Es war ein Verfassungsputsch.
Am 25./27. November stellte der EuGH, das Oberstgericht der EU, gegen das es auch in Menschenrechten keine Berufung gibt (die EU weigert sich seit je, dem Europarat und der Menschenrechtskonvention beizutreten) klar: Alles, was in den Verträgen steht, ist nicht wichtig. Der bail out der südlichen Krisenstaaten ist trotz ausdrücklichen Verbots in den Verträgen rechtens: Niemand könne schließlich einem Staat verbieten, einem anderen Staat zu helfen. Und das beschleunigte Verfahren bei der Änderung der Verträge sei auch rechtens. Zum Vergleich: Das ist, als ob in Österreich die Verfassung per Verordnung geändert würde.
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Gerichtshof der Europäischen Union: PRESSEMITTEILUNG Nr. 154/12
Mit dem Beschluss 2011/199 macht der Rat Gebrauch von der Möglichkeit, den AEUV in einem vereinfachten Verfahren zu ändern (d. h. ohne Einberufung eines Konvents von Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission). Dieses Verfahren … darf nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen. … Die Einrichtung des ESM dient zur Bewältigung von Finanzkrisen, die trotz getroffener präventiver Maßnahmen eintreten könnten. Der ESM gehört infolgedessen zum Bereich der Wirtschaftspolitik… Durch die Änderung des AEUV werden die der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten nicht ausgedehnt … Die Tätigkeiten des ESM gehören nicht zur Währungspolitik [Kursive durch den Autor].
Das Verbot für die EZB und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten, Körperschaften und Einrichtungen der Union und der Mitgliedstaaten Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten zu gewähren oder unmittelbar von ihnen Schuldtitel zu erwerben, wird durch den ESM nicht umgangen. Dieses Verbot richtet sich nämlich speziell an die EZB und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten. Wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar oder über den ESM finanziellen Beistand leisten, fällt dies somit nicht unter das genannte Verbot. …
Wenn die Mitgliedstaaten einen Stabilitätsmechanismus wie den ESM einrichten, für dessen Einrichtung der EUV und der AEUV der Union keine spezielle Zuständigkeit einräumen, führen sie nämlich nicht das Recht der Union durch, so dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die für jede Person einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet, nicht zur Anwendung kommt.
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Die einzige Parallele der letzten Jahre bilden die Versuche der kemalistischen Richter in der Türkei, die Politik der AKP und die Demokratisierung des Landes zu verhindern. Die Militärs fühlten sich nicht mehr mächtig genug und fürchteten die Reaktion in Europa. Also schickten sie die Richter vor. Auch in Ägypten haben Richter Ähnliches versucht.
Die Euro-Krise soll einen drastischen Disziplinierungsprozess in der Bevölkerung durchsetzen. Man beginnt in der europäischen Peripherie. Aber schnell ist diese Politik auch in den Zentren angelangt. Dies war von Anfang weg geplant. Man hat zwei Jahrzehnte diskutiert, bevor 1999 die Währungsunion etabliert wurde. Die Einführung des Euro-Bargelds war zwar für die politische Wahrnehmung entscheidend; aber für die ökonomische Perspektive weitgehend belanglos. Und damals, das kann man in allen Beiträgen nachlesen, war es den Handelnden, der Bürokratie und ihren Ökonomen, klar, was das hieß: Ab- und Aufwertungen sind nicht mehr möglich – also wird es bei den Schwächeren „innere Abwertungen“ geben müssen. Oder verständlich: Man wird den Lebensstandard senken und die bisherigen korrigierenden Sozialleistungen abbauen.
Aber in einem Punkt irrte sich die politisch-bürokratische Klasse. Es kam zuerst nicht zu „inneren Abwertungen“. Im Gegenteil: Im Oliven-Gürtel kam es in mehreren Ländern zu Blasen, die jahrelang dauerten. In Griechenland spiegelte die Kombination aus den Tricksereien der Regierung, dem Klientelismus im öffentlichen Sektor und dem Geldzufluss aus den EU-Geldern steigenden Wohlstand vor: Bauern in Kreta konnten sich mit der Agrarförderung plötzlich Geländewagen leisten. Die in- und ausländischen Banken und sonstige Financiers spielten mit und gaben großzügige Kredite zu niedrigen Zinsen. Das bail out-Verbot wurde von ihnen nie ernst genommen, und wie man sieht, völlig zu Recht. In Spanien entwickelte sich in ähnlicher Weise eine Infrastruktur- und Immobilien-Blase. Anderswo wieder setzte man auf Bank-Spekulationen und Maquiladoras.
Die Bürokraten hatten sich ein langsames Gewöhnen der unteren zwei Drittel an Austerität und Bescheidenheit erwartet. Und nun das. Als die Bankenkrise aus den USA nach Europa überschwappte, wurden die jahrelang weggeschobenen Probleme plötzlich akut. Die Banken wurden vorsichtig, und die Eurokrise war da.
Manche Politiker gerieten in Panik. Aber der größere Teil der Bürokraten griff mit beiden
Händen nach diesem Geschenk. Für sie kam die Krise durchaus gelegen. Aber sie ist eine zweischneidige Geschichte. Auf der einen Seite kann man argumentieren: Eine Krise ist eine Ausnahme-Situation. Die erfordert Ausnahme-Mittel, ja, eigentlich den Ausnahme-Zustand. Wir kennen dies aus der Militär- und der Sicherheits-Politik: Dort wird seit vielen Jahren diskutiert, wie man eine Krise macht, und wie man sie nützt. Das ist nichts Neues. Neu ist, dass man dieses Vorgehen in der Wirtschafts- und Rechtspolitik benützt. Die „Neue Sicherheitspolitik“ hat dem mit ihrem „erweiterten Sicherheits-Begriff“ Vorschub geleistet…
Und doch ist eine „Krise“ ambivalent. Sie lässt sich nicht so ganz beherrschen. Das bringt hohe Risiken für die Eliten. Die politische Klasse muss zudem mit dem Vorwurf leben, dass sie unfähig ist, dass sie ihren Job nicht macht. In Österreich fürchtet man sich vor der FPÖ, welche zunehmend erfolgreich plebeische Schichten anspricht; neuerdings auch ein wenig vor der KPÖ. In Italien haben die Grillini bei den Regionalwahlen in Sizilien sogar den ersten Platz erreicht, und die beiden Stützen des Mario Monti, vor allem die Demokratische Partei, die Nachfolgepartei der KPI, haben gemeinsam kaum mehr als ein Viertel der Stimmen.
Was also tun? Ein klassischer Militärputsch ist selbst in Griechenland keine gangbare Lösung, zumindest derzeit. Aber die Verfassungsgerichte haben in vielen Ländern einen guten Ruf. Das österreichische Verfassungsgericht ist z. B. den Herrschaften Haider, Dörfler und Scheuch in Kärnten entgegen getreten. In der BRD hat das Bundesgericht immerhin dem Bundestag gesagt: Wenn ihr die Verfassung wirklich nicht so wollt, wie sie ist, z. B. mit Bezug auf die EU, dann müsst ihr eine Volksabstimmung machen. Und davor fürchten sich Regierung und Quasi-Regierung (SPD+Grüne) gleichermaßen.
Und so hat sich ein irischer Abgeordneter an sein Verfassungsgericht gewandt. Das aber hat das getan, was nationale Gerichte seit Jahren tun: Es wandte sich um eine „Vorab-Entscheidung“ an den EuGH: Sie wussten natürlich, dass dieses Gericht seit Jahren die allerwichtigste Stütze der EU-Bürokratie bzw. ein Teil davon ist, wesentlich wichtiger als die Kommission oder gar dieses leicht lächerliche Europäische Parlament mit ihren aufgeblasenen Abgeordneten à la Strasser, Karas und Svoboda.
Hier haben wir also die Vorgangsweise für die Zukunft. Und das ist geschickt. Was soll man dagegen schon unternehmen? Das oberste Gericht stellt fest, was die Bürokratie und ihre politischen Unterläufel dürfen und was nicht, vor allem aber, was das Gericht selbst darf.
Aber auch das hat seine Risiken. Die einzige Möglichkeit, dagegen etwas zu machen, ist tatsächlich nur mehr der Austritt aus der EU. Davor schrecken viele Menschen, wahrscheinlich eine Mehrheit selbst in jenen Ländern zurück, die stark gegen diese Politik stehen.
Umso wichtiger aber ist es somit, Klartext zu reden. Um den Brei herumzuschleichen nützt nur jenen, die von den derzeitigen Zuständen profitieren. Wollen wir, wie gering die Kraft der Linken derzeit auch noch ist, die parlamentarische Demokratie auch dem Inhalt nach und nicht nur als Dekor erhalten? Dann muss die Losung lauten:
Zerschlagt die EU!
30. November 2012