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Der „Wachstums-Motor“ EU ist eine Wohlstandsbremse

21. September 2013
Von A.F.Reiterer

Die Eliten haben die EU und den Euro tabuisiert. Mit Erfolg verbreiten sie diese Haltung auch in der Gesellschaften. Haben sie dazu doch die Schule in der Hand. "In unserer Schule sind zwei Themen absolut tabu", erzählt ein Lehrer, "Antisemitismus und die EU." Aussagekräftiger geht's nicht mehr. Ist aber ein Sprachrohr dieser Eliten doch einmal gezwungen zu argumentieren, in Wahlzeiten etwa, so heißt es unfehlbar: "Die EU bringt Wachstum und Wohlstand." – Wirklich?


Nun, die österreichischen Ökonomen stehen nahezu vollzählig im Dienst der Regierung, sind im WIFO, in der Nationalbank, im IHS angestellt. Sie wiederholen nahezu einstimmig das Mantra: Die EU ist ein Wachstums-Motor. Passen die Daten nicht dazu: umso schlimmer für die Wirklichkeit. Denn es gibt mittlerweile eine Reihe empirischer Studien dazu. Auf die sogenannten theoretischen brauchen wir nicht zu achten, die „endogene Wachstumstheorie“, das „exogene Wachstums-Modell“, etc. Das ist reine Ideologie, wie die gesamtwirtschaftliche Theorie der Neoklassik allgemein. Interessanter sind die Studien auf statistischer Grundlage.

Sie kommen ganz überwiegend zum Schluss: Die EG / EU war / ist eine Wachstums-Bremse. Aber es gibt dabei auch Ausreißer. Beschränken wir uns heute auf die Frage nach dem Wachstum. Andere, vielleicht wichtigere Fragen, die nach der Konvergenz, dem nachholenden Wachstum etwa, werden wir ein anderes Mal ansprechen.

Das analytische Problem liegt natürlich darin: Für historische Prozesse haben wir fast nie eine „Kontrollgruppe“. Wir können nicht die Entwicklung in Europa einmal „mit EU“ und einmal „ohne EU“ rechnen. Zwar: Es gibt einzelne aufschlussreiche Fälle. Österreich etwa: Das Wachstum hier war in der Zeit der Selbständigkeit vor dem EU-Anschluss deutlich höher, selbst wenn wir die Zeit des Wiederaufbaus beiseite lassen. Aber ein Einzelfall ist bei komplexen Problemen keine Kontrollgruppe. Man muss sich der Sache also auf Umwegen statistisch nähern. Und da gibt es natürlich unterschiedliche Ansätze. Daher kommen denn auch einige der Studien zum Ergebnis: Es gab einen positiven Effekt der EU.

Aber selbst diese Ergebnisse sind von geringem Wert. Beispiel sei eine Studie in einer ÖNB-Publikation 2002. Sie kommt zum Schluss: Es hat einen „signifikanten Wachstums-Bonus“ gegeben. Aber aus der Tabelle geht hervor: Zwischen 1960 und 1998 war der zwar signifikant, aber so winzig, dass man eigentlich nicht weiter sprechen müsste. Im Vergleich zu den anderen Variablen ist der Koeffizient in der Regression mit 0,04 vernachlässigenswert (4,74 für den Nachholeffekt; 0,35 für den Entwicklungsstand [„years of education“], 0,18 für die Investitionsrate), falls man der Rechnung traut.

Trotzdem sind einige Überlegungen von Nutzem.

Ein bestimmter höherer Integrationsgrad kann Wachstum stimulieren: eine Freihandelszone; eine Zollunion; die eine oder andere Maßnahme der Standardisierung und der Abbau einiger nichttarifärer Handelshindernisse… Es könnte also eine Zeitlang, bis 1990, einen positiven Wachstums-Effekt gegeben haben. Dies als Politik linear weiterzuschreiben ist pure Dummheit. Selbst die Euro-Enthusiasten geben zu: Eine an den konkreten nationalen Umständen angepasste Wirtschaftspolitik würde das Wachstum fördern. Aber das erlauben die EG/EU-Verträge nicht. Ein möglicher Wachstums-Impuls wurde durch die Katastrophe der €-Krise vor allem für die Randländer im Süden längst vernichtet. Das bedarf keiner weiteren Argumentation.

Diese Länder zeigen aber auch: Es könnte einen Beitritts-Effekt geben: Die Unternehmen werden generell von Euro-Turbos geführt; sie sind die eigentlichen Wirtschafts-Akteure. Es ist durchaus möglich, dass sie sich vom Beitritt kurzfristig beflügeln ließen. Die Frage stellt sich allerdings: Die Vorbereitungen auf den Beitritt könnten sehr wohl bereits mehrere Jahre vorher dämpfend gewirkt haben.

Doch sind dies eher zweitrangige Fragen: Das Wachstum des BIP bedeutet immer weniger auch Wachstum von Wohlstand für die Bevölkerung. Nicht nur ist das BIP-Konzept äußerst revisionsbedürftig. Man denke an die vielen Satteliten-Konti, die bereits notwendig sind, wenn man wirklich nach Wohlstands- oder auch nur nach Wachstum fragt. Darüber hinaus gibt es immer wieder Manipulationen. Unlängst fühlten die USA das Bedürfnis, ihre geringen Investitionen zu schönen. So deklarierten sie plötzlich laufende Ausgaben in „Investitionen“ um. Die Europäer nickten devot und werden dies ab 2015 auch so machen. Ich erinnere mich, wie 1994 die Herren von EUROSTAT zur Befehlsausgabe nach Wien kam. Der damalige Leiter der VGR in der Statistik Österreich war zwar ein erzkonservativer Mensch. Aber er war auch ein pingeliger Statistiker. Irgendwann platzte ihm der Kragen, und er meinte wenig diplomatisch: „Das können Sie in Wanne-Eickel machen, aber nicht bei uns!“ Aber geschehen ist es doch.

Das Wachstum des BIP spiegelt nur mehr höchst eingeschränkt eine Wohlstands-Zunahme. Insbesondere die Stop-and-go-Wirtschaftspolitik der letzten Zeit bringt schweren Schaden. Die Verteilung wird immer schiefer. Sogar die alte Wohlfahrts-Ökonomie, erdacht von neoklassischen Dogmatikern, wusste: Zunehmende Ungleichheit bedeutet unter sonst gleichen Umständen geringere Wohlfahrt. Deswegen ist sie ja aus der Mode gekommen. Insbesondere bedeutet Wachstum durch steigende Exporte meist tendenziell Wohlfahrts-Verluste. Das könnten gegenwärtig die Menschen in Spanien, Irland und Portugal und sogar auch in Griechenland bestätigen: Die Exporte wachsen dort trotz Crash-Kurs bereits wieder, aber die Armut nimmt zu. Doch selbst in der BRD haben mittlerweile viele begriffen: Der Export-Weltmeister lässt für diesen schönen Titel die eigene Bevölkerung abgleiten.

Und nun ist aller Plausibilität der Empirie nach sogar das BIP-Wachstum durch EU und vor allem durch den Euro gehemmt. Die Ergebnisse kennen wir.

Die EG hat spätestens mit ihrer Umwandlung zur EU in den 1990ern das Wachstums-Ziel faktisch aufgegeben. Zwar hat sie es ideologisch sogar in den Vordergrund geschoben, mit den Lissabon-Zielen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Dogmatiker und modernen Theologen in der EZB und in der Kommission selbst an ihre Rezepte glauben. Die nationalen Politiker und ihre Ideologen taten dies zu einem gewichtigen Teil nicht mehr. Wir wissen ja, dass der Beitritt in Österreich nicht hauptsächlich mit Wachstum gerechtfertigt wurde („Gemeinsam statt einsam°). Als ich einen der EU-Turbos, stets hauteng an den Machthabern und stets bereit, sie gegen die Bevölkerung zu rechtfertigen, einmal mit solchen Studien konfrontierte, meinte er: Selbst wenn das stimmt, bin ich trotzdem für die EU, denn sie macht die Politik, welche Österreich öffnet.

Das ist deutlich: Was kümmert mich die Bevölkerung? Einem Intellektuellen in Indien oder in den USA fühle ich mich näher als einem Menschen im hinteren Gailtal…

Es sind die Gewinner der Europäisierung und Globalisierung, die so denken und reden. Die Idee einer Emanzipation aller Menschen wird pervertiert zu einer globalen Klassen-Solidarität der Oberschichten. Denen, die nicht so denken, denen, welche diese Emanzipation noch ein Anliegen ist, mit anderen Worten: der Linken, sollte dies umso eher die Augen öffnen. Für sie ist die Folgerung dann klar. Das eigentliche Ziel der EU ist diese zugespitzte Struktur der Ungleichheit. Und die Konsequenz daraus für Linke kann nur sein:

Zerschlagt die EU!
20. September 2013

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