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Syrien: Prinzip Hoffnung

Verfasst für die Zeitschrift „Denken+Glauben“ Nr. 170.


5. Januar 2014
Von Wilhelm Langthaler

Als der heterodoxe Philosoph Ernst Bloch die Hoffung als Prinzip proklamierte, stieß er sowohl unter Marxisten als auch unter Christen auf rege Zustimmung. Vielen Marxisten waren des bleiernen Determinismus der sowjetischen Schule überdrüssig, während viele intellektuelle Christen am Hineinstehen ihrer religiösen Prinzipien in das Diesseits Gefallen fanden.


Die Zeiten haben sich radikal gewandelt und Bloch ist in Vergessenheit geraten. Die aktive Gestaltung der Gesellschaft durch die Mehrheit wird wieder diversen Eliten als exklusives Geschäft anheim gestellt. Syrien durchlief diesen Bogen von mehr als drei Jahrzehnten in weniger als drei Jahren. Dennoch kommen wir in Syrien ohne Bloch nicht weiter, gerade weil die Hoffnung dort kontrafaktisch erscheint.

Eine demokratische und soziale Revolte der Mittel- und Unterschichten verfängt sich im Spinnennetz der umgebenden Interessen und wandelt sich in einen äußerst blutigen konfessionellen Bürgerkrieg an dem sich alle regionalen und globalen Mächte rege beteiligen. Einsatz sind regionale Machtpositionen sowie die globale Ordnung zwischen Uni- und Multipolarismus – eine Last, die das syrische Volk erdrückt.

Anders als die arabischen Autokratien in Tunesien und Ägypten entschied sich die Assad-Gruppe – nicht unwesentlich gestützt auf konfessionelle Gruppenloyalität – die Demokratiebewegung mit aller Gewalt niederzuschlagen: Die berüchtigte „security solution“, die von Washington über Moskau und Peking in allzu vielen Staatskanzleien Anhänger findet. Noch mehr, Assad versucht sich mit dem gleichen (Un)recht wie Washington mit dem „Krieg gegen den islamistischen Terror“ zu legitimieren und die soziopolitischen Ursachen der Konflikte geflissentlich zu ignorieren.

Trotz des hohen Blutzolls blieben die Proteste ein halbes Jahr lang überwiegend friedlich. Ein Teil der historischen Opposition warnte in weiser Voraussicht vor der Militarisierung, dem Konfessionalismus und der ausländischen Intervention.

Doch irgendwann brachen die Dämme und die Eskalationsspirale begann sich zu drehen. Militarisierung, Konfessionalismus und ausländische Einmischung erwiesen sich als dialektisch mit einander verwobene Momente.

Saudiarabien führt nun auf syrischen Boden Krieg gegen seinen Erzfeind Iran. Die Türkei hoffte auf der Welle des arabischen Frühlings zu reiten und ihr neo-osmanischen Modell zu verbreiten – um schließlich ebenfalls im Bürgerkrieg festzustecken. Während Frankreich und England Großmachphantasien vergangener Zeiten huldigten, ließen die USA ihre Verbündeten gewähren. Obama will nach dem Irak und Afghanistan weitere Niederlagen vermeiden.

Getäuscht von schnellen militärischen Erfolgen gingen sie von einem baldigen „regime change“ aus und befeuerten mit ihrer Einmischung die Militarisierung und Konfessionalisierung. Doch nach dem ersten Schreck konnte sich Assad mit der Unterstützung Moskaus und Teherans reorganisieren, ebenfalls auf zunehmend konfessioneller Basis.

Doch die militärischen Erfolge der so geförderten jihadistischen Gruppen bewirkten politisch das Gegenteil. Stieß die Demokratiebewegung unter den konfessionellen Minderheiten anfangs auf erhebliche Sympathien und reduzierte die Basis von Assad auf den konfessionell organisierten Repressionsapparat sowie die unter dem Sohn Baschar reich gewordenen sunnitischen Unternehmer, so drängten die Minderheiten aus Angst vor dem Islamismus wieder zurück zu Assad.

Selbst im Westen kommen Zweifel auf. Hatte Bush noch einen Kreuzzug geführt, der letztlich zur Vertreibung einer Million irakischer Christen führte, wird man sich nun bewusst, dass man diesmal die Jihadisten direkt unterstützt.* Man will Assad nun zunehmend als kleineres Übel wahrnehmen, zumal man ihn ohne direktes militärisches Eingreifen sowieso nicht zu stürzen vermag.

Politische Lösung

Militärisch ist der Konflikt nicht zu lösen, denn weder sind die Seiten verbraucht noch die internationalen Unterstützer am Ende. Für die große Mehrheit des syrischen Volks kann der fortgesetzte Krieg ihre elende Lage nur noch weiter verschlechtern.

Verhandlungen für eine politische Lösung sind also die einzige Hoffnung. Russland hatte sich zumindest formaliter von Anfang an für eine Verhandlungslösung positioniert. Neu ist, dass die USA seit ihrem abgesagten Angriff im Spätsommer 2013 ebenfalls dafür eintreten, auch wenn ihr saudischer Verbündeter Himmel und Hölle dafür in Gang setzt, dass es zu keinem Ausgleich mit dem Iran kommt.

Doch zu oft wird über die Geopolitik vergessen, dass der Konflikt nach wie vor seine Ursache im Land selbst hat. Das Genfer Protokoll sieht einen Waffenstillstand, Freilassung von polischen Gefangenen und in der Folge eine Übergangsregierung vor. Doch von Seiten der Regierung gab es bis dato keinerlei Zeichen, dass sie zur notwendigen Teilung der Macht bereit wären. Das wäre aber entscheidend dafür, dass die vom Westen anerkannte Opposition ebenfalls einen solchen Schritt machen kann. Doch alles dreht sich um das Symbol Assad und da gibt es nur schwarz oder weiß – eine sichere Sackgasse. Viele Teile der Opposition wollen mit Assad angesichts des fortgesetzten Massakers überhaupt nicht verhandeln. Sie begreifen nicht, dass es die konfessionelle Gewalt ist, die Assads Basis zusammenhält, während Verhandlungen für einen demokratischen Übergang im Regime die Hardliner isolieren könnte – wie übrigens auf der anderen Seite auch.

Initiative

So unmöglich derzeit ein solches Abkommen scheint, so beschränkt wird selbst dieses sein. Es kommen jene Kräfte und Mächte zusammen, die sich über die Verteilung des Kuchens streiten. Die demokratischen und sozialen Rechte des syrischen Volkes sind ihnen dabei das geringste Problem.

Wenn es Hoffnung gibt, dann kann die ganz im Sinne Blochs nur von unten kommen, aus der Tiefe der syrischen Gesellschaft. Es gab und gibt jene Kräfte, die für eine überkonfessionell-demokratische Lösung eintreten, auch wenn ihnen durch die Eskalation in Form des Krieges die Stimme genommen wurde.

Politische Solidarität üben heißt, dieser Bewegung eine Stimme zu geben, ihr ein Forum zu bieten. Erhält sie das, kann sie auch in beide Seiten hineinwirken und jene Kräfte fordern und fördern, die für einen demokratischen Übergang eintreten, ohne eine der zusammenstoßenden soziokulturellen Konfliktparteien vernichten zu wollen. Anders gesagt, der konfessionelle Bürgerkrieg soll zu einer demokratischen Revolution retransformiert werden. Denn man soll nicht glauben, dass eine Reform, die niemanden schmerzt, zum Ziel führen könnte.

Unmöglich? Utopie? Bloch nannte es konkrete Utopie und meinte damit eben keine Phantasterei, sondern etwas in der Realität Angelegtes, zu Entwickelndes – Tendenz, Latenz, Utopie war eines seiner Buchtitel.

Auch wenn eine solche Lösung sich nicht unmittelbar abzeichnet, so ist es die einzig demokratische, die einzige, die es wert ist, sich für sie zu engagieren, so wie es internationale Größen bereits tun: Ernesto Cardenal, nikaraguanischer Befreiungstheologe; Mairead Maguire, irische Friedensnobelpreisträgerin; Adolfo Pérez Esquivel, argentinischer Nobelpreisträger; Hans von Sponeck, ehemaliger deutscher UN-Diplomat. Sie und viele mehr haben sich in der „Internationalen Initiative für eine politische Lösung“ www.peaceinsyria.org zusammengeschlossen.

* Überhaupt wimmelt es in der westlichen Politik nur so von Orientalismen im Sinne Edward Saids. Spitze des Eisbergs ist die triumphale Zusage der österreichischen Regierung „500 christlichen Syrern“ Asyl zu gewähren – einen offeneren Konfessionalismus kann man sich gar nicht vorstellen. Das christliche Konzept der Nächstenliebe in die Hände von Strache & Co gelegt, ohne dass dieser dafür an der Macht sein müsste. Darüber kann die Lächerlichkeit der Zahl schon mal in Vergessenheit geraten. Indes beherbergt der kleine Libanon mit vier Millionen Einwohnern eine gute Million Flüchtlinge.

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