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Ägypten: Wochenendliches Gerangel zwischen Palast und Straße

3. Dezember 2012
Izzet El-Qamhawi, Kairo

Die Forderungen der demokratischen Kärfte asind entschieden und lukulent: Abrücken von kürzlich getätigen Manipulationsunternehmungen in der Verfassungserklärung bis hin zur Einstellung des dubiosen Eilverfahrens in der Konstituierung der Verfassung. Sollte diesem zivilen Ungehorsam keine ausreichende Aufmerksamkeit geschenkt werden, wird in weiterer Folge die Absetzung des Präsidenten ein Verlangen sein.


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Kamera läuft! In einer déjà-vu-artigen Neuverfilmung der nicht lange zurückreichenden Animositäten zwischen Mubarak und „dem Platz“ (Tahrir), zeigte sich am Donnerstag der ägyptische Präsident Muhammad Mursi in einem Interview mit dem öffentlichen Fernsehen erklärend, dass er von seiner Entscheidung alle Gewalten in seine Hände zu konzentrieren, sowie der korrupten Verfassungskommission undRatsversammlung weitreichende Immunitäten – welche sie nicht verdienen – zuzuerkennen, nicht abrücken werde. Auf diesen Starrsinn antworteten die Straßen heute Morgen mit dem „Freitag der Märtyrer“.
Das Gezerre findet zwischen Palast und Straße statt, die Details werden über den Ausgang dieses Konflikts entscheiden.

Im Palast: ein Mann der sich einer essayistischen, mit liebevollen Worten geschmückten Rede bedient, den Eindruck erweckend, er würde mit Fremder Zunge sprechen und keine Anzeichen zeigend Abstriche zu machen. Im Unterschied zu Mubarak, der sich am Ende einer langen Karriere wankend und von geringem Erscheinungsbild zeigte, debütiert Mursi im edelsten Anzug seines Lebens, spricht schnell, vermittelt hohes Selbstvertrauen und einen Hang zur Humorlosigkeit.
Bild und Ton müssen lange eintrainiert worden sein, erwecken sie doch beiderlei den Eindruck, dass dieser sture Mann davon überzeugt ist: sein Weg beginnt jetzt.

Auf den Straßen: Die liberalen und sozialistischen Kräfte, welche die Revolution gemeinsam mit einer Auswahl von Politikern auslösten, erfuhren in den letzten beiden Jahren des Konflikts mit dem Militärrat und dem Experiment der Präsidentschaftswahlen, eine symbolische Aufwertung. Fernab der Straßen sehen sowohl Richter als auch eine beachtliche Anzahl schweigender Ägypter, keinen nennenswerten Unterschied zwischen den Brüdern und der Nationalen Partei. Im Unterschied zu den Anfängen der Revolution, in welchen sich
Forderungen scheinbar willkürlich von Reformen bis hin zur Resignation wandelten, verfügen die Massen heute nicht nur über wichtige Erfahrungen im Umgang mit dem System, sondern auch über effektive Eskalationswerkzeuge.

An der jetzigen Neuaufrollung sind die Streitkräfte unbeteiligt, hatte man sich früher unächst der Ernsthaftigkeit der Protestwellen versichert, um im Anschluss Mubarak zu isolieren, wurde zu den jetzigen Ereignissen noch keine Stellung bezogen. Im Abseits stehen ebenfalls dreiviertel der Polizei, die offenbar noch nicht ihre Fitness zurückerlangen konnte; ferner die religiösen Gruppierungen, spät auf den Zug der Revolution aufgesprungen, nehmen sie nun die Rolle des Feindbildes an.

Auf beiden Seiten sind Relikte aus der Ära Mubaraks und der USA anzutreffen. Und zwei Wege der medialen Polarisation. Die Brüder, die Schätzungweise 20 % der Wählerschaft ausmachen, wurden durch offenkundige Absprachen mit den Militärs Mubaraks‘ an die Macht
gehievt. Obwohl selbst zehn der aktuellsten Ministerposten mit Mubarakisten besetzt sind, kritisieren die Brüder das Aufscheinen vergleichbarer Persönlichkeiten im öffentlichen Raum; während die Straße andere Kräfte nicht davon abhalten kann, ebenfalls ihre Interessen kundzutun, entschieden sich die Brüder jedoch die Macht mit den Überresten zu teilen. Die Debatte ist absurd und hat keinen Einfluss auf das bestehende Kräfteverhältnis.

Der amerikanische Einfluss auf den Ägyptischen Frühling lässt – wie auch zu Mubaraks Zeiten – Raum für Polarisation und gegenseitige Vorwürfe. Hatte schon Mubarak die Revolutionäre der Kollaboration mit den Amerikanern beschuldigt, welche ihnen durch die Kentucky Fried
Chicken Filiale am Tharir Platz kostenlos Speisen zur Verfügung stellten, verweisen die neuen Herrscher auf selbigen Fast Food Laden – während jedoch auf der anderen Seite, sowohl Mubarak, als auch die enthüllenden revolutionsbehindernden Absprachen mit den jetzigen
Eliten, in der Tat der Einflusssphäre Uncle Sams‘ zuzurechnen sind.

Die Absprachen sind offenkundig; den Brüdern, welche eine Partei gründeten ohne darin aufzugehen, wurde Legitimität verliehen, um anschließend die Übergangsphase entgegen jeder Logik zu koordinieren um schlussendlich Wahlen mit dem Ergebnis Mursi zu fabrizieren.
Während man nun versucht ihn mit finanziellen Zuwendungen sowie mit der Zuweisung regional-politischer Rollen symbolischen Charakters, wie kürzlich in der Gaza-Israel-Krise – die bis auf den Besuch des Ministerpräsidenten in Gaza sowie einiger Reden feindseliger Rhetorik im Vergleich zu Mubarak nichts neues brachte – künstlich am Leben zu erhalten, sind dies alles gewollt-erlaubte Freiräume zurSpurenbeseitigung und der Travestie aller gefährlichen und unlogischen Koalitionen.

Ebenfalls klar ist, dass die Amerikaner der Region eine weitere undemokratische Kraft anhängen wollten, die mindestens genau so lange währen sollte, wie die kürzlich abgelöste Militärdiktatur, wobei sie ihre Berechnungen auf veraltete Klischees über die arabischen
Gesellschaften aufbauten.
Während man es sich nun auf Kurzsichtigkeit und Ignoranz aufgebauten Illusionen gemütlich macht, zeigt das Bild der neuen arabischen Kräfte, die trotz des großen Leids, am Glauben der menschlichen Freiheit festhalten, dass sie ihren Frühling schneller wieder an sich reissen werden, als von den alten Garden und deren amerikanische Verbündeten gedacht.

Die Forderungen der demokratischen Kärfte am Freitag des „Märtyrertraums“ sind entschieden und lukulent: Abrücken von kürzlich getätigen Manipulationsunternehmungen in der Verfassungserklärung bis bin zur Einstellung des dubiosen Eilverfahrens in der Konstituierung der Verfassung. Sollte diesem zivilen Ungehorsam keine ausreichende
Aufmerksamkeit geschenkt werden, wird in weiterer Folge die Absetzung des Präsidenten ein Verlangen sein.

Auf der anderen Seite angeboten ist eine religiös gefärbte, über die Beziehung des Hirten zu seiner Herde und den Wert der Familie und Sippe philosophierende Rede Mubaraks, die in dieser Form seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr bekannt war – ferner wird mit der Mobilisierung der eigenen Massen geliebäugelt. Ein risikoreiches Unterfngen, das neues Blutvergießen sowie eine ungewiss-schadenreiche Zukunft in sich birgen könnte, bedeutet es jedoch andererseits die schnelle Ebnung des Wegs für den politischen Islam. Die wiederholten Drohungen der Mobilisierung der eigenen brüderlichen Massen und deren Revision, ist wohl auf Überlegungen hinsichtlich des vorhanden Kräftegleichgewichts
zurückzuführen; eine ängstliche Protektionsmaßnahme ist zweifelsohne die selbstverliehene Immunität des Präsidenten. So wird die Niederlage rückwirkend vonstatten gehen und beweisen, dass auf diese undemokratischen Kräfte von Beginn an verzichtet werden konnte.

Sollte der Präsident (und seine Anhänger) seine Entscheidungen überdenken, könnte dies den Weg für eine natürliche Entwicklung in Ägypten ebnen – damit verbunden ist zeitgleich eine politische lebensverlängernde Maßnahme, ganz gleich ob die rationalen Impulse von
den Brüdern selbst, oder aber von ihrem amerikanischen Patron, der diese bedauerliche Situation nicht nur in Ägypten, sondern auch in vielen anderen Länden des arabischen Frühlings fabrizierte.

Izzet El-Qamhawi

London / AL-QUDS AL-ARABI, 30.11.2012
Aus dem Arabischen übersetzt von Tabrik Suleiman

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