Frage: Was halten Sie von der Finanzkrise, insbesondere in Griechenland?
Das Problem der griechischen Finanzkrise sollte man bei den sozio-ökonomischen Beziehungen der Europäischen Union mit ihren Mitgliedsstaaten suchen. Laut dem im Jahr 2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrag, darf ein Mitgliedsstaat, der durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Fälle sich in Schwierigkeiten befindet, mit finanzieller Unterstützung von der EU rechnen.
Als im Jahr 2009 die griechische Regierung wechselte, revidierte man die Wirtschaftsdaten der alten Regierung und kündigte an, dass das Haushaltsdefizit 2008 nicht 5% des BIP ausmachte, sondern dass es bei 7,5% zum Liegen kommen würde.
Diese Situation führte zu Misstrauen auf den Märkten und entsprechend dem Lissabon-Vertrag intervenierte die EU aktiv in die griechische Wirtschaft. Sie forderte von der neuen griechischen Regierung die Reduktion des Haushaltsdefizits auf 3% des BIP. Zudem knüpfte die EU die Bereitstellung von Krediten an Sparmaßnahmen. Damit sind Rückgänge bei den Löhnen und Entlassungen das Schicksal Griechenlands geworden.
Dies ist ein typisches Spiegelbild der risikolosen politischen Ökonomie des Finanzkapitalismus. Nach dem Aus für den Sozialstaat hat der Kapitalismus die Produktion ins Ausland verlegt und damit die Zukunft der Arbeiterklasse verdunkelt. Damit die Gewinne steigen, senkt man die Kosten auf chinesische Art. So ist der Finanzkapitalismus für die Arbeiter sehr schmerzhaft.
F: Leisten Sie in Istanbul ein organisierte Arbeit gegen den Kapitalismus wie beispielsweise die Occupy-Wall-Street-Bewegung?
Wir sind eine antikapitalistische Gemeinschaft: Wie lehnen die Produktionsverhältnisse des Kapitalismus; die Finanzspekulation; die Vernichtung der Länder, die sich gegen den Imperialismus zur Wehr setzen; die Zerstörung der Natur ab. Da wir aus der islamischen Tradition kommen und auch gegen die falsche Verpackung der Religion stehen, bemühen wir uns um koordinierte theoretische und praktische Arbeit. Etwas Ähnliches wie die Occupy-Bewegung wird es in Zukunft auch bei uns geben.
F: Über Syrien haben sich die linken und islamischen Kräfte gespalten. Insbesondere Teile der islamischen Bewegung fordern eine ausländische Einmischung.
Statt Dinge zu verzerren, sollte man versuchen die bestehende Struktur zu verstehen. Der Aufstand des Volkes gegen seine Zwingherren ist eine bemerkenswerte Sache. Es liegt in der Natur des Imperialismus zu versuchen einen solchen Aufstand zu manipulieren. Wenn man es ernst mit der Haltung gegen Imperialismus meint, sollte man mit den Oppositionellen gegen die Baath-Regime vorgehen, anstatt die Opposition als ein Werkzeug des Imperialismus zu betrachten. Damit kann die Lücke, das Einfallstor, das vom Imperialismus gesucht wird, geschlossen werden.
F: Diejenigen, die die militärische Intervention ablehnen und für eine demokratische Volksbewegung eintreten, werden gelegentlich als sektiererisch und pro-Assad angegriffen. Was halten sie von diesen Vorwürfen?
Während man sich gegen eine militärische Intervention stellt, sollte man sich parallel auf die Seite der Oppositionellen schlagen. Diejenigen, die behaupten, dass diese Politik unmöglich sei, sind auch Diejenigen die mit dem Kapitalismus und seinen führenden Nationen kein Problem haben. Allerdings ist der Kapitalismus von Natur aus imperialistisch. Die Linken und die Islamisten, die diesen doppelten Widerspruch korrekt analysieren, können sich dagegen stellen.
F: Was halten sie von der interventionistischen Politik der Türkei gegenüber Syrien? Sind Sie der Meinung, dass der vom Westen unterstützte Syrische Nationalrat (SNC) und die Freie Syrische Armee (FSA) das syrische Volk repräsentieren?
Da die Türkei in diesem Raum wirtschaftlich und politisch die Vertretung des Westens darstellt, erklärt sich auch ihr Vorgehen im Rahmen der NATO.
Das Schlimmere daran ist, dass die vom türkischen Regime manipulierte sunnitische Mehrheitsbevölkerung, während sie sich auf die Seite der Oppositionellen stellt, keine Haltung gegen den Imperialismus einnimmt. Diejenigen, die das syrische Volk repräsentieren, sind diejenigen, die sich gegen den Imperialismus und gegen das Assad-Regime stellen. Es ist das syrische Volk, das wir auf der Straße sehen.