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Everybody’s darling?

Ein paar rohe Gedanken zur Wahl Rohanis


22. Juni 2013
von Wilhelm Langthaler

Alle Seiten scheinen mit dem unerwarteten Ausgang der iranischen Präsidentenwahlen zufrieden zu sein – mit der notorischen Ausnahme Isräls. Da kann doch was nicht stimmen, fragt sich der internationale Beobachter, angesichts der explosiven globalen Spannungen zumal in der Region.


Das zentrale Establishment

Zu aller erst kann der oberste Führer Khameini glücklich sein. Das System der Islamischen Republik, dem er vorsteht, hat sich als außerordentlich flexibel erwiesen. Nicht nur zeigt die hohe Wahlbeteiligung letztendlich des Systems politische Stärke an, sondern auch die Zulassung einer Figur, die nicht als der dominanten Fraktion zugehörig gilt. Wenn da nicht die Berichte wären, dass Khameini auf die konservativen Kandidaten gesetzt hatte (die alle zusammengenommen weniger Stimmen auf sich vereinigen konnten), wollte man meinen, er habe Rohani höchstselbst erfunden. Denn er erwischt damit gleich mehrere Fliegen auf einen Schlag:

Das System entledigt sich sanft des in Ungnade gefallenen und verbrauchten Präsidenten Ahmadinejad, der bei seinem Aufstieg die unteren Schichten an das System gebunden hatte. Gleichzeitig überbrückt man die tiefe Kluft, die das Land seit der Niederschlagung der Grünen Bewegung zerreißt und die bis tief in das Establishment hineinreichte – ohne nachgeben zu müssen. Drittens dämpft man den Konflikt mit dem Westen, für den das Establishment nur dann Mehrheiten hinter sich vereinigen kann, wenn die Aggression verständlich und vermittelbar von Washington und Co. ausgeht. Den Preis der provokativen Rhetorik Ahmadinejads wollten nur mehr wenige zahlen. All diese Faktoren führen zu einer zeitweiligen Stabilisierung des Systems und des Zentrums, das durch die inneren Konflikte und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten schon recht verlassen gewirkt hatte.

Die Grünen und die Reformayatollahs

Für die geschlagene Grüne Bewegung mag der Wahlsieg wie eine späte, teilweise Rehabilitierung wirken. Sie könnten es im Rahmen der Realpolitik als das maximal Mögliche verstehen. Einige werden sich damit nicht zufrieden geben und wieder Vorstöße zu mehr wagen, was Rohani wohl schnell an seine Grenzen bringen und ihn zwingen wird, Farbe zu bekennen.

Rohani genoss die Unterstützung der Reformayatollahs, sowohl des Präsidentschaftskandidaten von letztem Mal, Mousavi, sowie des ehemaligen Präsidenten Khatami als auch des liberalen Zentrumsklerikers und Großkapitalisten Rafsanjani, der obwohl systemisches Urgestein von der Wahl ausgeschlossen worden war. Für all diese könnte Rohani ein guter Kompromiss sein, der ihre Interessen vertreten wird, ohne von vornherein in offenen Konflikt mit Khameini zu geraten. Das ist ihnen sicher lieber als eine neuerliche Grüne Bewegung, die letztendlich die Grundfesten der Islamischen Republik in Frage stellt. Wie gefährlich dieses Spiel ist, auch angesichts der arabischen Rebellionen, zeigt, dass Mousavi noch immer unter Hausarrest steht. Ob Rohani diesem die Bewegungsfreiheit wieder zurückgibt, wird als Zeichen gewertet werden können. Sicher ist es keineswegs.

Der Westen

Vor den Wahlen hörte man von der westlichen Medienmaschine sehr viel Skeptisches. Es ging vor allem darum, die Kampagne gegen einen der zentralen Gegner weiterzuführen. Mit den einzelnen Kandidaten gab man sich gar nicht erst groß ab. Doch als die überraschenden Nachrichten aus Teheran eintrafen, wandelte sich die Stimmung und man hieß Rohani durchaus willkommen. Die Politik Washingtons gegenüber dem Iran ist festgefahren. Sie befindet sich in einer Sackgasse, aus der man nicht herauszukommen scheint. Da steht die Nuklearfrage, in der die gesamte globale Ordnung und Vorherrschaft der USA beschlossen liegt. Israel drängt strategisch auf einen Militärschlag, von dem Washington weiß, dass er auf längere Frist nicht zu gewinnen sein wird (also regime change bewirken kann) und die Sache nur noch schlimmer machen könnte. Nun kann man bequem auf Rohani verweisen, ohne den engsten Verbündeten vor den Kopf zu stoßen. (Daher ist Tel Aviv auch so unglücklich.) Da ist aber auch noch das syrische Problem. Obama setzt mittlerweile in letzter Konsequenz auf eine Verhandlungslösung, eine noch unausgegorene Machtteilung – welche nicht im Widerspruch zu Waffenlieferungen und Intervention via regionale Verbündete steht. Washington weiß, dass es dazu auch Teheran am Tisch braucht. Auch dazu kommt ihnen der neue, unbekannte Präsident gerade Recht.

Man kann es nicht Allen recht machen

So selten eine solche ubiquitäre Freude vorkommt, so schnell wird sie auch verfliegen. Denn die Widersprüche, in deren Mitte sich Rohani befindet, sind zu tief und zu groß, als dass er über ihnen stehen könnte, ohne Seite zu beziehen. Da bleibt die Frage nach mehr Demokratie im Allgemeinen und kulturellen Freiheiten für die städtischen Mittelklassen – wie in der Türkei und in den arabischen Ländern. Das Land steht auch durch das Embargo vor größeren wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die Frage der Verteilung und sozialen Gerechtigkeit bleibt akut. Ganz abgesehen von den bereits genannten internationalen Verstrickungen und ihrer in dem Ausmaß nie gesehenen konfessionellen Aufladung in der Region.

Am ehesten ist ein ganz vorsichtiges Ansetzen an der Linie Khatamis zu erwarten. Stillschweigende Duldung von mehr kulturellen Freiheiten und politischen Spielräumen. Gegenüber dem Westen weniger Provokation und der Versuch von diplomatischer Annäherung, ohne in der Substanz zum Nuklearprogramm nachzugeben. All das könnte Rohani genug Konsens verschaffen, um auf der wirtschaftlichen Ebene in eine mehr neoliberale Richtung zu gehen. Dabei handelt es sich einmal um Intuitionen, Vermutungen – denn dieser Kurs ging schon einmal schief.

Wiederholung des Zyklus?

Eines ist sicher: Rohani kann nicht einfach dort weitermachen, wo Khatami aufhörte, denn Khatami ist gescheitert, ja geschlagen worden. Erinnern wir uns an den Krisenzyklus: Nach den Verhärtungen des Krieges erwartete eine Mehrheit von Khatami Ähnliches, was auch heute von Rohani erhofft wird. Doch er scheiterte innen wie außen. Weder verbesserte er die soziale Lage der breiten Massen, noch gelang sein Dialog der Kulturen, denn auf der anderen Seite hatte Bush unerbittlich den Kulturkrieg gegen den Islam ausgerufen. Die Liberalisierung ging dem Establishment zu weit und rief ungewollte Geister. Da kam Ahmadinejad gerade recht, denn ohne ihn hätte Khameini Khatami nicht so leicht losbekommen –auf der anderen Seite stand schon damals die Gefahr dessen, was später die Grüne Bewegung werden sollte. Ahamdinejad mobilisierte nämlich die Armen. Er tat das kulturkonservativ, was dem konservativen Zentrum passte, doch gleichzeitig mit einem antiklerikalen Unterton, mit millenaristischen Zügen, was sich später als allzu großer Störfaktor herausstellen sollte.
Unter dem Strich zeigt sich, dass das Herz des Systems mit dem Klerus und den Basaris alleine zu schwach ist um stabil zu herrschen. Seit dem Ende des Krieges und seiner Mobilisierung braucht es immer Partner am Rand und außerhalb des Wilayat-e Fakih (die von Khomeini entwickelte und institutionalisierte Doktrin der „Herrschaft der Rechtsgelehrten“), die dazu tendieren, dass System selbst in Frage zu stellen.

Die allgemeine Beliebtheit des neuen Präsidenten kann also in Hilflosigkeit, Ohnmacht und Ausweglosigkeit umschlagen – wie es schon seinen beiden Vorgängern widerfuhr.

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