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Die BRICS und ihr zaghafter Versuch der Selbständigkeit

5. August 2014
Von A.F.Reiterer

"Möchten tät I schon, aber trau'n tu I mi net."


 

Am 15. Juli 2014 schlossen die Staaten der BRICS ein Abkommen, dessen Titel schwer übersetzbar, aber doch kennzeichnend ist: CRA – „Contingent Reserve Agreement“, viel­leicht: Abkommen zur ergänzenden Zahlungsbilanzhilfe. Dieser Vertrag wird erst nach einem Ratifizierungsverfahren der Mitgliedsstaaten in Kraft treten, also seitens Chinas, Indiens, Brasiliens, Russlands und Südafrikas.

Wenn Staaten, die fast die Hälfte der Weltbevölkerung beherbergen, ein „Regionalabkom­men“ – in Anführungszeichen, weil es gewagt ist, die BRICS als Region zu klassifizieren – schließen, das die Ambition hat, den Bretton Woods-Institutionen Konkurrenz zu machen, dann muss man hinsehen. Und dieses CRA ist in mancher Weise höchst interessant und sagt einiges über die Struktur der globalisierten Welt aus. Es ist als nicht ratifizierter Vertrag vorderhand eine Absichts-Erklärung. Man wird sehen müssen, was in der Realität geschieht. Der Ehrgeiz ist jedenfalls gegeben. Der Vertrag ist laut Art. 3.b.ii offen für den Beitritt weiterer interessierter Staaten.

Es sind zwei Aspekte, die besonders hervorstechen:

(1) Der Vertrag will einen neuen Fonds für kurzfristige Zahlungsbilanzhilfen für die Mit­gliedsstaaten ins Leben rufen. Damit tritt er unmittelbar in Wettbewerb mit dem IWF (Internationalen Währungsfonds – IMF).

(2) Aber das geschieht in einer geradezu furchtsamen Art und Weise. Denn prinzipiell bleibt der IWF der Bezugspunkt, vor allem auch als Institution, die ihre Kredite mit harten und, wie wir wissen, meist für die Bevölkerung schwerwiegenden unsozialen Bedingen vergibt. Man fragt sich verwundert, wozu dieser neue Fonds überhaupt gut ist, wenn er (Art. 5.d.ii) seine Hilfe erst recht wieder an das Bestehen oder jedenfalls die Aussicht eines Abkommens mit dem IWF und dessen aus Sicht der Bevölkerung meist unakzeptablen Bedingungen knüpft.

Doch der Reihe nach.

Der oder das CRA zimmert einen Fonds zusammen mit insgesamt 100 Mrd. US-$ Umfang. Im Unterschied zum IWF hat dieser Fonds keine internationale Rechtspersönlichkeit. Er wird von einem Rat der CRA-Gouverneure (einem „Aufsichtsrat“) und einem Ständigen Komitee (einem „Direktorium“) mit einer Aufsichtseinheit und einem ständigen Sekretariat verwaltet. China trägt 41 Mrd. bei, Indien, Brasilien und Russland je 18 Mrd. und Südafrika 5 Mrd. 100 Mrd. sind kein Klacks. Die Beschlüsse fallen, je nach Thema, einstimmig, oder – ein feiner Unterschied – es soll Einstimmigkeit angestrebt werden. In einzelnen Bereichen gilt auch die Mehrheit der nach Einlage gewichteten Stimmen. Es müssen also jedenfalls mehrere Staaten zustimmen. Auch China kann nicht allein einen Beschluss durchsetzen.

Wesentlich aber ist: Die gesprochenen Hilfssummen sollen aus zwei Teilen zusammen gesetzt sein. Ein Teil („The ‚de-linked portion‘„) im Ausmaß  von höchstens 30 % des an die Einlage gebundenen Höchstsatzes, ist nur den mehr formalen und soften Bedingungen dieses Fonds selbst unterworfen, die später konkretisiert werden.

Der zweite Teil aber („The ‚IMF-linked portion‘„) ist, wie schon erwähnt, an den Abschluss oder bevorstehenden Abschluss einer Vereinbarung mit dem IMF samt der „Zustimmung der Hilfe suchenden Partei zu den Bedingungen dieser Vereinbarung“ gebunden.

Damit sind wir wieder dort, wo wir ohnehin jetzt auch stehen.

Nicht dass dies eine Befürwortung unbedingter Kredite sein soll: Wir wissen sehr gut, dass solche Staaten gewöhnlich tief im Sumpf endemischer Korruption stecken und auch Zah­lungsbilanz-Hilfen dem nicht entzogen sind. Aber die Bedingungen des IWF sind zu gut bekannt, als dass wir lange dabei verweilen müssten. Wozu also die ganze Übung?

Wie gesagt, dies ist eine Absichtserklärung. Aber sie verrät einiges über die Strukturen der globalisierten Welt. Auf der einen Seite wollen sich also diese Nationen mit ihrer aufstreben­den Wirtschaft unabhängig von Weltbank und IMF machen, die nicht nur die internationale Bank- und Wirtschafts-Bürokratie verkörpern, sondern vor allem in der Hand der USA und ihrer Marionetten sind. Der Anteil der USA verleiht ihnen bekanntlich dort ein Veto-Recht. Und wenn sie sich immer wieder über ihre – angesichts der anteilsmäßig ständig sinkenden realen Wirtschaftsleistung – zu hohe Einlage beklagen, wehren sie sich doch mit Händen und Füßen gegen eine Herabsetzung ihres Anteils, z. B. durch Mehrleistung Chinas. Denn sie wollen den imperialen Griff auf die Bretton Woods-Fonds nicht verlieren.

Auf der anderen Seite ordnen sich die BRICS voll und ganz in die Logik von WB und IMF ein. Das beginnt schon mit der wichtigsten Symbolik: Das Kapital wird in US-$ denominiert und, durch Währungs-Swaps, zur Verfügung gestellt. Die Vertrags- und Geschäftssprache ist Englisch.

Dem steht zumindest der Impuls der Emanzipation gegenüber. Aber im Moment scheint dies mehr eine symbolische Angelegenheit zu sein. Damit bleibt dieses Abkommen vermutlich von sehr begrenzter Tragweite. Es dürfte eher in die gegenwärtig nicht so selten anzutreffen­den Regionalisierungen des Globalsystems einzuordnen sein, deren eigentliche Funktion eine Adaption der Globalisierung, der politischen Herstellung eines kapitalistischen Banken- und Weltsystems, an spezifische Gegebenheiten ist. Das derzeit wichtigste Beispiel ist die EU.

Es hat nicht so viel Sinn, die übrigen Regelungen im Detail durchzugehen. Zum Einen gehören sie in die diplomatischen Gepflogenheiten solcher Verträge. Zum Anderen muss sich ihre Relevanz erst erweisen.

Aber einen Punkt wollen wir noch hervorheben, weil er gleichzeitig amüsant und kennzeich­nend für die Struktur des Weltsystem ist, dass sich theoretisch noch immer als „westfälisches“ System von souveränen Nationalstaaten definiert.

In Art. 20.c., im Abschnitt überschrieben mit Streitbeilegung (dispute settlement), heißt es: „Die Parteien kommen überein, dass sie im Streitfall … keine Verteidigung einsetzen werden, welche sie nur einsetzen können, weil sie souveräne Staaten sind.“

Also: Die souveränen Staaten können zu nichts gezwungen werden, weil sie eben souverän sind. Aber sie verzichten souverän auf den Einsatz dieser Souveränität im Falle des Unterliegens in einem Schiedsgericht. Wenn das nicht der politische Münchhausen ist, der sich da am eigenen Schopf aus dem Sumpf und den Widersprüchen der „Souveränität“ zu ziehen versucht!

4. August 2014

 

Treaty for the Establishment of a BRICS Contingent Reserve Arrangement – Fortaleza, July 15 (http://brics6.itamaraty.gov.br/media2/press-releases/220-treaty-for-the-establishment-of-a-brics-contingent-reserve-arrangement-fortaleza-july-15 [download: 21. Juli 2014])

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