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Die sympathischen Herren Essl und Treichl und das Systemproblem

5. April 2014
Von A.F.Reiterer

Too Big to Fail: Die realen und die notwendigen Konsequenzen


In den Budgetberatungen 2009 beschlossen die österreichischen Parlamentarier auch eine Maßnahme unter dem leicht kabarettistisch anmutenden Titel: Unternehmensliquiditässtär­kungsgesetz. 10 Milliarden € wurden bereit gestellt und sollten ˗ laut Erläuterungen ˗ Mittel- und Großbetrieben, die sich „zufolge der allgemeinen Finanzkrise in bloß temporären Liquiditäts- oder Solvenzproblemen befinden“, unter die Arme greifen. In der Praxis heißt dies z. B.: Die Haftung über 73 Mill. € für Baumax kann die Republik in den Rauchfang schreiben.

Aber das eigentliche Problem liegt nicht dort. Studiert man das Gesetz und die Erläuterungen, so hat man ausnahmsweise den Eindruck: Hier haben die Legisten einmal nicht geschlampt, sondern eine sinnvolle Maßnahme ergriffen. Ein Nebenaspekt dieser Lektüre ist übrigens: Es fällt wieder einmal auf, dass sich die Erläuterungen fast ein Dutzend Mal auf Richtlinien, Ver­ordnungen und sonstige Bestimmungen der EU berufen. In Österreich kann wirtschaftspoli­tisch nichts mehr beschlossen werden, was nicht von der EU vorgegeben ist. Das ist die Reali­tät hinter der nicht sonderlich intelligenten Aussage: „80 % wird bereits in Brüssel beschlossen.“

Der IMF hat soeben einen Survey veröffentlicht, wo er auch Ergebnisse früherer Studien resumiert. Er geht die Frage nach dem „Too big to fail“ bei Großbanken von einer ganz bestimmten Seite an und fragt: Ist das nicht eine Wettbewerbsverzerrung, wenn Großbanken sich verlassen können, dass man sie auf alle Fälle heraus haut? Und er rechnet vor: Die Großbanken in der Eurozone ersparen sich pro Jahr 300 Mrd. US-$, in der Schweiz 50 Mrd., in den USA immerhin auch 70 Mrd. Das sind nichts Anderes als Subventionen in dieser Höhe. Den Schaden hat die öffentliche Hand bzw. jene, die sie finanzieren müssen, auch wenn sich vor allem die anderen Banken und Unternehmen aufregen.

Die Frage nach der „Wettbewerbsverzerrung“ ist eine Lieblingsfrage der ökonomischen Dogmatiker und ihrer journalistischen Kettenhunde. In einer hochvernetzten Wirtschaft ist es außerordentlich sinnvoll, in die Wirtschaft steuernd einzugreifen und zu verhindern, dass unkontrollierte Zusammenbrüche zu fatalen Folgen für das gesamte System führen und Menschen schädigen. Und selbstverständlich gilt dies nicht nur für Banken, sondern erst recht für Produktionsbetriebe. Die Essl-Unternehmen mit ihren knapp 1 ½ Mrd. € Umsatz und den 10.000 Lohnabhängigen (davon 4.000 in Österreich) können durchaus als Beispiel dienen.

Aber darum geht es offensichtlich nicht.

Die Baumarkt-Insolvenz ist eine Systemfrage. Hier wird uns wieder vor Augen geführt, was das heißt: die Gewinne zu privatisieren und die Verluste zu sozialisieren.

Die schmückenden Debatte rund herum tun das Ihre, um uns drastisch aufzuklären, was Sache ist. Herr Essl wurde einige Male im Rundfunk interviewt und machte einen durchaus sympathischen Eindruck. Wenn man Herrn Treichl junior über sein Geschäft reden hört, auch über die „Zweite Bank“, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Solche Manager brauchten wir auch für andere Banken und Betrieben.

Aber lassen wir die Frage der Kunstsammlung Essl einmal beiseite. Mit der sollten wir uns ein anderes Mal auseinandersetzen. Denn sie ist in vieler Hinsicht kennzeichnend dafür, was Gegenwarts-Kunst ihrem Anspruch nach sein will, und was sie tatsächlich ist. Doch das ist ein Thema für sich und hat mit der Pleite des Großbetriebs nur am Rand zu tun. Die Chuzpe allerdings hat es in sich, mit der Herr Essl plötzlich auftritt und sagt: Gebt mit 86 Mill. € dafür, und im Übrigen braust‘s Euch ˗ die Sammlung darf  in kein Bundesmuseum, die bleibt hier!“ Das sympathische Auftreten von Anno Schnee steht da in einem anderen Licht.

Aber nochmals, halten wir fest: Es ist sinnvoll, dass die Gesellschaft in Form des Staats die Wirtschaft steuert und in die Abläufe eingreift. Aber wenn das sinnvoll ist bei Baumax, wenn dies sinnvoll ist bei Raiffeisen und der Ersten ˗ warum ist das dann plötzlich Anathema bei der Post und Telekom, bei Unternehmen überhaupt? Und, nicht zuletzt: Wer bekommt die Gewinne, solange es gut geht? Wer trägt die Kosten, wenn es nicht mehr so gut geht? „Accumulation by dispossession“, durch die Enteignung jener, die arbeiten, aber auch jener, die einer „Rettung“ vor der Insolvenz nicht für würdig befunden werden, hat man dies genann.

Die moderne Wirtschaft, und das heißt der Kapitalismus seit seinem Entstehen, ist ein derart hoch vernetztes System, dass eine öffentliche Steuerung unabdingbar ist. Die Frage stellt sich lediglich nach der Art dieser Steuerung. Und da hat die Debatte wieder einzusetzen. Die Hegemonie der neoliberalen Eliten war in den letzten Jahren derart erstickend, dass eine Diskussion überhaupt nicht mehr möglich war, zumindest im mainstream, und der begann sehr schnell und schloss alle aus, die nur ein klein wenig abweichend dachten.

Die Finanzkrise hat die Situation gelockert.

Aber was heißt Finanzkrise? Baumax ist keine Bank. Und doch ist diese Insolvenz, wie immer sie gelöst wird, ziemlich kennzeichnend für die Situation. Die 126 Mill. Verluste des vergan­genen Jahres und nicht viel weniger des Vorvorjahres fuhr die Gruppe in der Türkei und in Osteuropa, nicht zuletzt in Ungarn ein. Kein Zufall. Wie so viele andere, versuchte auch sie, die angebliche Goldgrube dort auszubeuten. Und dann stellte sich heraus, dass deren Sohle ziemlich flach liegt. Die rasante Umverteilung nach oben auch und gerade nach dem EU-Beitritt engt natürlich die Konsumkraft des Zielpublikums ein.

Gegenwärtig arbeiten die Eliten und die von ihnen abhängigen Intellektuellen mit aller Zähigkeit dran, diesen Zustand wieder zu reparieren. Auf der politischen Ebene hat dies bislang recht gut funktioniert. So schnell und so effizient fand die Brüsseler Zentralisierung noch nie statt, wie in den letzten paar Jahren. Aber immer mehr Menschen fragen sich nach dem Inhalt der schönen Erzählungen, und immer mehr zweifeln daran. Die Hegemonie ist brüchig geworden. Es wäre das Hauptziel einer neuen und unorthodoxen Linken, hier weiter zu arbeiten und etwas zu bewegen. Und es tut sich Einiges rund um uns. In Österreich jedoch, aber auch in der BRD, so hat man den Eindruck, hinken wir wieder einmal deutlich nach.

 

Literaturhinweis:

Ueda, Kenichi / Weder di Mauro, Beatrice (2012), Quantifying Structural Subsidy Values for Systemically Important Financial Institutions. IMF Working Paper/12/128

 4. April 2014

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