Bizarr: Denn tatsächlich hat eine völlige Umkehrung der politischen Positionen der großen Blöcke stattgefunden. ÖVP, FPÖ, der Generalstab und die Offiziersgesellschaft verteidigen die Wehrpflicht und sehen die Neutralität in Gefahr – nachdem man praktisch seit Jahrzehnten Berufsheer und Nato-Beitritt gepredigt hat. Die SPÖ ruft jetzt nach einem Berufsheer und spricht sich für eine vertiefte europäische Zusammenarbeit im militärischen Bereich aus – nachdem man jahrelang das Berufsheer als Vorbote eines Endes der Neutralität abgelehnt hat und obendrein die Erinnerung des Februars 1934 hochgehalten hatte. Damals hatte ein Berufsheer den Putsch der Regierung gegen die demokratische Republik gestützt.
Eine bizarre Volksabstimmung, auch weil die vertretenen Positionen kaum aus ideologisch-politischen Überzeugungen abgeleitet werden (vielleicht mit Ausnahme einer Hand voll sozialdemokratischer Offiziere, die die Wehrpflicht gegen die Parteilinie verteidigen.) Die Position der SPÖ scheint auf einen Wahlkampftrick des Bürgermeisters Häupl zurückzugehen. Und wenn FPÖ und ÖVP heute in den wärmsten Tönen von den ehemaligen Zivildienst-Drückebergern und der Neutralität sprechen (die die Regierung Schüssel abschaffen wollte), dann fällt es einem nicht leicht solche Dinge zu glauben. Am lustigsten die Salzburger Landeshauptfrau Burgstaller, die, ebenfalls in Abweichung von der Parteilinie, in die dümmste „Wadeln-vire-richten“-Rhetorik verfällt: weil ein paar Monate Militärdienst niemanden schaden würden. Auch das wohl ein Wahlkampftrick. In Österreich hat der „Spin“ scheinbar erfolgreich die Politik verdrängt.
Gegen den Spin kann man einmal ein paar grundsätzliche Dinge feststellen.
Einmal: Die Wehrpflicht schadet. Nicht sehr viel, aber doch. Wenn man junge Männer für 6 Monate in eine Kaserne sperrt, muss man sich dafür eine ordentliche Begründung einfallen lassen. Der Verweis darauf, dass man ohne Wehrpflicht die Zivildiener verliert und man den Beschäftigten im Gesundheitswesen dann ordentliche Gehälter bezahlen müsste, scheint uns nicht genug. Wenn Frau Burgstaller von den pädagogischen Qualitäten des österreichischen Militärs so überzeugt ist, dann empfehlen wir ihr, sich eine halbe Stunde von einem alkoholisierten Unteroffizier anschreien zu lassen. Tatsächlich werden in Österreich keine Rekruten zu Tode schikaniert, aber staatliche Zwangsmaßnahmen, die tief in das Privatleben eingreifen, bleiben staatliche Zwangsmaßnahmen. Und sind als solche kritisch zu betrachten.
Bei vielen älteren Männern, die in ihrer großen Mehrheit zu den Befürwortern der Wehrpflicht gehören, dürften übrigens genau die erlittenen kleinen Demütigungen den Ausschlag geben: „Wir haben hin müssen, warum sollen sich die anderen jetzt drücken können.“
Zweitens: Der Positionswechsel der ÖVP mag prinzipienlos sein, aber er zeigt auch die starke Stellung der Neutralität. Gerade die Niederlagen der USA im Irak oder in Afghanistan haben in der österreichischen Bevölkerung jeden Wunsch nach einer aggressiven „europäischen“ Außenpolitik verschwinden lassen – und scheinbar sind auch die Eliten immer weniger dafür zu haben. Die Friedens- und Antikriegsbewegung sollte ihre Erfolge auch feiern, wenn sie denn einmal eintreten.
Aber am wichtigsten: In der konkreten österreichischen Situation, bei gleichbleibendem Militärbudget (dessen Ausweitung wir sicher nicht fordern), wird eine Berufsarmee mittelfristig einen gewaltigen Druck Richtung engerer Integration in einen europäischen Militärverbund erzeugen. Durch die bescheidene Größe wird sich die etwa von den Grünen seit Jahren geforderte und auch im Verteidigungsministerium immer wieder vorbereitete militärische „Arbeitsteilung“ in Europa aufzwingen. Und für damit im Zusammenhang stehende Kolonialabenteuer ist eine Truppe aus Berufssoldaten mit Sicherheit besser geeignet.
Und: Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist eine Truppe aus Berufssoldaten auch besser geeignet die „innere Ordnung“ gegen mögliche soziale Unruhen zu verteidigen. Griechenland ist nicht so weit entfernt, dass man solche Perspektiven ganz aus den Augen lassen könnte.
Was wir wollen, ist ein demokratisiertes Heer. Ohne Kasernierung, ohne Kasernenhofton, organisiert in territorialen Milizverbänden. Nicht willens und nicht fähig zu kolonialen Auslandseinsätzen. Mit so wenig Berufssoldaten wie möglich und mit gewählten Offizieren. Möglicherweise ineffizient, zusammengesetzt aus etwas lustlosen Wehrpflichtigen, aber dafür demokratisch und groß genug die Selbstständigkeit Österreichs im Notfall zu verteidigen.
Leider steht ein demokratisiertes Heer nicht zur Abstimmung. In Sorge vor den Konsequenzen eines Berufsheeres: Für die Beibehaltung der Wehrpflicht.