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Planung, Markt und „Wertgesetz“

28. Januar 2013
Von A.F.Reiterer

Überlegungen zu einer fundamentalen politischen Problematik Achtung: Dies ist eine Version für die frühzeitige Debatte, keinesfalls ein „fertiges“ Produkt!!!


Inhalt

I. Einige Hinweise auf die sowjetische Erfahrung
Der rapide Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg

II. Grundsätzliche Überlegungen zu Plan und Markt
1. Welche Theorie?
2. Planung ist Machtausübung
3. Planung ist Herrschaft einer Technokratie
4. Plan und Markt: nur eine Frage der Effizienz?
5. Geld als Medium der Entfremdung?
5.1. „Materielle Anreize“?
6. Planung ist notwendig, um die Entwicklung und ihre Richtung festzulegen.
7. Planung – die einzige Möglichkeit, das Verteilungsproblem in den Griff zu kriegen
8. Verschwendung im Kapitalismus und Verschwendung in geplanten Wirtschaften
9. Ein zentrales Problem: Welche Klassen wo?
10. Und die Folgerung?
10.1. Wirtschaftstheoretische Bemerkung
10.2. „Planungsmodelle“? – Die notwendige Reflexion
10.3. Planung hauptsächlich ein technisches Problem?
10.3 Ein postsowjetisches Problem
10.4 Anreizstrukturen und Fehlallokation

Literatur

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Sozialismus war zu Zeiten der sowjetischen Systeme für Freund und Feind synonym mit Planwirtschaft. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und ihrer Satelliten hat sich diese damals denknotwendige Verbindung gelockert. Aber viele Linke wissen dafür nicht mehr, ob sie über diffuse allgemeine Ziele („Gerechtigkeit“, „Gleichheit“, …) auch noch ein Strukturziel haben. Es ist Zeit, darüber eine Debatte zu beginnen. Vor der Programm-Debatte ist aber eine analytische Diskussion notwendig. Und die wiederum muss zuerst einmal mit ziemlich „philosophischen“ Problemen starten, bevor wir zu den praktisch-pragmatischen Fragen vordringen können. Gemeint sind damit grundsätzliche gesellschaftspolitische Ziele. Ihre Fundierung finden sie letztlich in einem bestimmten Menschenbild, also einer philosophisch-politischen Anthropologie.

Das Material dafür ist vorhanden: Man muss durchaus die alten Texte im Rahmen der Planungs-Debatte der von der Sowjetunion abhängigen Länder und dem entsprechenden politischen Diskurs auch im Westen wieder lesen (Brus 1971, Šik 1967; Bettelheim u. a. 1969; Bettelheim 1975; etc.). Nur hier finden wir Erfahrung aus erster Hand zu diesem Themen-Komplex, zusammen mit einer Reflexion darüber. Dazu kommt selbstverständlich das Fakten-Material über die Sowjet-Wirtschaften. Interessante Abhandlungen heute sind dazu kaum zu finden – die Problematik ist für den mainstream Vergangenheit. Wenn er sich aber damit beschäftigt, so sind die Ergebnisse meist ziemlich öde Polemiken.
Die Debatte der 1960er/1970er über Plan und Markt, über Sozialismus und Revisionismus, etc., hängt in hohem Maß an einem völlig fetischisierten Begriff von „Sozialismus“. Der ist unabänderliches Endziel und gleichzeitig, als „Realsozialismus“, das System des sowjetischen Lagers und der VR China. Ein gewisses Verständnis bringt man dafür auf, wenn man bedenkt, dass die Sozialdemokratie in den 1930ern das Motto „Der Weg ist das Ziel“ für ihre Politik der Unterordnung unter die herrschenden Kräfte missbraucht hat. Aber gerade die Debatte seither zeigt auch, wie gefährlich, ja kontraproduktiv es ist, sich in einer sich schnell wandelnden Welt auf eine bestimmte Struktur als „Endziel“ festzulegen. Anstelle einer sorgfältigen Struktur-, Herrschafts- und Klassenanalyse ließ sich denn auch die seinerzeitige Linke auf die theoretisch tiefstehende politische Auseinandersetzung zwischen den Sowjet-Ideologen und den Maoisten ein[fn] Ganz nebenbei: Die Maoisten warfen damals in der „Polemik über die Generallinie“ (1963/1964) auf eklatant unsinnige Weise den Jugoslawen vor, dort den Kapitalismus schon wieder eingeführt zu haben. Es macht betroffen zu sehen, wie die heutige chinesische Wirklichkeit diesen Vorwürfen entspricht und sie noch weit übertrifft.[/fn] , und zwar in jeweils deren Ausdrücken!

I. Einige Hinweise auf die sowjetische Erfahrung

Wenn gerade festgestellt wurde, dass es zur Frage von Planung oder vom Verhältnis zum Markt kaum mehr Literatur gibt, so stimmt dies nicht eigentlich für wirtschaftshistorische Beiträge zur Entwicklung der Sowjetwirtschaft. Aber es ist auffällig, dass es – vor allem im angelsächsischen Sprachbereich – wiederum fast nur zur sowjetischen Wirtschaft Bücher und Abhandlungen gibt, kaum zur Wirtschaft des osteuropäischen Vorfelds. Die Auseinandersetzung mit der Ex-DDR ist zwar ein ganz wesentliches Anliegen der politischen Klasse und ihrer Ideologen in der BRD. Es gibt aber nur sehr wenig solide Arbeiten (fundamental: Heske 2005). Andere geben völlig unnachvollziehbare Daten…
Allein das zeigt, dass hier offenbar ein gewisses aktuelles Problem liegt. Das ist schnell zu benennen. Betrachtet man die Sowjetwirtschaft nicht sosehr aus der Perspektive des Sozialisten, sondern viel mehr aus der des mainstream-Ökonomen, insbesondere des Entwicklungs-Ökonomen, dann muss man nämlich feststellen: Aus der Perspektive der Wachstumsraten und ähnlicher Fetischismen war dieses System ziemlich erfolgreich. Es gibt einige wenige, die dies so feststellen (Allen 1998 und 2003). Sie handelten sich wütende Proteste der Mehrheit ihrer Kollegen ein, auch wenn sie sich vom politischen System distanzieren (z. B. Ellman, Tucker, Khanin,. Kornai, Hunter, u. a.). Denn das darf schlichtweg nicht sein; selbst dieser „Erfolg“, trotz schließlichem Zusammenbruchs, könnte manche Menschen auf gefährliche Gedanken bringen.

Die Beiträge sind vor allem wegen ihrer, leider oft zweifelhaften, Daten, von Interesse. Der analytische Teil beschränkt sich gewöhnlich auf den Fetischismus der mainstream-Techniken. Wenn man feststellt, dass die Substitutions-Elastizitäten zwischen Arbeit und Kapital niedrig waren (Easterly /Fischer 1994, 1995; in der Kritik noch viel stärker fetischisiert Beare 2008), so ist dies keine Erkenntnis, sondern nur eine Vernebelung der Überakkumulation. Hier müsste die Arbeit erst beginnen. War dies eine mikroökonomische Angelegenheit, also auf der Betriebsebene schlagend? Dann wäre es etwas völlig Anderes als eine makroökonomische Frage, die sich etwa auf Investitionen in unproduktive Sektoren richtete (etwa das berühmte „Zu-Tode-Rüsten“, an dem etwas gewesen zu sein scheint).

Sehen wir uns vorerst einige Eckdaten an! Ich nutze hier die Langfristdaten von Maddison, und zwar das BIP sowie das BIP pro Kopf, gerechnet in Geary-Khamis-Dollar von 1990, d. h. in Kaufkraft-Paritäten, die um die Teuerung deflationiert sind. Das ist problematisch, und die Zahlen sind nicht über allen Zweifel erhaben. Bei Broadberry / Klein 2011 z. B. weichen die Daten ab, sind aber in der Nachkriegszeit nicht auf Jahresbasis gegeben. Aber es ist immerhin ein erster Zugang, und der Länder-Vergleich, insbesondere über System-Grenzen hinweg hat kaum bessere Daten.
Nach der Oktober-Revolution war es die ursprüngliche Absicht der Bolschewiki, im Umbau der Wirtschaft mit einer gewissen Vorsicht vorzugehen. Es gab keinerlei Erfahrungen, und man war sich bewusst, dass man vor einer enormen Aufgabe stand. Der zuerst kurze Bürgerkrieg schien bereits im Frühjahr 1918 gewonnen. Aber der deutsche Angriff nach den vorerst gescheiterten Friedensverhandlungen ermutigte die Konter-Revolution. Die Westmächte griffen zuerst diskret und dann immer offener ein. Der Bürgerkrieg flammte wieder auf. Folge war Mangel, Hunger ˗ und der „Kriegs-Kommunismus“, ein nun schnell vorangetriebener Versuch, die Lage mittels Planung zu bewältigen.

Wachstumsraten des Sozialprodukts in % (Grundlage: Geary-Khamis-$ von 1990), Quelle: Maddison: Siehe Grafik 1 im Dateianhang.

Der niedrige Lebensstandard des Zarenreichs schon vor dem Krieg, das Ausbluten der Bevölkerung und der Wirtschaft im Ersten Weltkrieg brachte 1921, am Ende des Bürgerkriegs, eine Situation, welche auch Lenin nicht mehr zu bewältigen einschätzte. Die NEP, die Neue Ökonomische Politik, war ein Versuch, sich wieder auf die Selbstregulierung der Gesellschaft abzustützen. Das ist theoretisch von allerhöchster Bedeutung. Es ist die Aussage: Wir besetzen weiter die „Kommandohöhen der Wirtschaft“, wie die Wendung lautete. Aber wir überlassen dem Markt und eventuell sonstigen Selbstregulierungs-Mechanismen (örtliche Planung und Verwaltung) den Rest. Das Ergebnis war eine Stabilisierung der Situation in den 1920ern.

Ab 1928 setzte die Industrialisierung nach Stalin’schem Muster ein. Die Theorie dazu hatte Preobrazhenski mit der Ursprünglichen Sozialistischen Akkumulation geliefert. Wir sind, so die nicht bestreitbare Aussage, ein im Wesentlichen noch agrarisches Land. Die Mittel für die beschleunigte Akkumulation, die Investitionen in die Industrie müssen also im Wesentlichen aus dem Agrarsektor kommen. Und die müssen wir abschöpfen. So sehr verschieden ist dies nicht von der Aussage des Demographen Mackenroth (1953), in West- und Mitteleuropa hätten neben den Arbeitern nicht zuletzt die Bauern sich die Industrialisierung, die Ursprüngliche Akkumulation, abhungern müssen.

Diese Ursprüngliche „Sozialistische“ Akkumulation ging nun parallel mit der Verstaatlichung der Landwirtschaft und dem Aufbau der Zentralverwaltungs-Wirtschaft. Die unmittelbare Folge war der Hunger von 1932/33. Er war das Ergebnis des vereinten Handelns der Stalin` schen Behörden und der, vor allem ukrainischen, Bauern. Die Bauern setzten den Verstaatlichung Widerstand entgegen, und als der politische Widerstand nichts nutzte, gingen sie zu brutaleren Mitteln über. Sie schlachteten das Vieh und zerstörten z. T. ihre eigenen Produktions-Mittel. Die Konsequenzen allerdings ließ sie Stalin zu einem Gutteil selbst tragen: Mehrere Millionen Menschen verhungerten in diesen Jahren. Die Hungerperiode betraf nicht nur die Ukraine, sondern auch andere Gebiete, insbesondere Kasachstan. Der Hunger erreichte aber auch andere Gebiete, und auch die Städte, Moskau etwa, waren betroffen.

Damit war der Widerstand gebrochen, und die Situation änderte sich entscheidend. Ab 1933 fing die Produktion stark zu steigen an. Auch der Lebensstandard verbesserte sich etwas: vor allem in den Städten. Dieser Sozialismus war von Anfang an eine urbane Bewegung. Schumpeter wird ziemlich beifällig anmerken, dass die industrielle Disziplin in der UdSSR hoch sei, und es dort keine Streiks gebe.

Hier ist noch der Große Terror zu erwähnen. Jenseits der menschlichen und politischen Folgen – die alte Garde der Bolschewiki wurde praktisch zur Gänze getötet, es gab rund 700.000 Erschießungen – hatte dies notwendig ökonomische Konsequenzen. Die Volkszählung von 1937 ergab mehrere Millionen Menschen weniger, als man in der Führung erhofft hatte. (Dafür wurde auch der Verantwortliche für die Zählung erschossen.) Überdies wissen wir, dass die schwere Niederlage am Beginn des Nazi-Angriffs nicht nur auf Stalins Realitätsverweigerung zurück ging, sondern auch auf die Zerstörung der Roten Armee und ihres Offizierskorps.

Der Zweite Weltkrieg brachte unglaubliche Zerstörungen und die mit Abstand größten Menschenopfer eines am Krieg beteiligten Landes. Die Nazis betrachteten die Sowjetbürger sowieso als Untermenschen. Und die eigene Führung setzte sie ohne Schonung im Krieg ein.
Der rapide Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Krieg konnte man allerdings auf die schon vorher geschaffenen politischen und ökonomischen Strukturen zurück greifen. Nun setzte eine Wachstumsperiode ein, wie es sie bisher noch kaum wo gegeben hatte. Sie dauerte etwa zwei Jahrzehnte.

Das erste und wichtigste Ergebnis ist: Sogar die langfristige Entwicklung von 1950 bis 1988 zeigt, dass die Wirtschaften des sowjetischen Lagers im Wachstum zwar etwas, aber nicht dramatisch zurück blieben, wenn man Frankreich als wachstumsstarkes Land des Westens als Referenz-Größe nimmt. Allerdings gibt es länderweise Unterschiede, auf die wir später noch eingehen müssen. Insbesondere die höher entwickelten Wirtschaften bleiben zurück, während die schlecht entwickelten Länder (Bulgarien, Rumänien, Jugoslawien) deutlich aufholen.

Der zweite Blick zeigt: Hier gab es deutliche Unterschiede im Zeitablauf. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen diese Wirtschaften sehr stark. Bereits in den 1970er sehen wir eine Verlangsamung. In den 1980er blieben sie dann deutlicher zurück. Aber selbst das war, dem Blick des Statistikers entsprechend, nicht dramatisch, weil diese Zeit zu kurz dafür war.

Das Wirtschafts-Modell der UdSSR war bis Mitte der 1960er und in Wirklichkeit auch noch danach am besten zu kennzeichnen durch: ursprüngliche realsozialistische Akkumulation. Das soll heißen: Die Sowjetunion und die meisten osteuropäischen Länder (nicht alle: nicht die ČSSR und die DDR) befanden sich noch im Übergang zu einer industriellen Gesellschaft und liefen eine nachholende Entwicklung durch. Der Kapital-Einsatz wuchs ständig, die Investitionsquote war dementsprechend sehr hoch; Arbeitskräfte wurden in steigendem Ausmaß eingesetzt – zumindest am Anfang hatte man sie ja in überreichlichem Maß! Aber die „Kapitalproduktivität“ ging tendenziell zurück. Das wäre fürs erste kein großes Problem gewesen. Bei Japan war dies nicht anders. Aber in Japan stieg die Gesamt-Produktivität (das „Solow-Residual“, der Teil, der nicht durch erhöhten Kapitaleinsatz erklärt werden kann) schnell, in der UdSSR nicht.

Man kann sich gut vorstellen, dass ein hoher Kapitalstand deswegen einmal aufgebaut werden muss, weil er für eine längere Zukunft ein Einsatz ist. Man darf sich dabei nicht von den heutigen kurzen Amortisationszeiträumen in der Buchhaltung täuschen lassen. Auch haben viele Güter im Produktionsmittelsektor durchaus einen multiple-use-Charakter. Man kann sie zu verschiedenen Zwecken einsetzen. Man denke nur an den Maschinen- und Anlagenbau. Von den sozialen und mentalen Strukturen brauchen wir hier gar nicht zu sprechen. Die Disziplinierung der Arbeitskräfte auf eine bestimmte Art zu arbeiten ist eines der wichtigsten Ergebnisse der Ursprünglichen Akkumulation. Und es war die Hauptsorge Lenins nach der Oktober-Revolution (vgl. die Texte in Werke 27!), diese Disziplinierung durchzuführen. Immer und immer wieder betont er das in seinen Reden und Schriften.

Aus dem Hauptstrom kommt am ehesten Allen 2003 diesen Gedanken nahe, der auch sonst lesenswert ist. Seine Ausführungen besagen: Russland war im 19. Jahrhundert und noch bis zum Beginn des 20. ein unterentwickeltes Land, etwa auf gleicher Stufe wie Lateinamerika und Japan und nur wenig stärker entwickelt als China. Die Große Schere seit 1820 – ich würde sagen: beginnend bereits Anfang 17. Jahrhundert – hat zwei Entwicklungswege gesehen: Die bereits damals (1820) besser entwickelten Gesellschaften, im Wesentlich Westeuropa sowie einige Auswanderungsländer (USA, Kanada, ein halbes Jahrhundert später auch Australien und Neuseeland) konnten den Pfad einschlagen, der sie zur heutigen Höchstentwicklung führte. Die anderen, schlechter entwickelten Länder aber blieben noch mehr zurück und wurden zur unterentwickelten oder Dritten Welt. Zu dieser Kategorie zählte Ende des 19. Jahrhunderts auch das zaristische Russland. „Wenn man mit den armen Ländern der Drittem Welt vergleicht, war der sowjetische Erfolg überragend, sogar unter Einbezug des Wachstumsknicks nach 1970“ (4). „Sie übertraf auch den [Wachstums-] Prozess in den OECD-Ländern“ (7). Denn alle Indikatoren weisen das seinerzeitige Rissland als „nichteuropäisch“ aus (12ff.): „Dem zaristischen Russland mangelten die sozialen, rechtlichen und ökonomischen Institutionen, welche Wachstumstheoretiker als Voraussetzung für eine [erfolgreiche] kapitalistische Entwicklung sehen“ (16). Und Allens Schlussfolgerung lautet: „Ohne die kommunistische Revolution und die Fünfjahrespläne wäre Russland so rückständig geblieben wie der Großteil Lateinamerikas oder Südasiens. Dieses Schicksal wurde durch Stalins Institutionen vermieden“ (17). Der Autor identifiziert sich gelegentlich als Tocquevillianer, d. h. als Liberalkonservativen. Was aber – stärker im theoretischen Teil noch zu diskutieren sein wird, sind Fragen wie: Ist in solchen Gesellschaften der autoritäre oder sogar totalitäre Weg wirklich unvermeidlich?
Tatsache ist, dass in Japan schließlich trotz ziemlich beachtlichen Rückgängen der Kapital-Produktivität in den 1950er/60er Jahren der Schritt zur hochproduktiven Wirtschaft gelang, in der UdSSR bei quantitativ ähnlichen Verhältnissen nicht (vgl. die Daten bei Cohn 1976). Tatsache ist weiters, dass der Pinochetismus, die Kombination von rigid-autoritärem politischem System mit einem menschenverachtenden Kapitalismus, derzeit, seit rund drei Jahrzehnten, in China für das Wachstum – d. h. noch nicht: für den Wohlstand – sehr erfolgreich durchgeführt wird. Auch die Erfolge in Taiwan und in Südkorea sind anzuführen. (Eine etwas andere Sache ist Singapur, oder Hongkong, wo dies ähnlich zu sein scheint. Doch diese Gesellschaften sind als Stadtstaaten von Vorneherein nicht wirklich mit Flächenstaaten zu vergleichen.)

Trotzdem schien bis damals dieses Modell technisch durchaus erfolgreich zu sein – wenn man als Erfolg die Transformation einer Agrarwirtschaft in eine Industriegesellschaft versteht, die ursprüngliche Akkumulation somit, diesmal bewusst ohne das Epitheton „sozialistisch“, ohne näher auf die sonstigen sozialen Strukturen zu achten. Die ging in atemberaubend kurzer Zeit vor sich. Ein beträchtlicher Kapitalstock wurde aufgebaut; man disziplinierte erfolgreich die Bevölkerung; die Arbeitsbevölkerung wurde in starkem Maß in die Industrie verschoben; ein ständig wachsender Teil der Bevölkerung erhielt eine höhere Ausbildung; die Frauen wurden nicht nur in der Theorie, sondern auch in der wirtschaftlichen Praxis zu vollwertigen Arbeitskräften – die Erwerbsquote in der UdSSR war dementsprechend die mit Abstand höchste im Ländervergleich.

Die erste und wichtigste Schlussfolgerung können wir hier bereits ziehen: Der „Realsozalismus“ ging nicht an mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu Grunde, obwohl sich eine solche Leistungsschwäche massiv andeutete.[fn] Es ist schlichtweg falsch, wenn Baumol u. a. (2007, 7) behaupten: „History has shown that central planning cannot deliver high and rapidly improving standards of living and we therefore will not consider it”. Aber selbst aus diesem grottenschlechten Propagandabüchlein last sich eins lernen: Die Funktion, welche im Kapitalismus die Unternehmer erfüllen, muss in einer sozialistischen Wirtschaft in irgendeiner Weise eingebracht wurden.[/fn] Das gilt umso mehr, als die Verteilung durch ihre wesentlich größere Gleichmäßigkeit als im Westen den Wohlstandseffekt des erarbeiteten BIP im Vergleich ja erhöht. Diejenigen, welche dem sowjetischen System mangelnde Leistungsfähigkeit im technischen Sinn vorwerfen, fallen eigentlich im Nachhinein auf die sowjetische Propaganda hinein: „Einholen und überholen“. Das ist, als wenn man von einer Wirtschaft, die um 1900 die Leistungsfähigkeit der Türkei hatte, im Jahre 1980 die Leistungsfähigkeit Westeuropas verlangen würde. Das soll nicht die Schwächen unter den Teppich kehren.

Es gab Überakkumulation. Die Investitionen waren zu hoch, in dem Sinn, dass sie nicht die erhoffte Effektivität brachten. Das war ein Kennzeichen, ja für Manche sogar ein Fundamentalkriterium des ökonomischen und politischen Gefüges der UdSSR (vgl. Carli 1972). Schließlich entscheidend, schon als Wiederholung: Die Leistungsfähigkeit ließ mit der Zeit, jedenfalls nach diesem Indikator nach. Aber solange das Warenangebot noch stieg, dürfte diese makroökonomische Tatsache für die Bevölkerung nicht wirklich von Bedeutung gewesen sein.

Eine wesentliche Frage ist jedoch, in welchem Ausmaß diese Wachstumsraten in der UdSSR in den letzten 1 ½ Jahrzehnten teilweise nicht nur ein artifizielles Wachstum darstellten. Wenn nur der Kapitalstock wächst und sich dies nicht im Lebens-Standard widerspiegelt, hat die Bevölkerung von den rechnerischen Wachstumsraten nichts. Das Sinken der Lebenserwartung, das bei Männern bereits Ende der 1960er begann – es führte dazu, dass die UdSSR eine Zeitlang die Publikation von Daten einstellte – , könnte auf eine solche Situation hinweisen. Allerdings scheint es nach einer gewissen Phase der Stagnation ein wirksames gewisses Wachstum tatsächlich auch noch oder wieder in den 1980er Jahren gegeben haben (Brainerd 2005 und 2008).

Bereits in der ersten Periode nach dem Zweiten Weltkrieg, von 1950 bis etwa 1965, des damals noch sinnvollen extensiven Wachstums wurde der Grund für die folgende Stagnation gelegt. Das politisch-soziale System beruhte nahezu ausschließlich auf Kontrolle und Disziplinierung von oben. Der Appell an die Eigeninitiative war verpönt. Auch die im Gefolge der Marktdiskussionen der 1960er verstärkten materiellen Anreize für das Management belohnten nicht etwa Innovation und eigene Ideen, sondern ausschließlich Planerfüllung. Die Folge war, dass man sich auch in der 2. Periode von 1965 weg technisch nahezu ausschließlich auf die Fortschreibung der Kapital-Akkumulation abstützte. Die Produktivität blieb weiterhin außer acht. Was in der 1. Periode eine gewisse Berechtigung hatte, wurde in der 2. Periode ganz kontraproduktiv. Man kann nicht in einer bereits transformierten Wirtschaft das Modell der ursprünglichen Akkumulation weiter schreiben. Das Ergebnis war eine riesige Verschwendung.

Damit, und das ist bereits die erste Interpretation, verloren diese Systeme eine der wichtigsten Legitimationen, die sie hatten: „Wir sind im Wachstum besser als die anderen!“ Ein weiterer Punkt, auf den hier auch bereits hinzuweisen ist: Die Zyklizität war (wenn die Daten stimmen, die hier besonders fragwürdig scheinen) enorm hoch, siehe Graphik, viel höher als im Westen. Politische Zyklen waren offenbar gang und gäbe. Das bedeutet, dass offenbar die Verschwendung (s. u.) durch eine Art von Konjunktur hoch war und von der Planung nicht behoben wurde, wie man annehmen könnte. Ein wichtiges Argument von Planungs-Befürwortern verlöre damit viel an Überzeugung.

Wir haben die Problematik sowohl ökonomisch wie auch politisch zu diskutieren. Damals lag der Schwerpunkt für die Teilnehmer im Osten eher auf der Ökonomie, für jene im Westen eher auf der Politik. Man muss dies und die folgende Debatte auch im Licht dessen sehen, was seither, vor allem 1989 und die paar folgenden Jahre, geschehen ist. Hier ist nicht der Platz für eine theoretische Analyse der sogenannten „Wende“. Sehr grob zusammengefasst, kann man sagen:

Die Nomenklatura, die herrschende Bürokratie der Sowjetsysteme, war keine Einheit, insbesondere nicht nach dem Nachlassen ihrer Anfangserfolge und der Effizienz ihrer Systeme. Ein Teil der Elite hatte seit den 1960er Jahre auf den Markt gesetzt. Man begann vorwiegend in Ländern des Satelliten-Gürtels zu experimentieren, in Polen und in der CSSR. Die Entwicklung in der CSSR geriet außer Kontrolle und wurde mit militärischen Mitteln und unter Hilfe einer starken Gruppe von Kollaboratoren in der KP bereinigt. Das schein der anderen Gruppe Recht zu geben. Sie hatte darin eine Gefahr erblickt und nahm eher tendenzielle Stagnation in Kauf. Für ein Jahrzehnt versuchte man die Situation einzufrieren. Allerdings wussten die politischen und Planungs-Eliten, dass dies auf die Dauer nicht zu halten sein würde. Man begann also erneut zu experimentieren, diesmal in Ländern, auf die man sich verlassen konnte. So findet man Anfang der 1980er neuerlich Versuche mit Marktelementen in Bulgarien.

Als in der Sowjetunion nach den großen Erfolgen der Nachkriegszeit die ersten groben Probleme auftauchten, hatte man sofort eine technizistische Wende versucht: Das Preissystem muss reformiert werden! Einer der führenden Techno- und Bürokraten der Planbehörde, V. V. Novozhilov, lieferte einen Beitrag, der wie eine naive Version der Hayek’schen Argumentation klang: Nur die Preise liefern genug Information (über was und für wen eigentlich?), und sie müssen nach Grenzkosten kalkuliert werden. Und im Übrigen haben wir jetzt die Computer und die lineare Programmierung. Man muss ziemlich gründlich nachstoßen, um einigermaßen zu begreifen, um was es ihm geht, wo die wirklichen Probleme liegen. Die grundlegende theoretische Aussage ist: Die (Arbeits-) Werte geben nur das Abbild eines allgemeinen Gleichgewichtssystems. Doch die moderne Wirtschaft mit ihrem technischen Fortschritt (auch so eine beliebte Fetischisierung) kann nur auf Basis von marginalen Größen kalkuliert werden. Das Problem der Unsicherheit und der Planbarkeit wird damit auf die technische Frage nach der Produktionsfunktion reduziert. Man begreift schließlich, dass er Mühe hat, zwei unterschiedliche Probleme auseinander zu halten: Das eine war die praktische Wirtschaftsorganisation mit ihren verzerrenden Anreizen durch Mengen-Vorgaben. Das andere ist das Grundsatzproblem der sozialen und ökonomischen Zielsetzung: Wohin soll die Entwicklung gehen, und wer bestimmt das? Das Problem der Kontrolle der Planer oder gar der Nomenklatura insgesamt kommt gar nicht zur Sprache. In dieser entschärften Form gingen seine Überlegungen schließlich in die Reden und Dokumente Kossygins und damit in die reale Politik ein.
Die Eliten wussten, dass sich ein Problem anbahnte, lange, bevor die Bevölkerung dies wirklich deutlich spürte. Man könnte sogar sagen: Der Sowjet-Block ging nicht sosehr an der wirtschaftlichen Unzufriedenheit der Bevölkerung – die gab es natürlich auch, wie überall – . sondern an der Angst der Nomenklatura vor der ihr wohlbekannten düsteren Zukunft zu Grunde. Dazu war dies ein internationales System. Als sich daher in der UdSSR in der Gorbatschev-Zeit die Eliten spalteten, verlor Moskau die Fähigkeit zur Kontrolle der anderen Staaten. Es war ein komplexer Prozess.

Die Nomenklatura hatte jedes Verständnis für politische und soziale Bedingtheiten verloren. Sie fasste die Probleme nur mehr als technische Bedingungen auf und wunderte sich, dass keine der Reformen griff. Vor allem aber wollte sie das Modell nicht wechseln, weil sie mit ihrer Herrschaft über die Planung die Herrschaft über die Gesellschaft nicht abgeben wollte. Das geschah erst, als sie keinen anderen Ausweg mehr sah.

Die Elite als Ganzes gab nicht zuletzt unter Druck von Teilen der Bevölkerung unter der Führung oppositioneller, weitgehend westlich gerichteter Intellektuellen („wir sind das Volk“) die Staatsmacht ab. Der marktorientierte Teil der Bürokratie wandelte sich in den Folgejahren zu einer Bourgeoisie westlichen Typs um. Überall in Osteuropa lief in den 1990ern der selbe Prozess ab: In einer Korruptionswelle geradezu ungeheuren Ausmaßes bemächtigte sich ein Teil der alten Eliten der Produktionsmittel. Sie öffnete sich dabei sowohl anderen Elementen aus der Gesellschaft als auch dem westlichen Ausland und wurden so aus einem Teil der Nomenklatura ein Teil des internationalen Kapitals. Sie erhielt insgesamt die Unterstützung des größeren Teils der Bevölkerung und konnte so politisch die zahlenmäßig kleinen Intellektuellen-Gruppen mit ihren Flausen weitgehend auf die Seite schieben, z. T. auch inkorporieren (etwa Vaclav Havel). So fand sprunghaft das statt, was tatsächlich kaum jemand wirklich erwartet hatte: eine umfassende Restauration.
Damit ließe sich tatsächlich fragen: Wie weit hatten die alten, systemkonformen Markt-Reformen zu diesem Prozess beigetragen? In aller Kürze: Das scheint die falsche Frage zu sein. Die Frage ist eher: Warum hat die Bevölkerung einer so fundamentalen Klassenverschiebung weitgehend Zustimmung gegeben?

Und eine weitere, fundamentale Frage: War das in der Sowjetunion und ihrem Vorfeld eine „sozialistische Wirtschaft“? „We recognise … that the Soviet type societies were in a significant sense socialist“ (Cockshott / Cottrell 1993, 1. Eine Klassenanalyse fehlt ganz.

Ich gebe zu, dass die Problematik nicht ganz einfach ist, glaube aber, dass dies ein verhängnisvolles Fehlurteil ist. Es gehört sicher zu den schwersten Verfehlungen wider den Geist wissenschaftlicher Analyse, etwas, das einem nicht gefällt, aus der Welt zu definieren, indem man es umbenennt. Doch kaum jemand würde heute eine historische Analyse akzeptieren, welche die Incas oder die alten Ägypter „sozialistisch“ nennt, nur weil sie Wirtschaftsplanung betrieben (Baudin, Rostowtzeff). Ebenso wenig würde man in unserem Sinn die maoistische Neue Demokratie oder die osteuropäischen Volksdemokratien als solche Demokratien anerkennen, welche wir so prädikatieren. Hier dürfen wir also die Selbstbenennung ablehnen, und dort nicht?

Wieder einmal ist eine Frage falsch gestellt: Sie müsste wohl heißen: Wie entstand aus der Oktober-Revolution, welche Lenin und die Bolschewiken sozialistisch wollten, die Herrschaft einer Bürokratie? Weiters kann man wohl fragen: Hatten sich aus dem sozialistischen Impulsen des Beginns noch Strukturen erhalten, welche überlegenswert auch für die Zukunft sind? Der Versuch einer Wirtschaftsplanung, die deutlich größere Gleichheit in der Verteilung wären etwa solche Züge. Warum aber wurde aus diesem Ziel, einem Menschheits-Ziel schlechthin, so schnell eine Politik, die hauptsächlich am Machterhalt der Führungsgruppe interessiert war? Wo steckt der theoretische Fehler des damaligen Marxismus? Wo steckt der politische „Fehler“ – ein unzureichendes Wort! – der Führungsgruppe? Und schließlich, und diese Fragen werden wir im zweiten Teil des Papiers hauptsächlich stellen: Wie sehr sind Nicht-Waren und -Dienste wesentlich für den Sozialismus?

II. Grundsätzliche Überlegungen zu Plan und Markt

Die Auseinandersetzung um Planung wurde stets als sozial-anthropologischer, ja als philosophisch-anthropologischer Streit geführt. Die Sozialisten haben dies gewollt. Und die Neoklassiker und insbesondere die „Österreicher“ stiegen nur zu gern darauf ein. Heute gibt es innerhalb des Hauptstroms eine Sekte, die sich stolz wieder „Österreicher“ nennt, und das ist ein Deckmantel für den US-Begriff der „Libertären“ geworden (vgl. etwa Brewster 2002). Eine Auseinandersetzung mit ihnen bringt gar nichts. Wohl aber ist es nötig, sich um die Grundlagen von Gesellschaft und Kultur Gedanken zu machen.

Eine der wesentlichen Fragen ist: Wie lässt sich Selbstbestimmung, ein wesentliches sozialistisches Anliegen, mit Großorganisation verbinden, ein ebenso wesentliches Anliegen, weil daran der Wohlstand hängt. Dieser Widerspruch muss stets aufs Neue gelöst werden.

1. Welche Theorie?

„Der gesamte Begriffsapparat [Marx’] wird unzutreffend, weil er für eine wesentlich andere Situation entworfen wurde. Wenn die sozialistische Wirtschaft eine Werttheorie haben soll, muss es eine ganz andere Theorie sein. … Die Marx’sche Werttheorie ist für eine sozialistische Wirtschaft weder gedacht noch anwendbar“ (Horvat 1973, 21). Was da ein seinerzeit gelesener Theoretiker der jugoslawischen „sozialistischen Marktwirtschaft“ schreibt, ist wörtlich durchaus richtig. Und es ist doch im Inhaltlichen grundfalsch. Sehen wir kurz einmal davon ab – was an sich schon ganz falsch ist – , dass es sich bei beiden Gesellschaften um Industrie-Gesellschaften handelt, dass also beide Gesellschaften eine vergleichbare technologische Grundstruktur aufweisen. Dann bleiben doch zwei Hauptprobleme: (1) Nur Arbeit schafft (im Kapitalismus) Wert, und nur Arbeit ist (im Sozialismus) Grundlage für eine Kategorie, die dem Wert nahe kommt, für die wir aber bislang leider keinen Begriff haben: Ich würde Wert-Äquivalent vorschlagen, der Kürze halber Äquivalent, oder, wo keine Gefahr des Missverständnisses besteht, auch „Wert“. – (2) Das Problem des Äquivalenten-Tauschs besteht auch in einer sozialistischen Gesellschaft solange, wie – wovor uns Zeus bewahren wolle – nicht ein Großteil der Produkte direkt zugeteilt werden. Und gerade in einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ müssen die Konzepte der Politischen Ökonomie zwar modifiziert, aber strikt angewendet werden. Mit Stalins (1950) „Ökonomischen Problemen“ hüpfen wir da nicht weit.

Ein zweites Theorie-Element ist für die Praxis von großer Bedeutung. In einer modernen Wirtschaft werden sehr viele Waren hergestellt. Die theoretische Antwort war das Walras‘ sche Allgemeine Gleichgewichts-Theorie. Aber schon Morishima hat, bei all seiner Hochachtung vor Walras bemerkt: Das Ergebnis ist, dass Alles mit Allem zusammenhängt, und das ist nicht unbedingt sonderlich nützlich. Nun wird aber die Frage praktisch: Cockshott / Cotrell 1993 rechnen vor: Bei 1 Million Waren ergibt dies 106 Gleichungen, für deren Lösung 1018 Rechenschritte sind. Dafür braucht ein Hochleistungsrechner (ihrer Zeit) 16.000 Jahre. Sie begegnen dem selbst sofort mit dem Hinweis, dass es Iterationsverfahren gibt, die nicht Tausende von Jahre, sondern nur wenige Minuten brauchen. Überdies gibt es mittlerweile Rechner, welche selbst das originale Gleichungssystem in einem Bruchteil der Zeit erledigen könnten.

Das könnte man theoretisch stringenter begründen: Sraffa 1960 hat seine Wirtschaft in zwei Sektoren unterteilt (und Marx steht mit seinen Reproduktions-Schemata im Hintergrund): Der eine erzeugt Güter, die wieder in alle Güter als Zwischenprodukte eingehen (man könnte, mit leichter Verschiebung der Bedeutung, von „Subsistenz-Gütern“ sprechen. Der zweite Sektor erzeugt nur Luxus-Güter, ist also ein abgekoppeltes System. Damit wäre nur der erste Sektor von Belang. Sagen wir, in Analogie zum obigen Beispiel, dies seien (3 x) 103 Güter (in Klammer 3, weil dies dann hieße: 1 – 3 Tausend) und damit Gleichungen. Dann blieben (33) 109 = 109 Rechenschritte, und die könnten in 40 Sekunden bis 20 Minuten gelöst werden. – Es wird kein Zufall sein, dass die DDR seinerzeit Sraffa ins Deutsche übersetzen ließ, obwohl er Ricardianer und nicht Marxist war.

+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++Zwei Mal jährlich wird eine Liste der schnellsten Rechner veröffentlicht. Das sieht dann so aus:
NZZ, 20. Juni 2012: Parade der Supercomputer:
„Den ersten Platz belegt ein Sequoia … [von] IBM im Auftrag des amerikanischen Energie-Departments… Das System erreicht 16,32 Petaflops (1 PF = 1015 Gleitkomma-Operationen pro Sekunde) … Der SuperMUC, der schnellste Computer aus Europa (aus der Schweiz), weltweit mit 3 Petaflops die Nummer 4, [wurde] … von IBM für das Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gebaut. … Knapp 3 / 4 aller Super-Computer sind mit Chips von Intel bestückt.“
NZZ, 12. November 2012 17,6 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde
„Die neueste, am Montag veröffentlichte, 40. Ausgabe dieser Liste wird von einem Titan genannten System angeführt. Es wurde von Cray für das amerikanische Oak Ridge National Laboratory in Tennessee gebaut. Die Rechenleistung wird mit 17,6 Petaflops angegeben. Das sind 17,6 Billiarden oder 17 600 000 000 000 000 Gleitkomma-Berechnungen pro Sekunde.
Titan mit seinen 560.640 Rechenkernen verdrängte eine Sequioia genannte Maschine von der Spitzenposition. Dieser Supercomputer wurde von IBM für das amerikanische Lawrence Livermore National Laboratory gebaut. Auf Platz drei folgt Fujitsus «K Computer» im japanischen RikenAdvanced Institute for Computational Science.“
Nicht nur steigert sich die Leistung von Halbjahr zu Halbjahr deutlich, Die Nützer sind auch durchaus nicht nur Regierungen von Supermachten.
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Die Aussage ist: Die Nahezu-Unmöglichkeit für Planung wegen zu hoher Komplexität ist technisch heute nicht (mehr) gegeben. Das stimmt umso mehr, als der praktisch viel wichtigere Aspekt, dass Sammeln von passenden Daten, heute erst recht nicht mehr gegeben ist. Jeder Supermarkt hat heute Kassen, die gleichzeitig Lager-Buchhaltungen sind und es daher erlauben, in Echtzeit die Nachfrage nach einem bestimmten Gut zu erkennen und zu übermitteln.

Daraus ergibt sich eine ganze Reihe von Folgerungen. Resummiert: Bei aller Wichtigkeit von Technik ist die Frage der Planung ein soziales bzw. politisches Problem, kein technisches. Wir werden später darauf zurüclkommen müssen.

2. Planung ist Machtausübung

Planung ist die Kontrolle und die bewusste Gestaltung der ökonomischen Arbeitsteilung. Wir können in dieser Arbeitsteilung abstrakt zwei Aspekte unterscheiden: die technische Arbeitsteilung und die soziale Arbeitsteilung. Unter sozialer Arbeitsteilung haben die sozialistische Bewegung und übrigens auch die Sozialwissenschaft (Durkheim: Division du travail) seit je die Arbeitsteilung „zwischen Kopf und Hand“ verstanden, die Teilung in Herrschende und Beherrschte. Aber auch die technische Arbeitsteilung, jene der Produktion in verschiedene Branchen und der Arbeitenden in verschiedene Berufe, ist untrennbar mit Organisation, d. h. mit Herrschaft verbunden. „Stellvertretung“, das verbindliche Handeln eines Menschen für (viele) andere Menschen, ist definitorisches Zeichen jeder Großorganisation. Stellvertretung heißt daher Machtausübung über andere Menschen. Damit wird das Problem der Herrschaft in der Planung um eine Qualität akuter als bei jedem Markt. Wer Herrschaft kritisch betrachtet, wird daher auch an Planung mit einem erheblichen Vorbehalt herangehen müssen.

Aber Stellvertretung bedeutet noch mehr. Es hat eine anthropologische Qualität. Machtausübung wird als Hegemonie erst möglich, wenn ich freiwillig einen anderen Menschen als mir gleich akzeptiere. Wie ist so etwas möglich? Es ist der Ausdruck der Kultur in der Organisation. Damit erhält die seinerzeit so beliebte Debatte um Entfremdung einen neuen und höchst dialektischen Charakter (s. u.). In der Identifikation mit einer anderen Person, d. h. der sozialen Identität, drückt sich die Reflexionsfähigkeit des Menschen aus. Diese Identität heißt keineswegs eine vollständige Identifikation. Stets wird das persönliche Selbstbewusstsein erhalten bleiben. Damit ist ein fundamentaler Widerspruch in der conditio humana enthalten. Lenin scheint dies bisweilen gesehen zu haben. Er spricht vom Wettbewerb und nennt die (kapitalistische) Konkurrenz eine spezifische Form dieses Wettbewerbs. Er entwickelt den Gedanken nicht weiter. Aber die Grundidee ist unentbehrlich.

Es gibt hier einen Widerspruch, der in der Linken nahezu tabu ist: der Widerspruch zwischen individueller Identität bzw. Einzelinteresse einer Person und einer gesellschaftlich-politisch angestrebten („optimalen“) Entwicklung. Je größer die gesellschaftliche Handlungseinheit ist, umso stärker kann und wird sich dieser Widerspruch entwickeln. Dies ist von höchster Bedeutung für politisch bewusst gestaltete Gesellschaften und geplante Wirtschaften. Ich kann eine bestimmte Zielvorstellung durchaus als sinnvoll und berechtigt auffassen, und doch in meinem unmittelbaren Interesse verletzt sein. Das Muster-Beispiel dafür ist heute die Diskussion über die Klima-Frage. Im Realsozialismus wurden Widersprüche dieser Art in der Regel geleugnet.

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„Vorsicht vor dem Markt – er ist die Geheimwaffe des Kapitalismus! Umfassende Planung ist der Kern des echten Sozialismus! … Marktsozialismus … kann ein tödliches Gift sein, wenn man ihn in großen Mengen und ohne genügend Gegengift anwendet“ (Huberman / Sweezy [1964], in: Strotmann 1969, 46, 48). – „Das letzte Ziel ist die vollständige Abschaffung der Marktmechanismen; es gibt keinen Zweifel, dass dies nur möglich ist, wenn auch der Staat verschwindet“ (Bettelheim; in: Strotmann 1969, 115.
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Markt ermöglicht einzelwirtschaftliches Handeln in einer anonymen Struktur und damit dem Einzelmenschen eine gewisse Unabhängigkeit vom politischen System. Das haben die Anarchisten gesehen und waren daher teils durchaus marktfreundlich. Aber er ermöglicht auch privaten Herrschaftsaufbau. Und das war die wesentliche historische Funktion. Denn Marktwirtschaft war in der Realität immer kapitalistische Wirtschaft. Wir reden aber hypothetisch von einer Gesellschaft, deren politisches System demokratischen Grundanforderungen genügt. Politische Kontrolle und Steuerung der Wirtschaft hat somit den kontrollierten Markt zu gestalten. Neben der politischen Kontrolle über die Planung ist daher aus demokratiepolitischen Gründen die Berücksichtigung von Markt-Mechanismen unerlässlich. Das haben die alten und neuen Liberalen durchaus richtig gesehen. Hier liegt die Stärke der Ideologen dieser neuen Konservativen. Bevor wir Effizienz-Überlegungen anstellen, und die sind keineswegs unwichtig, dürfen wir somit grundsätzliche politische Zielüberlegungen nicht aus dem Weg gehen.

Man muss sich vor ideologischen Fallen hüten. Einige Ökonomen beziehen sich auf die Zweite österreichische Schule, d. h. im Wesentlichen Hayek. Nun ist Hayek nicht zufällig zum Parade-Ideologen der Neokonservativen avanciert, auch weil er bisweilen mehr Hirn investiert, als seine Vorläufer der Ersten österreichischen Schule (Menger, Böhm-Bawerk, etc.). Während diese von der Ewigkeit kapitalistischer Wirtschafts-Konzepte ausgehen, weiß Hayek, dass diese Ergebnisse einer sozialen Evolution sind, und dass „Marktwirtschaft“ auch vermutlich wieder verschwinden wird. Und er hatte zwei oder drei gute Gedanken. Der eine wurde sofort ideologisiert, nicht zuletzt von Popper in dessen Kampf gegen den „Historismus“, d. h. den Marxismus. Wissen ist ein wesentlicher Faktor der Entwicklung. Zukünftiges Wissen ist per definitionem nicht vorweg nehmbar. Dieses verführerische Argument ist eine Falle. Es übergeht den Zeithorizont. Im ökonomischen Planungs-Horizont von 5 ˗ 10 Jahren spielt dies überhaupt keine bis nur eine geringe Rolle. Es würde auch sonst jede Planung, auch auf betrieblicher Ebene unmöglich machen. Das ist aber im Allgemeinen nicht der Fall, wenn es auch nie ganz auszuschließen ist.

Im Großen und Ganzen trägt diese sogenannte Sozialistische Kalkulations-Debatte Züge von scholastischen Diskusionen über das Geschlecht der Engel an sich ˗ wie übrigens viele Probleme ökonomischer Theorie. Sie hat sich, von konservativer Seite auch leicht verschoben: von „Planung ist nicht möglich“ auf „rationale Planung ist nicht möglich“. Zudem begehen die „Österreicher“ (d. h. Mises, Hayek und ihre Jünger) einen groben logischen Fehler. Sie verwechseln die Konsumenten-Souveränität, die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Einzelperson, mit Markt. Das ist so, als ob jemand Möbel kaufen wollte, aber bei allen Möbeln ständig auf einen „Tisch“ insistieren würde. Aber da es erstens die Debatte der Sieger ist, da zweitens, wenn auch sehr verdeckt, einige wichtige Elemente herauszufiltern wären, muss man sich in gewissem Grad darauf einlassen.

Ein Konzept, das aber gerade als Argument für Planung mit demokratischen Zügen wunderbar einsetzbar ist, ist die Existenz von informellem Alltagswissen („tacit knowledge“) als fundamentale Tatsache. Denn wenn dies für den Markt so wesentlich ist, dann ist der Hinweis fällig, dass in der Gegenwartsstruktur des Kapitalismus nur eine Minderheit dieses Wissen einsetzen kann. In verallgemeinerter Partizipation aber sollen dies alle, die es wünschen einbringen können.

3. Planung ist Herrschaft einer Technokratie

Stets wird in diesen Texten von Politik und dem Vorrang der Politik, z. B. vor dem Privaten gesprochen. Ganz verloren geht dabei: Politik heißt Organisation, und Organisation heißt immer auch Macht und Herrschaft. Aus der Sicht der Autonomie für das Individuum wäre doch idealer Weise das Primat des Gesellschaftlichen das Ziel. Gramsci begreift dies durchaus, er hilft sich aber mit einem Trick aus der Patsche: Er spricht von società regolata und schwindelt sich – man könnte sagen: auf anarchistische Weise – damit darüber hinweg, dass auch eine solche Gesellschaft Zwang anwenden wird und damit zum Staat wird.

Wenn wir uns mit Planung beschäftigen, setzen wir uns mit dem technokratischen Aspekt der modernen Wirtschaft auseinander. Technokratie bezeichnet nicht nur als Sprachkonstrukt eine Macht-Beziehung. Planung ist somit keineswegs notwendig „sozialistisch“. Man kann in ganz unterschiedlichem Interesse planen. Man hat oft genug angemerkt, dass das „Absterben“ des Staats ausgerechnet dort propagiert wurde, wo der Staat besonders unterdrückend auftrat. Es war ein grober Irrtum Lenins, diesen Aspekt für die Hauptstruktur des Sozialismus zu halten. Das war ein Sozialismus-Verständnis, welches jeder (?) Linke heute ablehnen würde. Mustergültig kommt diese Sicht in einer Reihe von Texten im Jahr nach der Oktober-Revolution (Werke Band 27) zum Ausdruck, auf die ich schon hinwies. Aber das kann man auch heute noch antreffen, und zwar vorwiegend in konservativen Kreisen. In der NZZ, 11. April 2012, findet sich ein Artikel[fn] Haro von Senger, China denkt in langen Zeiträumen [/fn] , wo „Sozialismus“ bzw. „Marxismus“ ganz unreflektiert synonym mit Bürokratie und Planung verwendet wird. Dies war wohl auch Schumpeters (1975 [1942]) Verständnis von Sozialismus, das ihn, den Konservativen, dazu brachte, den Sozialismus für unvermeidbar zu halten – und den Stalin’schen Repressionen (z. B. der Gewerkschaften) mit einer gewissen Sympathie gegenüber zu stehen. Es war dies das Verständnis der Zweiten, der sozialdemokratischen Internationalen, und für sie war es selbstverständlich. Lenin weicht davon nicht ab; er spitzt die Auffassung vielmehr sogar zu. Und auch für ihn ist dies selbstverständlichste „Wissenschaft“. Aber diese Debatte ging nicht um Sozialismus. Sie ging allenfalls um eine zielführende Entwicklungs-Politik. Darin ist mehr von Friedrich List und seiner Frage nach der nachholenden Entwicklung (Deutschlands nämlich, siehe auch unten die Bemerkung) als von Karl Marx.

Die erste und wichtigste politische Frage ist also: Wie sehr sind wir angesichts der bisherigen Erfahrung willens, so wesentliche Entscheidungen einer mächtigen Bürokratie zu überlassen. Denn selbst wenn diese demokratisch kontrolliert ist, sollten wir uns nichts vormachen: Sie hat eine Tendenz, sich zu verselbständigen. Ein Ausweichen vor dieser Bürokratie ist kaum möglich, wie manchmal Menschen sich aus autoritärer Politik in die Wirtschaft absetzten.

4. Plan und Markt: nur eine Frage der Effizienz?

Zuerst einmal fällt auf: Die östlichen Ökonomen argumentierten seinerzeit ebenso fetischisiert, wie damals und heute die westlichen, die heutigen mainstream-Ökonomen. Es geht ihnen immer um „objektive Gesetze“. Und sie werden praktisch ausschließlich unter dem Aspekt der „Effizienz“ diskutiert. Horvat (1973, 10), definiert sogar, ganz in bürgerlicher Manier, Ökonomie als Disziplin als Frage nach der Maximierung, nicht nach der Struktur. Ähnlich findet man bei Novozhilov „Ökonomie“ stets nur in der Bedeutung einer über Anreize vermittelten indirekten Beziehung. Marktelemente würden das Ergebnis verbessern. Aber der Einsatz von Marktmechanismen im Rahmen der Planung ist keineswegs nur ein technisches Problem, wie man es in den 1960ern und 1970ern weitgehend betrachtete. Dahinter steht politisches und allgemein-menschliches Verhalten. Das war den Teilnehmern dieser Debatte selbst offenbar alles andere als klar.

Ein zentraler Satz ist: (Novozhilov 1972, 380): „Drohungen sind, wie viele Jahrhunderte von Verwaltungserfahrung zeigen, ein weniger wirksamer Stimulus für die Produktion als ökonomische oder moralische Interessen.“ Man kann ihm gar nicht widersprechen. Doch die mangelnde Reflexion, mit der dies hingeschrieben wird, ebenso wir die emphatische Berufung auf „viele Jahrhunderte Verwaltungserfahrung zeigt, dass dies mehr ein rhetorisches Mittel als ein reales Argument ist. Das ist ein Appell an eine ökonomische Anthropologie, und eine solche wäre wohl auch nötig – aber seriös, und nicht als hohle Phrase.

Dabei ist allein die Art der Argumentation kennzeichnend. Sie haben selten direkt auf die
Thematik los argumentiert. Es ist stets ein apologetischer Ton dabei. Das mussten sie wahrscheinlich tun, um überhaupt eine Chance haben, gehört und publiziert zu werden. Die scholastischen Erörterungen des W. Brus (1971) in der Einleitung des erwähnten Buchs sind anders kaum denkbar. Er musste den Begriff des „Wirtschaftsmodells“ vom Anwurf der radikalen politischen Alternative befreien, um überhaupt seine Vorschläge für die Behebung des konstatierten Effizienzproblems, den Einbau von Markt-Elementen in die Planwirtschaft („regulierter Marktmechanismus“), erörtern zu können. Dieses camouflierte Herangehen an die Probleme ist kein gutes Zeichen. Denn die offene Debatte wird behindert.
Liberman (1972 [1962]) wiederum scheint vor allem „die Unternehmen“ überlisten zu wollen. Sein Schema für materiellen Anreize ist ein richtiges Advokatenstück und hinterlässt den Eindruck; Die Planungsbehörde sieht in den Unternehmen den eigentlichen Feind. Das ist ein wesentlicher Punkt. Denn er bestätigt, dass die Identität des „Eigentümers“ beim Unternehmen, der Gesamtgesellschaft und der spezifisch interessierten Konsumenten eine juristische Fiktion ist, welche nur die realen Verhältnisse vernebelt. Die Unternehmen – und zwar egal, von wem sie repräsentiert werden, vom Management oder von der Belegschaft – haben andere Interessen als die anderen genannten Akteure. – Weiters geht Liberman wirklich leichtfertig mit den Begriffen um. „Profit“ ist ihm ein zentrales Vokabel. Aber er macht sich offenbar wenig Gedanken über „Profit“. Irgendwann stellt er kategorisch fest: „Unser Profit hat nichts gemein mit dem kapitalistischen Profit“ (314). Und das ist es – eine Pflichtphrase.

Allerdings ist dazu zu sagen: Teilweise wird der Anschein einer solchen kritiklosen Übernahme durch die Übersetzung wenn schon nicht verursacht, so zumindest verstärkt. Nove 1972 schreibt „Profitabilität“, wo im russischen Original „rentabl’nost“ steht – und das hat denn doch eine etwas andere Semantik! Ähnlich ist es mit dem tschechischen „zisk“, das laut Wörterbuch „Ertrag“ und „Gewinn“ heißt, aber immer mit „Profit“ übersetzt wird. Auch lässt sich ein wunderbares Beispiel ideologischer Interpretation bringen. Nuti (1972) diagnostiziert im selben Band für die ČSSR im „Koeffizienten der Rentabilität“ einen Schattenzins. Das ist eine pur-ideologische Interpretation, damit er es selbst versteht, auf der Grundlage seiner eigenen Traumbücher. Zins ist, wie es seine Geschichte gut zeigt, ein wesentliches Instrument der Verteilung. Davon kann hier, bei der „Ersatzperiode“ und dem davon abgeleiteten „Effizienz-Koeffizienten“, überhaupt keine Rede sein. Es ist ein reines Mittel der Allokations-Planung. (Wie sehr der Zins sich im Lauf der Zeit im Kapitalismus tatsächlich zu einem Mittel des Effizienz-Drucks entwickelt hat, ist eine ganz andere, und zwar empirische Frage, nicht eine, die a priori aus der neoklassischen Ideologie abzuleiten ist. Gerade gegenwärtig wird klar, dass er dies höchstens am Rande ist.)
Im Westen wurde die Problematik hingegen von sozialistischen Intellektuellen in einer unglaublich dogmatischen und gleichzeitig naiven Weise diskutiert (paradigmatisch die Beiträge in Strotmann 1969, aber auch Bettelheim u. a. 1969). Aber sogar diese Beiträge muss man wieder lesen. Die Relektüre warnt vor dem Aufstellen quasi-religiöser Endziele („Kommunismus“) und dem Weg dorthin („Übergangs-Periode“). Die scholastische Begriffs-Bildung („neue Bourgeoisie“ in der UdSSR) führt nur in die Irre. Wenn dann ständig von „Entfremdung“ die Rede ist, ist dies ein hoch-ideologisches Konzept, das mit der realen Entfremdung durch politische Unterdrückung kaum mehr was zu tun hat. Der Entfremdungs-Begriff stellt sich als viel zu allgemein heraus. Wenn Orientierung auf einen Markt hin Entfremdung ist, dann ist Gesellschaft insgesamt Entfremdung. Denn jede Gesellschaft bedeutet immer ein Ganzes aus Bedürfnisbefriedigung und Repression: der Unterdrückung spontaner Impulse und als sozialschädlich erklärter Wünsche, usw. Das soll keineswegs heißen, dass konkrete Ziele und Zielvorgaben auf den Märkten nicht hoch entfremdet sein können. Will man aber den Begriff weiter benützen, muss er völlig neu definiert werden.

Auch wird „Sozialismus“ in einer Art naiven Kommunitarismus aufgefasst, der oft reaktionär wirkt. Ist es Zufall, dass Katholiken und die Intellektuellen des US-Konservativismus, soweit sie nicht aus der Ökonomie kommen und Neoliberale sind, mit besonderer Liebe diesen Kommunitarismus abhandeln? Man kann sich dabei allerdings auf eine Reihe von Anmerkungen von Marx 1843/44 berufen, ja selbst noch im „Kommunistischen Manifest“; dort wird die vorindustrielle Gesellschaft bisweilen fast idyllisiert. Um eine recht persönliche Bemerkung mit weit reichenden theoretischen Folgen einzuflechten: Ein Rawls’scher Liberalismus ist mir wesentlich attraktiver als ein normativ aufgefasster Kommunitarismus. Ich glaube auch nachweisen zu können, dass der neue, der „wissenschaftliche“ Sozialismus, also der Marxismus im Gegensatz zum alten, dem „utopischen“ Sozialismus aus einer Folgerichtigkeit liberaler Grundsätze entstand. Den Marx der 1840/42er könnte man ganz gut als konsequenten Linksliberalen bezeichnen, der nach den realistischen Voraussetzungen des Liberalismus suchte.

Die östliche Debatte ist allemal noch näher an der Realität und daher nützlicher als die westliche.

Die Begrifflichkeit und die Sprache der östlichen Ökonomen ist allerdings ein Problem. Besonders arg wird es, wenn Begriffe der kapitalistischen Gesellschaft teils naiv, teils sicher auch bewusst übernommen werden, ohne ihre Funktion zu besprechen. „Zins“ oder auch „Gewinn“ sind teils fragwürdige, weil schlicht falsche Ausdrücke, teils ohne Reflexion gebrauchte.

5. Geld als Medium der Entfremdung?

Geld spielt in dieser Debatte eine zentrale Rolle, und zwar in Abhängigkeit vom „Wertgesetz“. Es ist ein fundamentaler – und ein hoch fetischisierter Begriff. Eine Entmythologisierung ist dringlich notwendig.

Seit dem frühen Marx hat Geld den schlechten Ruf als das eigentliche Medium der Entfremdung. Es spielt in der linken Diskussion wahrhaft die Rolle eines Gegenmythos, eines schwarzen Mythos. Der doppelte Fetisch, als Ware und zusätzlich noch als verallgemeinerte Ware, ist der alleinige Gesichtspunkt. Völlig unter geht dabei, dass Geld dem Einzelnen auch die Möglichkeit der Wahl bietet.
Planung soll Entfremdung aufheben. Das ist eine hochabstrakte, intellektualistische Debatte. Ähnlich steht es mit der Idee, dass Öffentlichkeit („Politik“) auf alle Fälle den Vorzug vor Privatheit habe. Beides kommt aus einer Tradition, wo Intellektuelle ihren einzigen persönlichen Lebenssinn in der Gestaltung der Gesellschaft für oder meist gegen andere sahen. Es ist im Grund ein reaktionäres Eliten-Denken, übrig geblieben aus antiken Moral-Konzepten: Der gutwillige Intellektuelle projeziert nicht nur seine Werte, sondern auch seine privilegierten Lebensumstände auf Alle, bedenkt dabei aber nicht, dass diese Privilegien nur möglich sind, weil sie Andere nicht haben…

Vorerst bewirkt Planung durch direkte Unterordnung unter einen anderen Willen eine wesentlich stärkere Entfremdung als jede Form von Markt mit Geld-Beziehungen. Immerhin bildet die Preis-Struktur einen sozio-kulturellen Zusammenhang ab. Technische Indikatoren als Wirtschafts- und Planungsziele hingegen sind kurzfristig der Ausdruck eines weitaus drückenderen technologisch-technokratischen Beziehungs-Zusammenhangs, der in ihnen viel unveränderbarer erscheint – und durch sie eventuell dazu wird – als er sein müsste.
Eine Sorge der östlichen Ökonomen war auch, zu argumentieren, dass Ware- und Geldform nicht die Herrschaft des „Wertgesetzes“ bedeuten. Das ist auch so ein Sprach- und Theorie-Fetischismus. Zum Einen ist es falsch: Das Auseinanderhalten von „Ware-Geld-Form“ und dem „Wertgesetz“ ist ein analytisch notwendiger Schritt. Zugleich verdunkelt er aber die Tatsache. Keine Form ist gleichgültig gegen ihren Inhalt. Wenn die Ware-Geld-Form, das Bestehen von Konsum- und Arbeitsmärkten oder auch das Funktionieren von lokalen Märkten in anderer Hinsicht, irgend einen Sinn haben soll, dann schließlich deswegen, weil Geld hier eine soziale Wirkung hat, weil es z. B. die Grobplanung verfeinert, weil es Fehlplanungen (wie immer diese definiert werden) etwas korrigiert, weil es, wie es so schön heißt, größere „Flexibilität“ erzeugt. Es hat also eine Verhaltensauswirkung, und damit „wirkt das Wertgesetz“. Zum Andren stellt sich die Frage: Was ist eigentlich so schlimm am Wirken des „Wertgesetzes“? Es ist nichts Anderes als eine Handlungsbeschränkung, wie es viele Handlungsbeschränkungen in jeder Gesellschaft gibt. Und schließlich: Warum ist eigentlich ein Markt „flexibler“ als ein Plan? Das ist doch nicht von vorneherein festgeschrieben. Auch Unternehmen und ihre Marketing-Chefs müssen auf Entwicklungen mit unvollkommener Information reagieren.

Engels schreibt im Anti-Dührung entwaffnend naiv, dass die Leute alles „sehr einfach … ohne Dazwischenkunft des vielberühmten ‚Werts’“ abmachen. Da fragt es sich: Was ist aber, wenn die Dazwischenkunft des Werts, in der Form von Geld, ein nützliches und zweckmäßiges Instrument ist?

Vergessen wir nicht: Erst der Tausch realisiert Gesellschaftlichkeit. Die Produktion tut dies nur sehr vermittelt: in der eigenen Qualifikation; in der Ausrichtung der Erwartung auf Andere. Ist das Entfremdung, dann ist die ganze Gesellschaft Entfremdung. Das ist, u. a., conditio humana. Ich muss ein halb abstraktes, halb konkretes Regelsystem lernen und mich an ihm orientieren. Die ökonomische Form der Gesellschaftlichkeit ist auch immer zugleich eine kulturelle Form. Denn zum Einen wird der Mensch und die Gesellschaft nur kulturell gesteuert. Zum Anderen stammen die Werte, welche sich in den ökonomischen Werten (und Preisen) ausdrücken, stets aus der hegemonialen und mentalen Sphäre der Gesellschaft.

Das Wirken des „Wertgesetz“ ist eine sehr dogmatische Wendung, welche Erkenntnis eher verhindert als fördert. Es ist irreführend, wenn darunter der (modifizierte) Äquivalententausch gemeint ist. Der setzt vollkommene Konkurrenz voraus. Ein wesentlicher Punkt ist schließlich immer das Wirken der Monopole. Das haben Robinson und Chamberlin sehr wohl gesehen. Denn damit wird die Wert-Theorie zu einer Theorie der Macht. Das ließe sich übrigens in die Planwirtschaft hinüber ziehen, die schließlich auch das Eigentum an den Produktionsmitteln monopolisiert. Damit werden gerade hier die Preise eindeutig durch die (Staats-) Macht festgesetzt.
Unfruchtbar ist der Ausdruck aber, wenn jeder Anreiz aus persönlicher Motivation darunter aufscheint. Da wird dann das „Wertgesetz“ zum eigentlichen Fetisch der sozialistisch-ökonomischen Debatte. Die Einsicht, dass Sozialismus auch einen neuen Lebensstil bedeuten könnte oder sollte, nicht einfach nur nachholende Entwicklung bisher Zuspät-Gekommener, verbiegt sich zur Idee, dass kollektiver Konsum individuellen Konsum moralisch überlegen sei; dass Öffentliches und Politisches von vorneherein höherwertig als Privates sei – kurz, zu einem Kommunitarismus von Intellektuellen mit Wurzeln in einer vormodernen Gesellschaft.

Ähnlich steht es mit einem anderen Zentralbegriff: Produktivkräfte ist ein nützlicher Überbegriff, der eine weite Klasse von Erscheinungen umfasst. Alles, was die Entwicklung der Produktivität betrifft, fällt darunter. Belässt man es allerdings dabei, wird der Begriff schnell dogmatisch. Er tendiert in eine scholastische Richtung.

5.1. „Materielle Anreize“?

In der Planungsdebatte, nicht nur in Osteuropa, auch in Cuba und in China hat dieses Thema die eindimensionale Form der Frage nach materiellen Anreizen für die Manager der staatlichen Betriebe angenommen; für die dort Beschäftigten wurde die Frage weitaus seltener, vor allem in Jugoslawien, gestellt. Von den politischen Theoretikern wurde dies durchwegs abgelehnt, von den Ökonomen fast durchwegs befürwortet. Aber diese Frage nach den materiellen Anreizen und das Misstrauen gegen sie ist m. E. ein grundlegendes Missverständnis oder aber eine falsche anthropologische Konzeption. Die Bedürfnisse des Menschen sind nun einmal materielle und kulturelle Bedürfnisse, vor allem materielle Bedürfnisse im kulturellen Gewand. Gegen materielle Anreize zu sein, heißt entweder, aus einer mönchischen-asketischen Haltung heraus diesen Gedanken nicht verstanden zu haben. Oder aber es heißt, die materiellen Anreize nur in einer bestimmten Weise, als „incentives“ der Betriebswirtschaftslehre der Gegenwart, zu sehen.

Überdies ist auch die persönliche Fixierung (z. B. von Wirtschaftstreibenden oder Managern) auf den Fetisch des Gewinn-„incentives“ in Form von Geld eine persönliche Wahl. Man muss nur dafür sorgen, dass dieser Fetisch nicht schädliche Struktur-Auswirkungen hat. Warum sollen nicht manche Menschen das Ziel verfolgen, etwas mehr Geld zu erhalten? Es ist ebenso legitim, wie wenn andere Menschen das Ziel verfolgen, etwas mehr (Frei-) Zeit zu haben, um zu musizieren oder zu lesen oder spazieren zu gehen. Es ist eine Frage der persönlichen Präferenzen, welche für die persönliche Entscheidung offen zu halten sind.
6. Planung ist notwendig, um die Entwicklung und ihre Richtung festzulegen.
Aber Planung ist, wie Organisation allgemein, notwendig, um bewusst eine Entwicklung zu gestalten. Die Überlegenheit der Planung müsste für die Phase der Ursprünglichen Akkumulation eigentlich außer Zweifel stehen. Im Grund ist die ganze Argumentation des Friedrich List in diesen Gedanken einzuordnen[fn] Es ist eine Ironie: Marx macht Adam Smith und David Ricardo, vor allem diesen, zu wahren Säulenheiligen in seiner Theorie-Entwicklung. Auf Friedrich List geht er aber in geradezu neurotische Weise los. Die DDR wusste dies offenbar besser. Sie hat Friedrich Lists Werke recht pfleglich behandelt und sorgfältig ediert.[/fn] . In dieser Phase geht es um den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Entwicklungspolitik wäre, vom ersten Zugang her also einmal jedenfalls eine Politik der Planung. Dazu braucht es auch Zeit, z. B. für Lern- und Zivilisierungs-Prozesse. Böhm-Bawerks Metaphorik von der „Umweg-Produktion“ wäre erst noch analytisch fruchtbar zu machen und aus dem ideologischen Zusammenhang heraus zu reißen. (Die ökonomische Machttheorie des Böhm-Bawerk [1914] ist allerdings ebenso unbrauchbar, wie seine eigene Fassung der Zeitpräferenz-Lehre unbrauchbar ist.)
Wie diese Planung aussieht, und welche Form sie hat, ist freilich eine andere Angelegenheit. Planung ist z. B. unerlässlich bei Flaschenhälsen, bei Engpässen wichtiger Materialien. Das ist keineswegs nur eine technische Frage. Flaschenhälse haben auch Verteilungs-Eigenschaften. Im Grund kann man die ganze Diskussion über die Rente als eine Frage nach einem fundamentalen Flaschenhals, Grund und Boden, betrachten. Die seltsame Debatte von Enrico Barone (1908) über Hayek bis zur Gegenwart geht von einer völlig unreflektierten Hinnahme der gegebenen Verhältnisse aus. Wenn bei einer gegebenen Einkommensverteilung die Nachfrage sich bildet, dann könne, so Barone, die Planung nur den Markt simulieren, und das mache sie ineffizienter als es der Markt selbst kann. Er verschwendet keinen Gedanken darauf, dass es Planung gerade nicht darauf ankommen kann, den Markt nachzustellen: Es kommt darauf an, andere als die bisherigen Ziele vorzugeben, andere Präferenzen zu setzen, als sie sich nur aus dem Markt bei gegebener Verteilung ergäben. Viele unter den östlichen Ökonomen haben dies als ganz vernünftig hingenommen. Sie schrieben über die „Rationalität“ von Planung einerseits und Preisen andererseits (s. u.) und realisierten ebenso wenig, dass dies eine Fetischisierung je gegenwärtiger Nachfrage-Strukturen ist. Es war daher auch analytisches Unvermögen. Es übersieht, dass Rationalität als Ziel-Mittel-Verhältnis völlig vom Zeit-Horizont abhängig ist.
Energie als Beispiel zeigt dies vielleicht am Besten. Wenn gegenwärtig die Erdöl-Gewinnung noch erstaunlich billig ist und im Grund einen viel niedrigeren Preis von Treib- und Brennstoff ermöglichte, so wäre es aus dieser Sicht auch gesamtwirtschaftlich „rational“, diesen Preis anzusetzen. Das wird sofort ganz und gar unrational, sobald man sich im Klaren ist, dass diese Form der Energie beschränkt, endlich ist, und irgendeinmal durch andere Energie-Formen ersetzt werden müssen. Die sind gegenwärtig aber nicht billig vorhanden. Sie müssen zu einem gewaltigen Teil erst entwickelt werden. Unter dem Planungs-Horizont von, sagen wir, von einem halben Jahrhundert, wäre also ein noch viel höherer Energie-Preis sehr „rational“. Das gilt ohne Berücksichtigung sonstiger Überlegungen wie etwa der CO2-Belastung bzw. der Klima-Debatte insgesamt.

Das zentrale Problem Marx’scher Ökonomie in der Auseinandersetzung mit dem mainstream war stets das Transformationsproblem, die Verwandlung von Werten in Produktionspreise. Es bildete, halb zugegeben, halb aber auch nicht, auch einen zentralen Punkt der Planungs-Debatte. Denn davon hängen dann Begriffe wie „Zins“ oder „Gewinn“ in geplanten Wirtschaften ab. Fast alle Teilnehmer haben übersehen: Wenn strukturell die Bedingung für einen Profit verschwinden, weil die wirtschaftliche Aktivität nicht davon abhängig ist, einen Profit zu erzielen, verschwindet auch die Notwendigkeit, eine einheitliche Profitrate anzunehmen oder herzustellen.
Die Frage von materiellen Anreizen (incentives, Motivation) hat von vorneherein mit dem
Begriff des Gewinns kaum etwas zu tun.

7. Planung ist die einzige Möglichkeit, das Verteilungsproblem in den Griff zu bekommen

Sozialertrag, Gesellschaftsertrag könnte man das Faktum nennen, dass in einer hoch entwickelten Wirtschaft die Produktivität und damit der Ertrag als solcher nicht (mehr) ident ist mit der Summe des Ertrags einzelner Produzenten. Damit kann er auch nicht vom Einzelnen her analysiert werden. „Skalenerträge“ und „Gesamtfaktorproduktivität“ (TFP) sind Konzepte, mit welcher die mainstream-Ökonomie dieses Faktum zu erfassen versucht. Aber diese Begriffe sind irgendwie kastriert. Denn sie gehen an einem entscheidenden Punkt vorbei:

Wer eignet sich diese Erträge an?

Die mainstream-Ökonomie hat die „Faktor-Entlohnung“ – die Einkommensverteilung zwischen Kapital und Arbeit – nach dem Grenzprodukt behauptet: „jeder „Faktor“ bekomme genau das, was seine letzte Einheit dem Produkt zufüge, da alle Einzeleinheiten gegeneinander austauschbar seien („Indifferenz-Gesetz“). Der Ansatz ist nicht viel wert. Die klügeren Ökonomen haben dies auch gesehen und daher andere Erklärungen vorgebracht („bargaining-Lohntheorien“ – Hicks, Pen, Zeuthen). Dies war eine etwas versteckte Macht-Theorie. Aber einen Sinn hat die Grenzprodukt-These doch: Sie gibt Überlegungen und Haltungen des Unternehmers / des Managements dem einzelnen neu einzustellenden Arbeitnehmer wieder. Damit stellte sich aber erst recht das Problem: Wer streift den Ertrag von technischem Fortschritt und von Produktivitätsgewinnen ein?
Es dürfte einer der Gründe für die ständig schiefer werdende Verteilung sein, dass es den Eigentümern und dem Spitzen-Management gelingt, den größeren Teil des Sozialertrags einzustreifen. Die Konzentration am oberen Ende der Einkommensverteilung ist offenkundig. Das ist einer der konkretesten Ausdrücke des so oft berufenen Widerspruchs zwischen Vergesellschaftung der Produktion und der privaten Aneignung. Der Mechanismus dieser Aneignung ist aber keineswegs simpel. Im globalen Finanzkapitalismus enthält er mehrere Stufen, von der Aneignung des Mehrwerts im Betrieb bis zur Aneignung eines Teils dieses Mehrwerts durch die Banken über Kreditzinsen und -gebühren.

8. Verschwendung im Kapitalismus und Verschwendung in geplanten Wirtschaften

Menschliches Handeln für die Zukunft ist stets auch Versuch und Irrtum. Die ökonomische Folge dessen ist, dass es immer auch „Verschwendung“ geben wird. Wenn in einer Marktwirtschaft das einzelne Unternehmen falsch plant, so verschwendet es seine Ressourcen. Wenn Arbeitslosigkeit eintritt, so ist dies Verschwendung der wesentlichsten Produktivkraft, der Arbeit. Wenn bestimmte Formen des Luxuskonsums erhebliche Aufwände machen, so ist dies unter einer bestimmten gesamtgesellschaftlichen Präferenz Verschwendung. Aber wenn in einer Planwirtschaft eine Branche zuviel erzeugt, weil die Planvorgaben dies so festsetzen, oder wenn aus Mangel an Motivation ineffizient produziert wird, so ist dies auch Verschwendung. „Die Vernachlässigung der Verbrauchernachfrage [führt] zu einer Verschwendung gesellschaftlicher Arbeit“ (Bettelheim 1969, 52). Es war wohlbekannt, dass in der UdSSR (oder in der DDR) nicht selten auf Halde produziert wurde: Die Betriebsleitung wollte die Planziele erfüllen, nicht den Bedarf möglicher Konsumenten decken.

Die Frage stellt sich in diesem Vergleich: Wo ist die Verschwendung folgenreicher?

9. Ein zentrales Problem: Welche Klassen wo?

Unser (d. h. der Marxisten im Besonderen und der Moderne im Allgemeinen) Klassenbegriff ist aus der früh- und hochmodernen bürgerlichen Gesellschaft heraus definiert. Er arbeitet nicht zuletzt mit dem Rechtsbegriff des privaten Eigentums. Damit ist er für andere Gesellschaften und Gesellschaftsformationen von vorneherein unzulänglich und für die Analyse schlecht geeignet. Einige Ethnologen (Godelier) haben das für ihr Fach gut begriffen. Aber es fragt sich auch, wie gut geeignet er für unsere hoch entwickelten Gesellschaften selbst noch ist. Das ist vor allem am Merkmal der Sicherheit zu demonstrieren. Unser Eigentums-Begriff stützt sich auf hohe Sicherheit für den Einzelnen, denn Eigentum gilt als fundamentales Grundrecht. In der Praxis wäre das durchaus zu modifizieren. Bei schweren Verstößen gegen den gesellschaftlichen Konformismus kommt diese Sicherheit durchaus ins Wanken, von der Geldstrafe bei Vergehen angefangen bis zur Konfiszierung bei schweren Verstößen. Aber grundsätzlich ist Sicherheit in diesem Bereich ein wichtiger Aspekt. Wie sehr die Frage der Sicherheit von Bedeutung ist, zeigt das Problem der prekären Arbeitsverhältnisse. Rechtssicherheit in der Arbeitsstellung ist somit nicht nur eine Frage der Oberschichten, sondern massiv eine solche der Unterschichten. Mit der verstärkten Unsicherheit ändern sich nicht nur die Machtverhältnisse zwischen den Klassen; es müssen überhaupt neue Klassen oder Klassenfraktionen definiert werden.

Ganz anders war es mit der Nomenklatura des Realsozialismus. Die Mitgliedschaft in der Nomenklatura und damit die Teilhabe am Eigentum dieser herrschenden Klasse war alles andere als gesichert. Sie setzte nicht nur fundamentalen, sondern meist auch detaillierten Konformismus voraus. Man könnte auch an andere historische Situationen denken: Die Proskriptionen der römischen Bürgerkriege von Sulla bis Augustus und auch später wieder waren stets auch mit der Einziehung und Neuverteilung des Eigentums der Proskribierten verbunden. Sie haben so nicht wenig zur ungeheuren Konzentration des hoch- und spätrömischen Reichtums beigetragen. Mit unserem Eigentumsbegriff ist dies beides schwer zu erfassen.

10. Und die Folgerung?

Die Politik an die erste Stelle setzen, war ein Grundsatz des alten Mao, der bei abstrakter und richtiger Interpretation fundamental ist. Das heißt im wirtschaftlichen Bereich: Eine Planung der Ziele (Verteilung; Akkumulationsfonds; Entwicklungsrichtung) ist absolut unabdingbar. Gleichzeitig ist aber ein Abstützen auf gesellschaftliche Selbstregulierung, soweit nur irgend möglich, ein fundamentales demokratiepolitisches Anliegen. Die Konsumwahl im Rahmen der politisch vorgegebenen Ziele muss dem Einzelmenschen überlassen werden, wenn ihm – durchaus im ursprünglichen Sinn des Anarchismus, aber ohne dessen Illusionen und seine inneren Widersprüche – die Selbstbestimmung seines Lebens selbst überlassen werden soll. Und es ist aus der Erfahrung historischen Erfahrung heraus auch eine notwendige technische Einrichtung: Die Sammlung von Informationen über Angebote und Konsummöglichkeiten dem Einzelmenschen zu überlassen, bedeutet nicht nur Effizienz-Gewinn, sondern macht auch ein Kosten-Element zu einem Element des alltäglichen Lebensablaufs. Auf makro-ökonomischer Ebene muss also die Politik mittels des Plans die Entscheidung treffen und die Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums bei wenigen verhindern. Auf mikroökonomischen Ebene ist der Einsatz des Markts aber ein Zeichen des Vertrauens auf die Menschen.

10.1. Wirtschaftstheoretische Bemerkung

„Millions of separately identifiable commodities … requiring a quite impracticable volume of information“ seien ein kaum überwindbares Hindernis für Detailplanung (Nove 1972, 351). Der Autor dieses anscheinend so plausiblen Satzes merkt nicht, dass er damit auch die ganze Theorie der effizienten Marktlenkung den Bach hinunter schickt. Denn wenn eine umfangreiche Plan-Behörde mit reichen Mitteln und Erfahrungen nicht imstande ist, diese Informationen zu sammeln, dann ist es ein armer Konsument mit höchst beschränkten Mitteln erst recht nicht. Genau das aber ist die explizite Voraussetzung der (neo-) klassischen Ökonomie. Das wäre somit der Todesstoß für alle Walrasianischen Illusionen – und ist es auch! Ein „rationales“, „effizientes“ gesamtwirtschaftliches Markt-Gleichungssystem kann es viel weniger geben als eine entsprechende Planung.

Die Lösung, in kapitalistischen Marktwirtschaften ist einfach und seit neun Jahrzehnten theoretisch bekannt. Sie besteht in der Suche nach lokalen Optima seitens der Marktteilnehmer (“lokal“ in einem mathematischen Sinn) im Rahmen von Robinson’schem und Chamberlin’schem monopolistischem Wettbewerb.

Die Konsequenz für die Planung scheint mir auch klar zu sein.

In irgendeiner Form wird sich sinnvoller Weise jede politische Führung mit Planungs-
Ambitionen auf nicht vorgeplante „lokale“ Handlungsfelder einlassen müssen. Dort suchen die Akteure, ob Konsumenten oder Manager / Produzenten, ihre jeweiligen lokalen Maxima / Optima im Rahmen der gegebenen Bedingungen bzw. handeln diese aus. Unerwünschte Folgen, etwa starke Einkommens-Unterschiede, lassen sich durch vergleichsweise einfache Mittel bemeistern: Einkommenssteuern; Naturalleistungen wie Kindergarten, Schulen, Gesundheitsdienste, etc.

Bei jedem Prozess des trial and error verursacht der Irrtum Kosten, „Verschwendung“. Auch ein Plan ist notwendig ein solcher Prozess, nicht nur der Markt. Die politische Führung und die Gesellschaft hat sich zu entscheiden: Auf welcher Ebene wollen wir den Trade-Off zwischen politischer Kontrolle. Effizienz in der Informations-Gewinnung und -Verarbeitung und unvermeidbaren Fehlentscheidungen und daher Kosten suchen? Eine wirklich zentrale Planung wird starke Kontrollen ermöglichen, aber schwerfällig sein. Sie wird auf viele Möglichkeiten von Anreizen verzichten müssen. Ein Markt wird unvermeidlich zu starken Ungleichheiten und damit zu Fehl-Allokationen i. S. des Wohlstandsgewinns führen. Eine optimale Ebene oder Kombination ist aber nicht ein- für allemale zu gewinnen, sondern stets Ergebnis politischer Konflikte und Prozesse.

10.2. „Planungsmodelle“? – Die notwendige Reflexion

In Nischen entstand eine neue Debatte nicht nur über die Notwendigkeit von Planung, sondern insbesondere auch über ihre mögliche zukünftige Form. In der marxistischen Tradition zögert man auf dem ersten Blick ˗ zu Unrecht. Das Zögern rührt her von der alten Marx’schen Abneigung gegen utopische Entwürfe. Doch umgekehrt ist es geradezu leichtfertig, in solch einem lebenswichtigen politischen Thema nicht Möglichkeiten durchzuspielen. Man muss sich bloß hüten, sie dogmatisch zu fixieren.
„Partizipatorische Planung durch ausgehandelte Koordination“ heißt der etwas umständliche Titel eines dieser Vorschlage (Devine 1988, 2002). Wir finden hier mehrere bedenkenswerte Ideen. Das implizite Alltagswissen (tacit knowledge – im Anschluss an Hayek 1945) aller Menschen, nicht nur der Unternehmer und Manger, soll genutzt werden.

Die alte, reichlich abstrakte und einigermaßen utopische Idee der Aufhebung der sozialen Arbeitsteilung „zwischen Hand und Kopf“ bei gleichzeitiger und für unseren Wohlstand unverzichtbarer Erhaltung der funktionellen Arbeitsteilung ist der Eingang. Zugegeben: Es ist etwas leichtfertig hingeschrieben. Jede funktionale Arbeitsteilung erfordert Organisation, und Organisation bedeutet immer auch Herrschaft. Trotzdem muss man sich über diesen basalen Zugang Gedanken machen. Ein sehr bedenkenswerter Vorschlag ist der „ausbalancierte Berufe-Komplex“. Im Laufe des Lebenszyklus soll jeder Mensch an allen Funktionen teilnehmen, auch an jenen, die zwar notwendig, aber wenig erfüllend sind (ungelernte repetitive Tätigkeiten, technische Aktivitäten, Pflege und Sorge, kreative Arbeit, schließlich administrative und Leitungstätigkeit – keineswegs notwendig in dieser Reihenfolge). Das setzt allerdings enorme zusätzliche Organisations-Anstrengungen voraus. Darüber hinaus ist es erkennbar ein Konzept für die hoch entwickelte Welt. Die zugespitze Zentrum-Peripherie-Struktur der Gegenwart kommt im Text nicht vor.

Ein weiterer wesentlicher Gedanke ist: Sowohl auf der Ebene der Betriebe wie auch auf höherer Ebene sollen Betroffene in Betriebs-Planungsräten („negotiated coordination bodies“) teilnehmen („stakeholder“ sagt man im gegenwärtigen Jargon gern), ob sie (z. B.) Angehörige des Betriebs sind oder auch nur Lieferanten, Konsumenten oder „Konkurrenten“. Damit wäre eine fest abgegrenzte Institution vermieden, welche Betriebs-Egoismus entwickeln kann. Auf der Ebene des Staats würde dies den Monolithismus der Staats-Ideologie auflösen. Auch hier muss man sagen: Die Komplexität, welcher dieser Vorschlag schaffen würde, ist kaum zu bewältigen. Das ist überhaupt der Haupteinwand, auch der Kommentatoren, gegen diesen Entwurf.

Überdies kommt hier ein wesentlicher Mangel ins Spiel. Von Anreizen und Anreiz-Strukturen ist nie die Rede. Wir wissen aber, dass dies ein Kernpunkt ist. Es ist auch ein gewisser Widerspruch: Einerseits soll („unternehmerische“) Initiative und Innovation stimuliert werden; es soll „Marktaustausch“ erhalten, aber das Wirken von „Marktkräften“ vermieden werden. Das erinnert an die seinerzeitige Debatte, dass Marktelemente nicht das Wirken des „Wertgesetzes“ bedeute. Das ist, damals wie heute, schlichtweg falsch. Denn der erhoffte Flexibilitätsgewinn doch wohl nur, wenn eine Wirkung eintritt.

Schließlich aber wurde ein fundamentaler Punkt ganz unzureichend reflektiert und ausgearbeitet. Wie wird der unverzichtbare zentrale Plan eines Staats, und nicht nur einer Zivilgesellschaft, erstellt?

Trotzdem ist dies ein Ansatz, der es verdient, ausführlich debattiert zu werden.

10.3. Planung hauptsächlich ein technisches Problem?

Die technische Durchführung von Planung ist ein erstrangiges Problem und muss äußerst ernst genommen werden. Trotzdem ist es etwas verwunderlich, dass schon seinerzeit (Lange, Kantorovich, Kornai,…) Theoretiker glaubten, vor allem im Computer und seiner Entwicklung liege die Lösung aller Schwierigkeit. Sogar Che Guevara hat sich in der kubanischen Planungs-Debatte hinreißen lassen, den Computer mit der rein technischen Möglichkeit eines Aufzugs zu vergleichen. Es ist umso verwunderlicher, dass auch in der neueren Planungs-Debatte, soweit sie existiert, die Rechenanlage wieder zum Kernpunkt der Planung avanciert (Cockshott / Cottrell 1993). Diese Autoren weisen dann allerdings auf die wesentliche Rolle von Anreiz-Strukturen hin (die ja nicht nur aus materiellen, Einkommens-Anreizen) besteht. Damit wird die Motivation ein wenig zu technisch in die Debatte eingebracht.

10.3 Ein postsowjetisches Problem

Planung ist n der Ausführung, aber auch in ihren theoretischen Grundlagen wesentlich komplexer als das reine Funktionieren des Markts. Planung braucht zwei regulatorische Prinzipien auf Grund zweier Entscheidungs-Mechanismen, und muss sie gegeneinander auswiegen:

(1) Das politische Funktions-System ist das oberste System und stellt die Entwicklungsrichtung fest. Das geschieht durch die Festlegung makroökonomischer Verhältnisse (Verteilung; Investition) und eine Reihe von Politik-Feldern (Industrie-, Infrastruktur-, Bildungs-Politik, u. a.).Überdies hat es korrektive Arbeit zu leisten: Fehlentwicklungen müssen durch direkten Eingriff behoben werden.

(2) Im zweiten Weg oder Prinzip sind die Bedürfnisse festzustellen und zu befriedigen. Die gewünschten Waren und Dienste müssen produziert und verteilt werden. Umfassende Informationen sind zu sammeln und zu verarbeiten. Doch dieses Prinzip, der mikroökonomische Aspekt, muss auf „Konsumenten-Souveränität“ beruhen, diesem so fetischisierenden Vokabel der Ökonomie: maßgebend sind die Wünsche und Bedürfnisse der (einzelnen) Konsumenten. Dies könnte prinzipiell-theoretisch auf zwei Wegen passieren: (a) Der Markt ist eine stumme Informations- und Anreizstruktur. Man könnte aber auch direkte Bedarfs- und Konsumerhebungen durchführen. In der Praxis werden auf absehbare Zeit immer Marktstrukturen wirken. In welchem Maß sie eingesetzt werden, ist eine politische Frage.

(2.1) Das läuft unter einer großen Anzahl von Nebenbedingungen ab. Konsumenten-Souveränität bedeutet in der Praxis nicht, dass jeder Konsum-Wunsch erfüllt wird. Jeder Skandinavier weiß, dass dort Alkohol nur unter etwas erschwerten Bedingungen (System-Bolaget) und mit erhöhten Preisen erhältlich ist. Viele US-Amerikaner wollen, dass Kokain, Heroin und Haschisch überhaupt nicht angeboten werden, egal zu welchem Preis. Was sozialschädlich ist, ist wiederum politisch zu entscheiden; aber hier liegt theoretisch eine Verletzung der Konsumenten-Souveränität vor, die kulturspezifisch unterschiedlich gesehen wird (siehe Waffen).

10.4 Anreizstrukturen und Fehlallokation

Es gibt stets Tätigkeiten, die uns unangenehm sind. Zu diesen wollen wir bis zu einem bestimmten Ausmaß „gezwungen“ werden, selbst wenn wir sie als notwendig einsehen. Anreizstrukturen, Motivationen sind essenziell. Doch sie reichen nicht aus. Es bedarf auch spezialisierter, zielgerichteter Institutionen. Sie müssen, unabhängig von unmittelbaren Eingriffen und in ihrem Funktionieren selbst wieder durch Anreize motiviert, dieses Ziel auch gegen einen gewissen direkten Widerstand durchsetzen. In diesem Moment verliert der Zwang seine Anführungszeichen und wird wirklicher Zwang.

Die Formulierung hier ist schwammig („unmittelbar unabhängig“, „gewisser Widerstand“, …). Es ist also entscheidend, sie mit konkreten Inhalten zu füllen. Dafür bedarf es Erfahrung, Versuch und Irrtum.

Die Direktlöhne waren in der UdSSR niedrig, weil es erhebliche Soziallöhne gab (niedrige Wohnungskosten und öffentliche Dienste). Ein Ergebnis war u. a., dass die niedrigen Lohnkosten technischen Fortschritt verzögerten. Viele „Reformer“ wollten also diesen Soziallohn wieder internalisieren. Der erreichte Grad der Kollektivierung des Konsums sollte also wieder gesenkt werden. Das weist auf ein ganz wesentliches Problem hin. Denn das Argument hat man über den Konsum hinaus zu verallgemeinern: Eine umfassende Kostenkalkulation, die auch als Anreiz dient, ist mit einer einzelwirtschaftlichen Organisation unvereinbar, welche sich fundamental von der Differenz (einzelwirtschaftlicher Ertrag – einzelwirtschaftliche Kosten) ableitet. Das gilt auch für den Kapitalismus und diese Differenz heißt dort Profit. Fehlanreize sind dabei unvermeidbar.

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ANHANG
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„Die Marxisten haben nichts gegen den Profit als Maßstab für die Leistung eines Betriebs einzuwenden. Die Idee, den Profit als Kriterium … zu benutzen, wurde in den frühen 2ßer Jahren in der Sowjetunion geboren.“ (77) „Sicherlich wird kein Marxist etwas gegen materielle Abreize per se einzuwenden haben.“ (80) „Die individualistische Tendenz, alles unter dem Aspekt des eigenen Interesses zu sehen, wird verstärkt. Diese Betonung materieller Anreize ist es, die auf schwerwiegende Kritik gestoßen ist. … Für Kommunisten waren materielle Anreize eigentlich nicht gedacht“ (82). „Während in der SU die Vorstellung herrscht, man könne die Menschen für den Sozialismus kaufen, gehen die Chinesen davon aus, man solle die Menschen zum Sozialismus erziehen.“ (83)

Ernest Mandel, Jugoslawische ökonomische Theorie (90 – 101) [im selben Buch] Kritik an B. Horvat. – Bürokratie? „Die Summe aller materiell privilegierten Elemente und Schichten, die nicht Privatbesitzer an Produktionsmitteln sind“ (94f.). Horvaths „einzige These – die nur eine Tautologie darstellt – ist die, dass zentrale administrative Planung die Hauptquelle zentraler Bürokratie ist. Daraus aber folgt keineswegs, dass wachsende Dezentralisierung und eine Ablösung der Planung durch Marktmechanismen das Anwachsen anderer Formen und Schichten der Bürokratie … verhindern könnte. … Der zunehmende Gebrauch von Marktmechanismen muss zu zunehmender Ungleichheit führen. Ungleichheit zwischen den verschiedenen Fabriken der gleichen Branche; Ungleichheit zwischen verschiedenen Branchen… Die zunehmende Anwendung der Marktmechanismen stärkt die Bürokratie auf kommunaler und Fabriks-Ebene“ (95). „Was dabei heraus kommt ähnelt sehr viel mehr einem bürgerlichen Wohlfahrtsstaat als einer sozialistischen Volkswirschaft“ (96). Die ganze Kritik Mandels läuft auf einen ungezügelten Marktmechanismus hinaus, demn es ja in Jugoslawien nicht gab; andererseits aber auch auf bürgerlich intellektuelle Vorurteile: „höhere Nachfrage nach Alkohol als nach soziologischen und philosophischen Büchern …“ (98). „Der größte Vorzug, der die sozialistische Planung … auszeichnet, ist gerade die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Produktion und Einkommen auf nationaler Ebene maximiert werden“ (99). Und dazu das inhaltleere Schlagwort: „Es gibt zwei Formen des Zentralismus: den bürokratischen und den demokratischen Zentralismus“ (100).

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