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Revolutionäre und Aleviten

Nachtrag zur Gezi-Park-Bewegung


23. Juni 2013
von Wilhelm Langthaler

Der Beitrag „Gezi-Park: Zwischen Demokratie und Kemalismus, Chance und Gefahr für eine sozialrevolutionäre Linke“ schloss mit folgender Bemerkung: „Allein auf die Aleviten gestützt, lässt sich indes nur Kulturkampf führen und keine Revolution machen.“ Verständnislose Reaktionen laden zu einer Erklärung ein:


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Die radikale Linke speziell unter der Militärdiktatur, die den Anspruch auf bewaffneten Kampf aufrecht erhielt und unter sehr großen Opfern auch zu führen versuchte, speiste sich überwiegend aus der alevitischen Minderheit. Der Krieg der Junta gegen die Kurden, der mit den schmutzigsten Methoden der Vertreibung geführt und auch mit großen Staudammprojekten in Ostanatolien kombiniert wurde, rief eine gewaltige Fluchtbewegung in die Metropolen des türkischen Westens hervor – zusätzlich zu den wirtschaftlichen Faktoren, die in der gesamten globalen Peripherie das Land leerfegt und die Städte anschwellen lässt. Millionen entwurzelter und verarmter Aleviten befanden sich nun plötzlich inmitten einer städtischen Umgebung.

Die Aleviten galten als soziale Rebellen. Sie hatten sich mehrfach gegen die osmanische Sultane erhoben und waren grausam niedergemetzelt worden – anders als andere konfessionelle Minderheiten wie insbesondere christlich-orthodoxe Griechen und Armenier, die mit einer mächtigen Handelsklasse eine de facto und auch de jure abgesicherte Position genossen. Beim kurdischen Aufstand 1937/38 bildeten die Aleviten die treibende Kraft und wurden von den Kemalisten dafür blutig bestraft. Da die Aleviten in ihrem historischen Zentrum (Dersim, von Ankara in Tunceli umbenannt) an der Bruchlinie zwischen Türken und Kurden siedelten, war es kein Zufall, dass die moderne kurdische Nationalbewegung im alevitischen Umfeld entstand. Abdullah Öcalan und ein großer Teil der Führung der PKK sind Aleviten, ohne dass das je für sie eine Rolle gespielt hätte oder sie das politisch genutzt hätten – eher im Gegenteil. Daher blieben die Aleviten insbesondere nach dem Militärputsch von 1980 im Gegensatz zur Junta.

Eine grundlegende Änderung trat erst mit dem Aufstieg der sunnitisch-islamischen Bewegung ein, der gegenüber die Aleviten von Anfang an tiefes Misstrauen hegten. Erst sehr spät verstanden die immer mehr in Bedrängnis geratenden Militärs und Kemalisten, dass es unter den Aleviten ein Potential zu heben gäbe. Insbesondere unter der Herrschaft der AKP bewegten sich die Aleviten zunehmend in Richtung Kemalisten und Säkularisten, ohne dass dem konfessionellen Moment eine zentrale Rolle zukäme. Exemplarischer Ausdruck dessen war die Tatsache, dass beim Referendum 2010 die Provinz Tunceli mit 81% den mit Abstand höchsten Stimmenanteil für die Militärs aufwies. Die reichen Westprovinzen der weißen Türkei folgten mit gehörigem Abstand. Zweitplaziert war mit 74% Kırklareli an der Schwarzmeerküste und Grenze zu Bulgarien. Insgesamt stimmten allerdings nur 42% für die Bebehaltung der Verfassung. Auch innerkurdisch tat sich ein gewaltiger Riss auf. In keiner der kurdisch dominierten Provinzen (außer Tunceli) erhielt das Nein mehr als 10%, wobei die PKK für den Boykott aufgerufen hatte, dem teilweise massiv Folge geleistet wurde.[fn]siehe „Verfassungsreferendum Türkei: Demokratisierung und Absetzung vom Westen“[/fn] Es ist wohl kein Zufall, dass jener Mann, der das kemalistische Flaggschiff, die CHP, vor dem Untergang retten soll, ein alevitischer Kurde aus Dersim/Tunceli ist, namentlich Kemal Kılıçdaroğlu.

Heute stehen die Aleviten, die zwischen 10-20% der Bevölkerung stellen, in ihrer großen Mehrheit gegen die AKP-Regierung und auf Seiten der Gezi-Bewegung. Insbesondere in der Syrien-Frage lehnen sie Erdoğans aggressiv-interventionistische Haltung ab und tendieren in verschiedener Abstufung zur Unterstützung Assads. Ein Aspekt der konfessionellen Solidarität mit den verwandten arabischen Allawiten wird wohl nicht zu bestreiten sein.

Die revolutionäre Linke hat sich historisch sehr stark aus dem alevitische Milieu gespeist. Das ist schlicht eine Tatsache. Doch allein auf dieses Milieu gestützt ist die türkische kapitalistische Elite nicht zu stürzen, die übrigens fest im Sattel sitzt. Von den Islamisten ist zu erwarten, dass sie die konfessionelle Differenzierung benutzen werden, um sich politisch zu panzern. Es ist durchaus möglich, dass sie damit einen konfessionellen Konflikt ähnlich wie in der arabischen Welt und insbesondere in Syrien provozieren werden. Eine revolutionäre Linke darf keineswegs in diese Falle tappen und vor allem auch nicht mit gleicher Münze zurückzahlen. Sie muss den politischen, sozialen und kulturellen AKP-Block spalten und zwar entlang demokratischer und sozialer Fragen und damit den entstehenden konfessionellen Konflikt im Keim ersticken.

Nun sollte die Bemerkung, dass sich allein auf die Aleviten gestützt keine Revolution, sondern nur Kulturkampf machen ließe, verständlich geworden sein. Die Voraussetzung zum Sturz der kapitalistischen Elite ist, ihnen einen Teil ihres Massenanhangs in Form der AKP zu nehmen. Nur wenn die Sozialrevolutionäre einen Teil der sunnitischen Armut hinter sich wissen, können sie aus der Defensive herauskommen. Doch bis dahin ist es noch ein politisch weiter Weg.

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