Site-Logo
Site Navigation

Das Finanzkapital in Aktion

Redebeitrag von der Veranstaltung "Eurozone auflösen?"


16. Mai 2013
Von A.F.Reiterer

Zerfällt der Euro? Nein. Er muss zerschlagen werden.


(0) Geld, Münzen nämlich, wurden erstmals um 630 v.u.Z. in Lydien und bald danach von einer Reihe Ionischer Poleis geprägt. Sie waren aus Elektron, einem Gold-Silber-Gemisch. Als Tauschmittel und als Wert-Standard waren sie für den Alltag und den kleinen Handel damals weitgehend unbrauchbar. Der Feingehalt und daher der Wert waren unsicher; für den regulären Tausch waren sie viel zu groß. Sie waren also im Alltag ein schlecht praktikables Medium. Wozu waren sie aber dann gut? Sie hatten erstrangig eine politische Bedeutung. Kroisos und sodann die griechischen Eliten wollten demonstrieren: Wir sind ein Staat. Wir haben die Macht, über Ressourcenflüsse zu entscheiden. Das kommt ziemlich bekannt vor, nicht? – Gleichzeitig aber entstand mit dieser sowohl gesellschaftlich-ökonomischen als auch politischen Form des verallgemeinerten Werts, des Geldes, ein Instrument von absolut überragender historischer Bedeutung.

(1) 1865/66 wurde die Lateinische Münzunion / Union monétaire latine, gegründet. Griechenland trat 1868 bei, wurde aber 1908 ausgeschlossen. Die damalige Regierung brachte nämlich ohne Hemmungen große Mengen Papiergeld ohne Deckung in Umlauf. Der Witz bei dieser damaligen Währungsunion war: Die Münzen hatten je nach Land verschiedene Namen, sie hießen also Francs, Franken, Lira, Drachme; aber sie hatten denselben Gehalt an Edelmetall und dieselbe Stückelung, waren also faktisch ident und wurden auch in allen Ländern akzeptiert. Es war ein Muster für das Prinzip: National in der Form, kapitalistisch im Inhalt. Die Lateinische Münzunion und die etwa gleichzeitige Skandinavische Münzunion ebenso war ein Geldsystem des Europäischen Konzerts, also von Staaten, die sich selbst gegenüber anderen als absolut nicht verantwortlich betrachteten. Aber sie wollten in ein gemeinsames Finanzsystem eingebunden sein.
Vergleichen wir heute: Gegenwärtig ist die Bezeichnung ident, Euro. Aber zum Trost dürfen die Mitgliedsstaaten auf dem Revers ein Bildchen ihrer Wahl aufprägen. Der Akzent hat sich verschoben. Der Inhalt wird von der EZB bestimmt, abgesichert von der Politik, der Kommission, und eingebunden in den globalen Finanzkapitalismus.

(2) Aber der handelt über das Eingreifen bestimmter Personen: Das wirkliche Gesicht des Euros und der heutigen EU ist die Troika: diese Crew von Spitzenbürokraten aus EZB, der EU, nämlich der Kommission, verankert im IMF. In der „Financial Times“ vom 30. April wird ein irischer Gewerkschafter zitiert: „Die Troika hat Irland mehr Schaden zugefügt als England während 800 Jahren seiner Herrschaft!“

(3) 1961 hat Robert Mundell („A Theory of OCA“) festgestellt: Die EWG kann mit ihren großen Produktivitätsunterschieden keine „optimale Währungszone“ sein, keine geeignete Währungsunion. Als typischer Ökonom machte er dies am Fetisch der Inflationsrate fest. Ein paar Jahrzehnte später, 1999, hat ihm die schwedische Akademie den Wirtschafts-Nobelpreis verliehen, den Preis der bürgerliche Spitzen-Ideologie; denn mittlerweile fühlte er sich verbunden, seine „Theorie“ zurückzunehmen. Die Politiker, die Tindeman und Werner, die Schmidt und Giscard, und seine Kollegen hatten ihm erklärt: Das machen wir schon! Wenn die Produktivität nicht stimmt, machen wir eben „innere Abwertungen“: Wir senken die Löhne; der EuGH schwächt zugleich die Gewerkschaften, um Widerstand zu vcerhindern. Dann bauen wir die Sozialleistungen ab und lassen die EZB die faulen Bankkredite aufkaufen, also die Banken subventionieren. Dafür gibt es mittlerweile einen eigenen bail out-Fonds, den ESM und nun den ESFS, von den €-Propagandisten „Euro-Rettungsschirm“ getauft. Die Währungsunion war somit der politische Entschluss: Wir stellen Zustände her, sodass der Großteil der Bevölkerung ihrer weiteren Enteignung einfach zustimmen muss. Die Risiken und Kosten eines Austritts sind derart enorm, dass sie den meisten Menschen einfach zu hoch sind. Das nennt man dann „Sachzwang“: Man stellt politisch Zustände her, welche kurzfristig ein erwünschtes Handeln dringlichst nahe legen.

(4) Das Europäische Währungssystem (EWS) wurde in einer fast voluntaristischen Weise gegründet. Helmut Schmidt und Valêrie Giscard d’Estaing entwarfen es 1979 höchstpersönlich. Aber ein bisschen naiv glaubten sie sich auf die Funktionsweisen ihrer ökonomischen Traumbücher abstützen zu können. Es war ein schwacher Währungsverbund, ähnlich Bretton Woods, nur auf regionaler Ebene. Die „Schlange“, die bandbreite zugelassener Kurs-Schwankungen, war nicht politisch gesichert, sondern sollte nur durch An- und Verkauf von Devisen („Offenmarkt-Operationen“) gehalten werden. Es war also keine staatliche Währung, nicht vom starken Staat garantiert, und das ist, im Unterschied zum Euro ein Unterschied von Himmel und Erde. Aber die nationalen Regierungen dachten an ihre Klientel und kümmerten sich nicht wirklich um das EWS. Als es faktisch zerfiel, versuchten die Politiker ihr Gesicht zu retten: Sie führten eine Bandbreite von 15 % ein …

(5) Die Wärhungsunion war und ist eine politische Frage. Hört man Maastricht-
Kriterien
, so denkt man nur mehr an die Staatsschulden-Limite. Die zwei anderen Kriterien, die sogar einen gewissen Sinn machen (Zins- und Inflations-Konvergenz) sind ganz aus der Debatte verschwunden. Doch die Schuldenlimite sind willkürliche politische Festlegungen. Sie kamen ziemlich zufällig zustande. Damals, 1992, waren sie gerade der Schnitt in der EG. Und dann haben sie sich verselbständigt und wurden zur self-fulfilling prophecy: Heute starrt das Finanzkapital wie gebannt auf diese Ziffern und vergisst: 1990 waren die Schulden mancher Länder deutlich höher, und sie wurden nicht als lebensbedrohend empfunden. Belgien hatte 1992 140,2 % oder 137, 8 % des BIP, Schulden, je nach Berechnung, und auch Italien stand damals schon bei 125 % des BIP. Im ersten Anlauf in den 1990ern hat man diese Größen etwas gedrückt und dafür eine vergleichsweise milde Rezession in Kauf genommen. Staatsschulden stiegen neuerlich in der Folge der Eurokrise, sind keineswegs ihre Ursache.

(5) Die Euro-Problematik ist eine politische Frage. Man muss sie unter mehreren Perspektiven sehen. Unter einem grundsätzlichen Blickwinkel ist die Chose einfach. Die EU ist der übernationale bürokratische Staat des heutigen Finanzkapitalismus. Nahezu alle bedeutsamen politischen Entscheidungen fallen heute auf dieser Ebene. Die Mitglieder haben nur mehr die Kompetenzen eines ausgedehnten Verwaltungsföderalismus. Es ist gute linke Tradition: Diesen Staat kann man nicht reformieren. Diesen Staat muss man zerschlagen. Träume von „Vereinigten Staaten von Europa“, auch wenn sie sich auf Trotzky beziehen, sind pure altsozialdemokratische Illusion. Die Losung muss heißen: Zerschlagt die EU!

(6) Aber man muss die EU auch aus der Sicht der Alltagspolitik betrachten. Und hier können wir auf ziemlich weite Strecken mit jenen einen Weg gehen, welche aus einer ehrlichen (links)reformerischen Überzeugung heraus die fundamentalen Mängel heutiger EU-Politik betonen: die Zerschlagung jeder wirtschaftspolitischen Fähigkeit der Nationalstaaten; den Sozialabbau; die Umverteilung nach oben; die ungeheuerlichen Milliarden-, ja Billionengeschenke an die Banken. Alle diese Züge sind unlösbar mit dem Euro, sind mit der Währungsunion verbunden. Aber sind dies wirklich Mängel? Das ist die Grundstruktur! Sehen wir uns doch die Entwürfe von seinerzeit an! Das war geplant und ist gewollt.

(7) Den Staat EU zerschlagen heißt, als ein Mittelfrist-Programm:
Renationalisieren der europäischen Politik.
Zerfällt der Euro? Nein – man muss ihn zerschlagen!

14. Mai 2013

Thema
Archiv