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Von Marx zu Sraffa und Morishima – Arbeit, Kapital und Transformation

17. Februar 2014

Tendenzen der Politischen Ökonomie 4: Überlegungen zum Wert 3


In Österreich machte das gesamte Kapital (ohne Geld) im Jahr 2000 743 Mrd. € aus. Das BIP dieses Jahres betrug 207 Mrd. Damit wäre der Kapitalkoeffizient k = K / Y = 3,59. Hier sind allerdings auch die Wohnbauten enthalten. Sie werden in den Investitionen und der Investi­tionsquote üblicher Weise mitgerechnet. Denn sie sind auch Mittel, Geld zu verdienen, indem man die Wohnungen und Häuser vermietet. In einer kapitalistischen Wirtschaft wird grund­sätzlich jedes Vermögen als Kapital aufgefasst, nicht nur die materiellen Produktionsmittel. Es gibt Anspruch auf Einkommen, und wenn dies nur potenziell ist. Wohnt man im eigenen Haus, so muss man nach dieser Überlegung eine Verzinsung des Marktwerts als entgangenes Einkommen oder als nicht geleistete Miete rechnen. Das wird z. B. bei EUROSTAT durchaus ernsthaft zugerechnet.

Unter Kapital-Koeffizient verstehen wir allerdings meist nur die Anlagen und Maschinen, welche in die Produktion eingehen. Zieht man den Wohnbau ab, immerhin 36,2 % des Kapitalstocks, so ergeben sich 474 Mrd., somit k = 2,29.

 

Quelle: WIFO 2006 (Hahn / Magerl)

Aber die Daten sind kaum verwendbar. In einer Arbeit des WIFO (2006) finde ich einen Überblick über die OECD. Der gibt für Österreich, auch die Schweiz und die BRD, andere Werte, als ich sie in den dortigen Statistiken sehe. Überdies sind diese Werte im Vergleich ganz und gar unplausibel. Die Werte für Österreich z. B. sind zu hoch und das starke Steigen ist auch höchst unplausibel (Dienstleistungen!). Die Schlussfolgerung ist: Die Berechnungen der nationalen statistischen Ämter sind nicht wirklich koordiniert und vereinheitlicht. Nationale Besonderheiten gehen ein, und in Wirklichkeit wissen wir nachher nicht viel mehr als vorher.

Und ist das wichtig? Der Kapitalkoeffizient ist in der Theorie eine der wichtigsten Kennzah­len. Er gibt schließlich – als Kehrwert – die „Kapital-Produktivität“ wieder. Wie viel Kapital ist aufzuwenden, um in einem Jahr 1 Mill. an Wert zu erzeugen? Diese Daten behaupten: Das 2,3 – 3,6fache des Produkts. Der Gegenwarts-Wohlstand ruht auf der Arbeit der Vergangen­heit. Man müsste also 3 Jahre arbeiten, um überhaupt mit der Produktion nach heutigem Stand beginnen zu können – und das ist vermutlich generell stark unterschätzt.

Ich erinnere mich, bei Arbeiten an einem Auftrag in Kärnten vor fast 3 Jahrzehnten in einen Betrieb gekommen zu sein, wo mir der Geschäftsführer sagte: „Wir haben ja längst unsere Anlagen schon abgeschrieben. Manchmal wundere ich mich, dass wir damit noch produzieren können.“ Man darf also den buchhalterischen Wert keines­wegs für den praktischen nehmen!

Im marxistisch-ökonomischer Sprache misst die organische Zusammensetzung des Kapitals den Tatbestand (in heutiger Sprache: Kapitalintensität K/A), und die ist ökonomisch und politisch fundamental für jede Entwicklung. Zumindest zwei Aspekte sind zu beachten:

1) Die Profitrate p = M / (C+V) (M= Mehrwert, C= Wert des konstanten Kapitals, also von Wareneinsatz und Maschinen, V = Wert des variablem Kapitals, also der Arbeit, d. h. der Löhne) soll „im Gleichgewicht“ für alle gleich sein. Dann muss nicht nur die Mehrwertrate M/V gleich sein, sondern auch die Kapitalintensität. Das ist aber offenkundig nicht der Fall.

2) Im Sprung zur industriellen Gesellschaft scheint nicht nur die Masse der Maschinerie zuzunehmen, sondern auch ihr Wert, also die Kapitalintensität (der technische Aspekt der Ursprünglichen Akkumulation des Kapitals). Stimmt das wirklich?

Beides sind Grundprobleme, und beide müssen ausführlicher besprochen werden.

1) Die Transformationsproblematik, die Verwandlung von Werten in Preise:

In einer einfachen Warenwirtschaft – die es so nie gegeben hat – gibt es keine Ausbeutung. Alle arbeiten mit ihren eigenen Produktions-Mitteln. Höchstens über die Wahl der Produktion (die Allokationsentscheidung) seitens des Einzelnen oder über seine Geschicklichkeit bei der Arbeit oder auf dem Markt kann Ungleichheit entstehen. Ganz anders, wenn Kapital zum Ein­satz kommt. Dann arbeiten viele Menschen unter Anweisung Anderer – und für deren Nutzen. Sie werden ausgebeutet. Sie erzeugen Mehrwert. Wieviel? Gehen wir einmal von einer Mehr­wertrate von 100 % aus; das dürfte historisch ziemlich gut hinkommen. Es wäre eine höchst verdienstvolle Arbeit, wenn sich jemand einmal der Mühe unterzöge, dies für einige konkrete Fälle abzuschätzen.

Doch es kommen Produktionsmittel zum Einsatz, Kapital. Der Kapitalaufwand kann nach Produkt höchst unterschiedlich sein. In einer nahezu automatisierten Fabrik ist er hoch; In einer Rechtsanwalts-Kanzlei eher niedrig. Wenn aber die Mehrwertrate dieselbe bliebe, wären die Profitraten sehr unterschiedlich. Die Profitrate muss aber „im Gleichgewicht“ unbedingt überall gleich sein. Sonst strömt alles Kapital dorthin, wo sie höher ist. Damit sich diese Gleichheit aber herstellt, müssen die Werte in Preise umgewandelt, transformiert werden. Die Produkte mit einem höheren Kapitaleinsatz müssen einen höheren Preis als es ihr Wert ist erzielen, die mit niedrigerer Kapitalintensität einen niedrigeren Preis.

Für die formale Korrektheit des Marx’schen Transformations-Ansatzes sind nun zwei Bedin­gungen erforderlich: (1) W = Pr; die Summe aller Werte ist in einem Wirtschaftssystem gleich der Summe aller Preise. – (2) M = P; der gesamte Mehrwert ist gleich dem gesamten Profit. P ist nur eine Umbenennung des Mehrwerts in seinem strukturellen Bezug zum Gesamtkapital. Als Steuergröße ist der Profit auf einen anderen Nenner bezogen, nicht mehr auf die Arbeit (Lohnsumme), sondern auf das gesamte eingesetzte Kapital. Das ist fundamental. Es ist eben­so einfach wie genial. Der Gesamtprofit wird gepoolt und sodann im Verhältnis zum Kapital­aufwand verteilt. Aber ist das nicht nur ein Rechentrick? Die Einzelwirtschaft, der Einzelun­ternehmer, aber auch der Einzelarbeiter, kann niemals isoliert gedacht werden. Wirtschaft ist wirklich ein System und immer im arbeitsteiligen Verbund. Ökonomie wie Gesellschaft sind so hoch vernetzt, dass ein isolierter Tausch keine Bedeutung hat. Wie real dies ist, werden wir an konkreteren Themen wie dem Baumol– und dem Balassa-Samuelson-Effekt noch sehen.

Böhm-Bawerk, einer der Begründer der Österreichischen Schule, hat dies nicht begriffen. Nachdem Engels auch Band 2 + 3 des „Kapitals“ herausgegeben hatte, schrieb Böhm eine umfangreiche Bewertung des Gesamtwerks. In der ersten Hälfte stellt er die Gedankengänge nicht schlecht und fair dar. Dann aber fängt er an zu polemisie­ren. Zum einen fasst er Marx als eine reine Theorie der (Markt-) Preisbildung auf. Marx habe die Arbeitswert­lehre aus rein ideologischen Gründen entwickelt. Dann habe er gemerkt, dass dies mit der Wirklichkeit, insbe­sondere dem unterschiedlichen Kapitalaufwand, nicht zu vereinen sei. Also habe er den Trick mit der Trans­formation erfunden. Einmal abgesehen davon, dass dies ein bisschen kindisch ist, war dieser Zugang bei Marx spätestens seit 1858, also vor den ersten großen Veröffentlichungen, vorhanden. –  Das Problem besteht darin, dass Marx im 1. Band des Kapitals in völlig ricardianischem Geist den Wert tatsächlich entwickelt, als ob es sich nur um die Tauschverhältnisse zwischen zwei Produzenten oder Warenbesitzer handeln würde. Die systemische Abhängigkeit von Wert, Mehrwert und Profit kommt nicht wirklich heraus. Überdies fasst er die Tauschverhält­nisse als rein technisch bedingt auf.

In seiner heuristischen Weise lässt Marx die Waren (und die Arbeitskraft) mit ihrem Wert in die Tauschprozesse eingehen, aus denen sie dann mit ihrem Preis heraus kommen. Doch die gesamte Produktion wird von vorneher­ein auf Grund von Preisen organisiert. Rein arithmetisch sind simultane Gleichungen anzuwenden. Knapp nach der Jahrhundertwende legte von Bortkiewicz (1907) eine komplizierte Lösung für die „Transformations-Proble­matik“ vor. Praktisch hatte sie keine Bedeutung. Auch wurde darauf hingewiesen, dass bei Einsatz von Gold als Warengeld bzw. Wertmaß eine spezielle Bedingung gegeben sein müsse, damit beide Marx’schen Konditionen (s.o.) eintreffen: Die organische Zusammensetzung des Kapitals bei der Produktion von Gold muss exakt dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt entsprechen (Blaugh 1972, 165ff.). Das ist ersichtlich nur mehr von histori­schem Wert und überdies eine technische Kleinigkeit.

Keine Kleinigkeit ist der erste Punkt, obwohl auch dieser ganz technisch erscheint. Ist Wert neben den Preisen beobachtbar oder nicht? Ist er es nicht, dann wäre der Wert-Begriff tatsächlich sinnlos, eine scholastische Marot­te. Marx hat bisweilen Tendenzen, sich gefährlich nahe an solche Grenzen heranzuwagen. So, wie das „Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate“ in Kapital III formuliert ist, fällt es unter diese Kategorie. Überdies legt es einen automatischen Zusammenbruch irgendwann nahe, und das führt politisch ganz in die Irre.

Wenn es um Reziprozität geht, müssen die Quantitäten stimmen! Aber hier sind Problemen der Theorie – zuge­gebener Maßen nicht glücklich – formuliert, die gültig bleiben. Das ist in erster Linie die Poolung von Werten und Profiten. Wir werden die empirischen Ausformulierungen dieser Gedanken noch besprechen.

Die neueren Lösungsansätze sind leider hoch formalisiert, aber von großem Interesse.

Piero Sraffa, persönlicher Freund Antonio Gramscis, selbst nicht Marxist, sondern konsequen­ter Ricardianer (er hat auch das Gesamtwerk Ricardos heraus gegeben) entwarf gegen sein Lebensende zu eine hoch wichtige Formalisierung von Ricardos System. Bei ihm sieht dies so aus, erst zur besseren Verständlichkeit und sodann formal (p. 3 und 11):

280 Sack Weizen + 12 T Eisen à 400 Sack Weizen
120 Sack Weizen + 8 Tonnen Eisen à 20 T Eisen
10 Sack Weizen 1 T Eisen.

Man beachte, dass hier die Arbeit noch gar nicht gesondert ausgewiesen wird, sondern impli­zit enthalten ist. Weiters handelt es sich um einen stationären Zustand, wo am Anfang 400 Sack Weizen und 20 T Eisen vorhanden sind, und am Ende wieder. – Formalisiert und mit einer Wachstumsrate r (Sraffa sagt unterschiedslos „Profitrate“ oder „Zins“) sieht dies so aus:

(Aapa + Bapb + … + Kapk)(1+r) + Law = Apa

(Abpa + Bbpb + … + Kbpk)(1+r) + Lbw = Bpb

………

(Akpa + Bkpb + … + Kkpk)(1+r) + Lkw = Kpk

 A, B, …, K sind die Mengen der jeweiligen Waren, die in die Produktion als Vorprodukte ein­gehen, p die Preise, jeweils mit dem Subskript für die entsprechende Ware in der Produktion; L ist die entsprechende Arbeit und w der Lohnsatz. Eine Ware (oder auch ein ganzes Bündel) wird zum Wertmaß gemacht und ist daher 1. Damit haben wir die entsprechende Menge an Gleichungen, die uns eine Lösung ergibt für die k Preise, den Lohnsatz w und die Profitrate r – aber mit einem Freiheitsgrad. Sraffas Ricardianismus zeigt sich darin, dass er Profit oder Zins tatsächlich als Kosten behandelt.

Das Ergebnis ist: Die Austauschverhältnisse sind restlos technisch bestimmt, wenn man entweder w oder r festsetzt. Verständlicher ausgedrückt: Selbst in diesem gewissermaßen eisern technokratischem System muss man den Lohn oder die Profitrate fixieren, wenn man alle übrigen Austauschverhältnisse erhalten will – ein politischer Vorgang.

Wir wollen aus diesem dünnen Büchlein, wo aber jede Zeile zählt, noch ein Kapitel heraus heben: Die „Zurückführung (des Werts nämlich) auf datierte Arbeitsmengen“ (34 – 40). Wenn wir r nicht als Profitrate, sondern als Wachstumsrate der Produktivität lesen, dann stellt sich die Frage: Es gehen doch Arbeits- und Produktmengen aus vielen vorherigen Jahren in die Produktion ein, die jeweils unterschiedlich bewertet sind, wenn unterschiedliche Proportionen aus verschiedenen Jahren stammen. Welchen Wer hat dann das Endprodukt?

Verzichten wir hier auf die formale Herleitung. Die Antwort ist: Sraffa zinst diese Warenein­sätze mit der Profitrate ab und macht irgendwann (z. B. nach 40 oder 50 Jahren) einen Schnitt, weil der Beitrag dann nicht mehr ins Gewicht fällt.

Joan Robinson (1962) hat von keynesianischen Standpunkten aus (und damit von der Ortho­doxie her) einen nicht unähnlichen Gedankengang entwickelt, der sehr viel ausführlicher und ganz ohne Arithmetik durchgeführt ist. Bei ihr kommt auch die Möglichkeit der Technikwahl, abhängig vom Zinssatz, ins Spiel. Der wesentliche Punkt ist stets: Die Aus­tauschverhältnisse sind fixiert durch die Technik einerseits, aber auch durch den Zinssatz. Wer oder was aber bestimmt den Zinssatz? Es geht um die Frage der Verteilung. Und das ist eine Machtfrage.

Schließlich sind hier noch zwei Theoretiker anzuführen, die sich selbst jedenfalls als Soziali­sten sehen würden, aber gegen die Marx’sche Präsentation Einwände haben: Okishio Morishi­ma und John Roemer. Roemer hat in einem Aufsatz (1980) den Nachweis geführt, was übri­gens Bronfenbrenner bereits rund 1 Jahrzehnt (1969) bereits tat, dass „im Gleichgewicht“ und unter vollkommener Konkurrenz die Arbeitswerte bzw. Preise und die neoklassische Preisthe­orie dieselben Ergebnisse bringen. Bei beiden dieser Aufsätze ist allerdings die ironische Aussage von Morishima über Leon Walras am Platz: Es bringt nicht allzu viel an Erkennt­nissen, wenn man mittels Arithmetik darlegt, dass Alles mit Allem zusammenhängt.

Morishima (1972) geht an das Problem ähnlich heran wie Marx, nur mit einem ziemlichen mathematischen Aufwand. Der soll hier nicht wiederholt werden – aber sein Buch ist, wenn auch etwas streng, so doch vielleicht das beste zu diesem Thema. Einen ähnlichen Zuang hat Roemer 1990 gewählt.

Er stellt die Werttheorie als Input-Output-Matrix dar. Naturaler Arbeit in Zeitausdruck ist ein Primär-Input. Er erreicht damit zwei Ziele: Zum einen demonstriert er den empirischen Inhalt des Wertbegriffs als Arbeits-Input. Das ist, siehe oben, analytisch fundamental. Zum Anderen bindet er die Theorie am wichtigsten Instrument der Wirtschaftsforschung an: an der VGR, der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in der analytisch entscheidenden Form der I-O-Rechnung und -Analyse. Tatsächlich kommt die I-O-Rechnung aus der Marx’schen Tradition der Kreislaufrechnung.

Die I-O-Rechnung führte eine Zeitlang ein Schattendasein in der Statistik. Alle wussten, dass sie gegenüber den konventionellen Formen der „Kuznet’schen“ VGR nicht nur wesentliche Vorteile hätte, sondern dass ihre Potenz, damit verglichen, alles schlagen würde. Aber sie hat einen riesigen praktischen Nachteil: Sie ist enorm zeit- und arbeitsaufwendig. Daher wurde sie bis vor einem Jahrzehnt auch nur in Abständen von 10 Jahren durchgeführt und kam dann immer Jahre nach den aktuellen Daten. Das ist jetzt teilweise behoben: Die EU hat befunden, dass diese Arbeit gemacht werden müsse, und plötzlich geht es auch. Aber ganz aktuell ist sie immer noch nicht. – Einen nicht geringen Anteil an der späten Einführung hatten deutsche Politiker. Erhard war, wie wir wissen, intellektuelle einigermaßen beschränkt. Da sowjetische Planer und in der Folge Ökonomen der DDR die I-O-Rechnung besonders favorisierten, hielt er sie grundsätzlich für ein Instrument der Planung. Folglich lehnte er sie ab. Damit verzögerte er sie für Jahrzehnte in der BRD, und beim deutschen Gewicht in der E(W)G auch in den meisten westlichen Ländern Europas.

Die I-O-Rechnung kann z. B. die Frage beantworten: Wenn die Bundesregierung 100 Mill. in eine Abwrack-Prämie steckt, wieviel davon bleibt im Land und belebt tatsächlich die Binnenwirtschaft? Mitterlehner, seinerzeit Chef der Statistik in der Bundeskammer, wusste sehr genau, dass fast alles in den Import geht. Ursprünglich war er gegen die Abwrack-Prämie. Aber dann muss der Druck (von wem?) zu groß geworden sein. Er knickte ein. Wirtschaftspolitik erwies sich wieder keineswegs als rational von der Wirtschafts-Forschung begründet, sondern abhängig vom Lobbyismus, von Machtverhältnissen. Aber auch der kann nur im Rahmen gegebener Verhältnisse stattfinden. Und hier kann Ökonomie wieder weiterhelfen.

Wozu sind also diese hoch gestochenen mathematischen Bemühungen gut? Der Hinweis auf die I-O-Rechnung gibt bereits eine Antwort. Ich gebe aber gern zu, dass viel dran ist, was man in Wien Hirnwichserei nennt, wenn man „reine Theorie“ („pure economics“) betreibt. Das träfe dann allerdings auch Marx. Doch der Nutzen dieser Art gesamtwirtschaftlicher Theorie ebenso wie vieler formaler Einzeltheoreme ist eine Art Versuch und Irrtum, ein Training: Es hilft alltagsnähere Probleme diszipliniert durchzudenken. Man kann die Gesamtstruktur und die Prozesse besser erkennen. Joan Robinson hat einmal gesagt, ein Modell der Wirtschaft mit allen denkbaren Komponenten wäre wie eine Landkarte im Maßstab 1 : 1. Sicher, es ist zwei­schneidig. Die Haltung bei Ökonomen ist eher die, wie sie der alte Streissler vor Jahrzehnten in Vorlesungen seinen aufnahmebereiten Studenten darbot: „Legen Sie sich inhaltlich nicht fest, Sie schaffen sich nur Feinde. Aber zeigen Sie, dass Sie Mathematik beherrschen. Jeder kann über Wirtschaft reden. Aber nicht jeder kann so gut Differenzial-Gleichungen lösen wie der Koll. Schneider…“

Ich habe auf einen zweiten Punkt hingewiesen, nämlich auf die Frage: Nimmt der Wert der Kapitalintensität im Lauf der neueren Entwicklung tatsächlich immer stärker zu? Auch das ist ein Problem fundamentaler Wichtigkeit. Wir werden dies in einem eigenen Beitrag zu besprechen haben.

 

Literatur

Blaugh, Marc (1972), Systematische Theoriegeschichte der Ökonomie. 2. Band. München: Nymphenburger. 

Böhm-Bawerk, Eugen von (1973 [1895]), Zum Abschluss des Marx’schen Systems. In: Eberle, Fried­rich, Hg., Aspekte der Marx’schen Theorie I. Zur methodischen Bedeutung des 3. Bandes des ‚Kapital’. Frankfurt / M.: Suhrkamp.

Bortkiewicz, Ladislaus von (1907), Zur Berichtigung der grundlegenden theoretischen Konstruktion von Marx im dritten Band des „Kapital“. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 10, 319 – 335.

Bronfenbrenner, Martin (1969), Eine makroökonomische Auffassung von Marx‘ „Kapital“. In: Jahrbücher für Nat.ök. und Statistik 182, 347 – 365.

MEW 25: Kapital III

Morishima, Okishio (1973), Marx’ Economics. A Dual Theory of Value and Growth. Cambridge: University Press.

Robinson, Joan (1972 [1958]), Die Akkumulation des Kapitals. Berlin: Ullstein.

Roemer, John E. (1980), A General Equilibrium Approach to Marxian Economics. In: Econometrica 48, 505, – 530.

Roemer, John E. (1990 Rerprint), Analytical Foundations of Marxian Economic Theory. Cambridge: University Press.

Sraffa, Piero (1960), Production of Commodities by Means of Commodities. Prelude to a Critique of Political Economy. Cambridge: University Press.

 

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