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„Der Libor“

Staatsmonopolistischer Kapitalismus, Teil 2


25. Juli 2012
Von A.F.Reiterer

„Der“ Libor wurde manipuliert! Die Damen und Herren Direktoren wollten sich ein Körberlgeld verschaffen. Große Aufregung darob.


Aber dabei geht unter: „Der“ Libor verdient viel mehr Aufmerksamkeit, wenn er technisch richtig und korrekt berechnet wird. Denn er ist ein wichtiges Instrument der Selbstregierung des internationalen Finanzkapitals, vorbei an der Politik und den Staaten mit ihren letzten Resten von parlamentarisch aufgeputzter Demokratie.
„Der“ Libor (London Interbank Offered Rate; Londoner Zwischenbanken-Zinssatz) ist ein System von mehreren Dutzend Zinssätzen in 10 Währungen und 15 Laufzeiten (s.u.) von Krediten, die sich Banken untereinander gewähren. Er ist ein „Indikator, der nicht auf Markttransaktionen, sondern auf Meinungen beruht, was ein Einfallstor für die Manipulationen ist“ (NZZ, 20. Juli 2012). Wir kümmern uns hier nicht sosehr um die kleinen schäbigen Manipulationen, von denen man seit Längerem so halb und halb wusste. Allerdings: Auch diese „kleinen“ Betrügereien machen bei einer Summe von 400 Billionen US-$, die von den Referenz-Zinssätzen abhängen, eine hübsche Summe aus. Nur zur Illustration: Diese 400 Bio. (oder etwa 350 Bio. Euros) sind das 1.200-fache des derzeitigen jährlichen BIP in Österreich.

Aber hier soll es um etwas Anderes gehen: Wie entsteht „der“ Libor?
Täglich wird bei jeweils 16 Banken eines Währungsgebiets, den Panelisten, erhoben, zu welchen Zinssätzen sich diese Banken für eine Reihe von Laufzeiten von 1 Tag bis zu einem Jahr Kredite verschaffen könnten. Es ist nicht Voraussetzung, dass diese Kredite wirklich gewährt wurden. Die je vier extremsten Werte werden ausgeschieden, der Rest wird gemittelt. So weit, so gut.

Aber wer erhebt, wer berechnet und wer stellt die Referenz-Zinssätze schließlich fest, die einen solchen Einfluss haben? Es sind nicht etwa die Zentral-Banken oder eine Bankenaufsicht. Es ist die „British Banker’s Association“ (BBA), ein privater Verein. Es handelt sich dabei nicht einfach nur um ein Kartell. Hinter diesem bescheidenen Titel versteckt sich eine quasi-staatliche Parallelstruktur. Sie setzt ihre Entscheidungen autoritativ durch und hat damit unmittelbar Einfluss auf das Alltags-Leben, bis herunter zu irgendwelchen Kredit-Verträgen, die sich teils auf den Libor berufen.

Solche sektoralen Parallel-Staaten auf privater Basis gibt es mittlerweile eine Reihe. Manche sind für den Alltag des gewöhnlichen Menschen eher unerheblich, wie etwa die International Diamond Producers (IDMA) in Antwerpen und das World Diamond Council (WDC) – außer für die Menschen in Afrika! Aber einige andere sind eben ganz und gar nicht unerheblich.

Banken sind, wie es einmal hieß, die „Kommandohöhen“ der Wirtschaft. Und wenn sie sich gefährdet fühlen, dann müssen bekanntlich alle Menschen bluten und zahlen, auf Geheiß von Brüssel, aber durchaus auch auf eigenständigen Wunsch von Faymann, Schmidt und Fekter, siehe Hypo Alpen-Adria, Kommunalkredit usw.

Als Rudolf Hilferding vor dem Ersten Weltkrieg sein „Finanzkapital“ veröffentlichte, definierte er: Finanzkapital ist Kapital in Eigentum der Banken, aber in Nutzung der Produktionsbetriebe. Das hätte immerhin noch etwas mit Produktion zu tun und wäre ein vergleichsweise rationaler Zustand. Aber das ist weitgehend vorbei. Wir können dies am besten demonstrieren, wenn wir die Grö0enordnungen vergleichen:
Wir haben eben die 400 Billionen Dollar genannt. Denen steht ein Jahresprodukt der Welt von derzeit, je nach Berechnung, 70 – 90 Billionen gegenüber. Allein die von den Referenzzinssätzen abhängigen Kredite machen also das 4- bis6-fache des Weltproduktion aus. Die Kredite sind vielfach sehr kurzfristig. Drei Jahre gelten schon als „sehr langfristig“. Oder um es noch klarer zu sagen: Das Finanzkapital arbeitet heute mit weitgehend fiktiven Werten und keineswegs hauptsächlich in der Produktion. Eine Frage von Solvenz oder gar von Liquidität kann sich unter diesen Umständen gar nicht mehr sinnvoll stellen. Würden alle Kredite plötzlich fällig gestellt, ginge es also nicht einfach um Liquidität. Es stehen ihnen schlicht keine Realwerte mehr gegenüber.

Diese geradezu triviale Feststellung könnte man theoretisch aufladen. Es lohnt aber nicht. Es zeigt nur, dass der Verteilungskampf zwischen den Banken bzw. innerhalb des Finanzkapitals mit Mitteln geführt wird, die sich dem herkömmlichen Theoretisieren in Ökonomie und Soziologie entziehen. Man sucht einfach den Konkurrenten und Peer zu übertölpeln. Die Instrumente entstanden gewöhnlich irgendwann aus einem aktuellen Bedürfnis. Dann wurden sie systematisiert und zu reinen Wett-Konstruktionen in diesem Riesenkasino umgebaut.

Aber: Geld ist nicht einfach ein Medium der Spekulation. Geld ist das Steuerungsmittel der (Markt-) Wirtschaft. Und doch hat Politik gegenüber dem Finanzkapital im Wesentlichen abgedankt. Und zwar tat dies die politische Klasse von sich aus und freiwillig. Kapitalmarkt-Deregulierung war und ist ein zielstrebiger Prozess, auf Weltebene wie auf der Ebene EU. Man kann natürlich fragen: Aber warum entmachten sich die Politiker selbst so eilfertig? Die Antwort ist nicht schwierig: Man möchte verhindern, dass u. U. bei den nächsten Wahlen, wenn die Bevölkerung schon wütend ist, Leute ans Ruder kommen, die dort wirklich etwas bewirken könnten. Das muss man vorausschauend verhindern.

Und was die Politiker selbst betrifft: Es ist richtig, dass sie während ihrer aktiven Zeit um Eckhäuser weniger bekommen als ihre Auftraggeber, etwa CEOs in Banken, Unternehmen und sonstigen „Märkten“. Und manche Politiker geben sich damit auch nicht zufrieden. Sie erwarten sich die Belohnung an der Kasse. Schröder oder Schüssel, dem auch „Austria too small a country“ wurde, haben es jedenfalls geschickter angestellt als Strasser und Kumpane.
Die Entscheidungen aber fallen inzwischen anderswo.

22. Juli 2012

Anmerkung:
Die Währungen: Euro, U.S. Dollar, Britisches Pfund, Japanischer Yen, Schweizer Franken; Australischer Dollar, Kanadischer Dollar, Schweden-Krone, Dänische Krone, Neuseeland Dollar
Die Fälligkeiten: 1 Tag; 1, 2 Wochen; 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12 Monate

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