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Werner, Michael und ein falscher Che

1. Oktober 2013
Von Wilhelm Langthaler

Oder inwiefern Österreich zwischen Deutschland und Italien liegt


Erstens: Das herrschende System wurde bestätigt, wenn auch mit schwindendem Konsens. Zweitens: Der Wahlprotest verbleibt in systemischer Form. Drittens: Ein antisystemisches, geschweige denn sozialrevolutionäres Moment gibt es nicht.

Sowohl Werner als auch Michael wollten sich in der letzten Woche des Wahlkampfes Merkels Erfolg auf die Fahnen schreiben. In gewisser Weise hatten beide Recht – und scheiterten ebenfalls gemeinsam.

Die SPÖ ist die Partei der vermeintlichen Stabilität, der kulturellen aber auch sozialpolitischen Mitte (vergleicht man in Europa). So sehr sie den neoliberalen Kurs der europäischen Oligarchie in der Substanz exekutiert (Bankenrettung mit kombinierter Austerität), versucht sie das möglichst „ausgewogen“ zu tun. Faymanns Hinweis an die ÖVP, dass das deutsche Steuersystem weiter links stehe als das österreichische, ist richtig. Wobei bereits das deutsche System im internationalen Vergleich Arbeit viel höher belastet als Vermögen. Österreich kommt in die Nähe von Off-shore-Steueroasen, was der SPÖ scheinbar nur vor Wahlen ein Problem ist. Die von der SPÖ vorgeschlagene Steuerreform ist im Rahmen des Systems vernünftig, nämlich aufkommensneutral die unteren Lohnklassen zu entlasten, währen die oberen und vor allem Vermögen stärker zur Kasse gebeten werden sollen. (Was davon in der fortgesetzten Großen Koalition übrig bleiben wird, ist eine andere Frage.) Doch ein Hartz IV gab es in Österreich nicht und die Konsumnachfrage wird nicht in der gleichen Art gedrosselt wie in der BRD. Daher weist Österreich auch nicht den extremen Handelbilanzüberschuss auf wie Deutschland, der aus nichts anderem als aus nicht ausgezahlten Löhnen besteht.

Die SPÖ ist die Partei des unselbständigen Mittelstandes, des staatlichen Verwaltungsapparates und der arrivierten Arbeiter. Die Kernschichten der „Arbeiterklasse“ und alle, die sich als Verlierer verstehen, sind indes zur FPÖ abgewandert. Und natürlich das Heer an Pensionisten, das vor allem bewahren will, im Guten wie im Schlechten. Es wählen also jene die SPÖ, die das System grundlegend bejahen, die von ihm profitieren oder es zumindest als kleineres Übel ansehen.

Historisch ist die ÖVP natürlich Merkels Schwesterpartei. Sie weiß auch das Unternehmertum auf ihrer Seite (Imperium Raiffeisen). Aber kulturell ähnelt die ÖVP mehr der CSU als der CDU. Dieser geringfügige Unterschied macht einiges aus, denn sie ist viel zu kulturkonservativ um die Mitte der österreichischen Gesellschaft zu repräsentieren. Die dünkelhafte Schrulle mit der frühen sozialen Segregation in der Schule stammt aus derselben Zeit wie ihr bürgerliches Bildungsideal. Liberale und viele Unternehmer wollen das nicht mitragen, weil es die Qualität der Arbeitskraft gefährdet. Ganz absurd wird es, wenn die ÖVP in der Großstadt Wien gegen den Zwangkindergarten plakatiert, während es zu wenige Kindergartenplätze gibt. Zudem ist auch die Mehrheit ihrer eigenen weiblichen Klientel berufstätig. Die wohlhabende Frau hat heute Erfolg im Beruf zu haben und nicht am Herd, während die bürgerliche Hausfrau zu einem Auslaufmodell verkommen ist. Zudem kommt der Klientelismus, der in Bezug auf die neoliberale Ideologie für die ÖVP einen größeren Widerspruch darstellt als für die SPÖ. Alle müssen verzichten, nur die Lehrer nicht, weil der ÖAAB eine Grundfeste der ÖVP darstellt?! Auch die historische Umarmung durch den Seniorpartner SPÖ stört dieses Milieu. (An dieser Schiene setzen nicht nur die Neos an…)

Unter dem Strich konnte sich das Doppelzentrum (symbolisiert durch das Du-Wort zwischen Faymann und Spindelegger) halten, aber kein Vergleich mit Merkels CDU. Das hängt auch damit zusammen, dass Österreich wie Deutschland in der Euro-Krise auf der Gewinnerseite im Vergleich zur Katastrophe im Rest Europas steht. Doch Österreich betätigt sich als stiller Mitläufer, während Merkel den Überlegenheitsbonus über Europa ausspielt, der zusätzliche Stimmen brachte. Wohlweislich wurde das Thema Euro und die damit einhergehenden schweren Verwerfungen völlig verschwiegen. Das politische Zentrum und die es tragenden Zweidrittel der Gesellschaft akzeptieren den Euro als Notwendigkeit, auch wenn das Regime nicht geliebt wird. Darum am besten schweigen, Augen zu, es wird schon nichts schief gehen. Die letzten 70 Jahre hat es ja auch funktioniert.

Auf der anderen Seite weist die Opposition noch weniger Substanz auf als in der BRD. Die Grünen gehören sozioökonomisch sowieso zum Zentrum. Ihre Differenz ist nur kulturell, die Position der Bobos, die daher auch stimmenmäßig über deren spezifischen Anteil an der Bevölkerung kaum hinauszukommen vermögen. Die Neos stammen sozial vielleicht aus einem etwas noch weiter gehobenen Milieu. Ihnen gelang es den Stallgeruch der Rechten abzulegen (symbolisch die Farbwahl rosa), dem sie entstammen. Dem Liberalen Forum, ihrem Vorläufer und Kooperationspartner, war das noch nicht ganz gelungen.

Stronach scheiterte an seinem Größenwahn, trotz des teuersten Wahlkampfes. Der Verschnitt aus American Dream, Wirtschaftliberalismus, Konservativismus und zögerlichem Spiel mit Euro-Kritik verkam in Verwirrung und Senilität. Man erinnere sich nur an die Lachnummer „jedem Land seinen Euro“ oder die Ansage zur Todesstrafe, wo selbst seine gekauften Politikhampelmänner sich gegen ihren Chef stellen mussten.

Dem BZÖ gelang es nicht sich vom Haider-Nostalgie-Verein in eine rechtsliberale Partei umzuwandeln, denn zu groß ist die Konkurrenz auf diesem Feld. Sozial gehobenes Milieu zieht es eher zu den Neos oder zur Not auch zu Stronach, Unterschichten und Arbeiter wählen gleich FPÖ. Auch in der Kärntner Heimat ist der Bann gebrochen. Zu toll haben es Haider und seine Epigonen wie die Gebrüder Scheuch getrieben. Zu 11% reichte es gerade mal, 16% im besten Bezirk St. Veit an der Glan.

Letztlich können alle diese Formationen dem herrschenden Zentrum zugeschlagen werden, wenn auch viel amorpher und weniger direkt und verlässlich.

Die einzige Partei, die sich am Rand bewegt, bleibt die FPÖ. Der hölzerne Strache hat unter Beweis gestellt, dass es nicht des brillanten Haiders bedarf (der nach Kreisky die größte politische Figur der 2. Republik abgab.) Haider hatte noch virtuos auf mehreren Geigen gespielt. Einerseits die Reste des schwindenden deutschnationalen Bürgertums, zweitens sein Kärntner Volksanhang, aber auf der anderen Seite entdeckte er den Pöbel als Wahlfußvolk. Strache machte dort weiter. Franz Schellhorn, ein ultraliberale Spinner ohne starke institutionelle Bindung, brachte es auf den Punkt: Wirtschaftspolitisch sei die FPÖ eine linke Partei. Anders gesagt, Sozialsystem ja, aber nur für Österreicher. Ausländerhatz bleibt das wichtigste Argument. Es ist die Partei der Unterschichten, die soziale Forderungen untrennbar mit Chauvinismus verschmilzt. Nicht umsonst richten sich die Angebote für Zusammenarbeit vor allem an die SPÖ („Koalition der Kleinen Leute“), während Schwarz-Blau eher der Ära Haider zuzurechnen ist, der eben auch noch über eine Stütze im Bürgertum verfügte. Man erinnere sich: die Gründer des BZÖ waren jene, die Schwarzblau verteidigten, während Strache (sozialer) Verrat schrie. Letztlich spaltete sich die eigenartige Allianz Haiders wieder in seine sozial diversen Komponenten auf.

Was in der Empörung über den Chauvinismus der FPÖ oft untergeht: Ganz vorsichtig und gezielt dämpfte und verwässerte die FPÖ ihre Rhetorik gegen die EU, den Euro und die Banken. Es geht nur mehr gegen die Übernahme von Risiko, alles andere ist aufgeblasenes, aber substanzloses Beiwerk. Das geht die deutsche Euro-Opposition der AfD wesentlich weiter. Dahinter kann man einerseits vermuten, dass auch die Basis der FPÖ trotz allen Unmuts den Euro und sein Regime als kleineres Übel ansieht. Auf der anderen Seite sendet die FPÖ damit ein noch etwas verklausuliertes Signal an die Eliten, dass sie letztlich regierungsfähig und nicht antisystemisch ist. Als Freund der weißen jüdisch-christlichen Israelis (trotz ihrer antisemitischen Geschichte) gegen die schmutzigen, islamischen, schwarzen Palästinenser hat sie sich bereits geoutet. Damit sind die zwei notwendigen Eintrittskarten ins System, nämlich Euro/EU und Israel, gelöst.

Wer glaubt, dass es eine kleine aber feine linke, sozialdemokratische Opposition nach dem Typus der Linken in der BRD oder der Kaltenegger-KPÖ in Graz gäbe, der irrt. Die KPÖ hat zwar auf 1% zugelegt, erreichte in Wien 1,7% und in manchen Bezirken sogar an die 3%. Soziologisch gesehen korrespondieren ihre Ergebnisse indes mit jenen der Grünen, also gehobener Mittelstand. Soziologie kann allein kein Kriterium sein, aber in Kombination mit ihrer Politik sehr wohl. Nehmen wir die zwei Indikatoren für Sozial- und Außenpolitik – das Euro-Regime und Israel. In beiden Fragen stimmt sie in den Kanon des Systems ein. Sind die Grünen ein subkultureller Wurmfortsatz der SPÖ, so ist die KPÖ ihr sub-sub-kulturelles Destillat, ohne jegliche Eigenständigkeit und Perspektive.

Der Kern einer sozialrevolutionären Opposition muss sich grundlegend sowohl gegen das Zentrum und als auch die mehr oder weniger systemischen Protestformen richten. Die Schwierigkeit besteht darin sozialen Protest von seinen reaktionären, chauvinistischen Momenten zu trennen. (Hier der Unterschied zu Italien, wo es diese Verschmelzung zwar durchaus gibt, aber nicht in dieser allumfassenden, organischen Form.)

So sehr es dazu der Reste linker Intellektualität bedarf, muss ein solches antisystemisches Projekt doch außerhalb der durch und durch systemischen linken Subkultur starten: Ausgangspunkt ist der Kampf gegen das Euro/EU-Regime.

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