinnennetz der Finsternis gelegt.

Die imperialistischen Marionetten haben sich gegenüber dieser modernen Finsternis wie die drei Affen verhalten, die sich Augen, Ohren und Nase zuhalten. Die byzantinischen Arroganten haben sich mit dem Laizismus gegen den Islam gestellt und die türkische Linke ist in ihre Falle getappt. Ihre Opfer von gestern, die heute zu gewaschenen Kapitalisten geworden sind, sind ebenfalls in diese Falle gegangen. [Gemeint sind die Vorläufer der AKP, Sadet- und Refah-Partei, die von den Militärs von der Macht verdrängt wurden, sowie Erdogan selbst, der zu der Zeit Oberbürgermeister von Istanbul war.]

So wurden die Botschaften des Islam über die soziale Gerechtigkeit von den Laizisten bis hin zu den Konservativen hinter Ritualen versteckt. Die Gegenwart stellt dafür den Arbeitern die Rechnung, die für die verrückte kapitalistische Produktion ihr Leben lassen müssen. Die Unterdrückten und Elenden tragen ihre Leichen auf dem Rücken der Maultiere. Um das zu beenden, stellen wir die islamischen Parolen „ Es gibt keine Gottheit außer Gott“ und „Allah, Brot und Freiheit“ auf.

Wir sind die Antikapitalistische Muslimische Jugend! Gegen die herrschenden Klassen werden wir Insallah für immer mit der Unterdrückten vereint bleiben.

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