Das World Economic Forum (WEF) veröffentlicht seit einiger Zeit jährlich einen „Global Competitivity Report“. Kern dessen ist ein Ranking von heuer 144 Volkswirtschaften nach ihrer Wettbewerbsfähigkeit“. Und „zum sechsten Mal in Folge belegt die Schweiz den ersten Rang. … Die reformfreudigen nord- und zentraleuropäischen Staaten belegen gute Positionen, während die Länder Süd- und Osteuropas weiter nach unten rutschen. Gleichzeitig wird aber auch sichtbar, dass Länder wie Portugal und Griechenland dank den in den vergangenen Jahren eingeleiteten tiefgreifenden Reformprozessen Boden gutmachen“ (NZZ, 4. September 2014). Aha. Die Wirtschaften Südeuropas gehen zwar zugrunde unter dem Diktat der Troika. Aber sie machen „Boden gut“ in der Wettbewerbsfähigkeit.
Wer ist das WEF eigentlich?
Das ist einerseits leicht zu beantworten, andererseits wieder nicht so präzis zu sagen. Es sind Personen, die teils aus eigenem Antrieb, hauptsächlich aber im Dienst des globalen Kapitals Propaganda für einen ungezügelten Kapitalismus machen. Die Finanzierung ist nicht wirklich sichtbar. Der eigentliche Kopf heißt Klaus Schwab aus der Schweiz, geborener Deutscher. Der Stiftungsrat ˗ der bei solchen Vereinen wenig zu sagen hat ˗ besteht hauptsächlich aus Unternehmern und hochrangigen Wirtschafts-Bürokraten.
Der „Kompetitivitäts-Index“ misst angeblich das „Produktivitäts-Niveau“. Dafür werden in der üblichen Ranking-Manier die Bereiche Institutionen, Infrastruktur, Makroökonomie (?), Arbeitsmärkte, Finanzmärkte, Gütermärkte sowie Bildung und Gesundheit betrachtet.
Wenn es nun stimmt, dass die Punktezahl in diesem Ranking. die angebliche Wettbewerbs-Fähigkeit wesentlich ist, muss es einen Zusammenhang mit dem Wirtschaftswachstum zumindest in mittlerer Frist geben. Gerade diese Art von Ökonomen sehen ja das Wachstum in der üblichen Art der VGR als einen wahren Fetisch, nicht sosehr den allgemeinen Wohlstand.
Wie steht es also darum?
Das erste und wichtigste Ergebnis ist: Es gibt praktisch gar keinen Zusammenhang, r2 ist fast 0. Das zweite Ergebnis wäre: Nimmt man den kaum vorhandenen Zusammenhang doch ernst, dann ist er negativ ˗ das Ranking ist umso höher, je niedriger die Wachstumsrate ist.
Ich möchte nun nicht in den Verdacht kommen, dass ich ebenso unseriös argumentiere wie die WEF-Ökonomen. Diese Graphik hält sich zwar an die Logik des Berichts mit seinem Ranking von 144 Wirtschaften, ohne diese näher zu untergliedern. Aber die Rechnung beweist in Wirklichkeit natürlich gar nichts, weder dafür noch dagegen. Denn hier sind die aufstrebenden Wirtschaften der BRICS ebenso drinnen, wie Westeuropa und seine von der Troika zerstörten Ländern. Das Ranking sagt aber dementsprechend auch genauso wenig aus.
Dann wird es vielleicht anders, wenn man nur die 38 hoch entwickelten Länder nimmt, inklusive der EU-Mitglieder, von denen ja nicht alle als hoch entwickelt gelten können, man denke an die Ost-Mitglieder Polen, Bulgarien, Rumänien und das Baltikum? Aber auch hier gibt es keinen Zusammenhang. Er verschwindet komplett, sinkt von r2 = 0,057 auf 0,00001.
Wozu dient dann der enorme Aufwand des über 500seitigen Berichts?
Er soll die Politik unter Druck setzen. Die Rahmenbedingungen soll so gestaltet werden, wie es sich die Herrschaften vom WEF, stellvertretend für das globale Großkapital, vorstellen. Die Ideologen wünschen den Abbau jedes Schutzes auf dem Arbeitsmarkt; sie wünschen, dass das spekulative Finanzkapital fließen kann, wie und wo es will, und nicht kontrolliert wird; sie möchten, dass die politische Klasse überall, und nicht nur in der Schweiz und in den USA devot ihren Wünschen und Befehlen nachkommt (das heißt bei ihnen: „Vertrauen ins institutionelle Umfeld“); sie möchten eine Verkehrspolitik ohne Schranken für LKWs und eine Gesundheitspolitik, die auf Privat-Finanzierung beruht; usf.
Zur Erklärung: Jeder Punkt stellt eine Wirtschaft dar. Die Wachstumsrate ist das gesamte Wachstum des letzten Jahrzehnts, geschrieben in der arithmetischen Schreibweise: „2,00“ wäre also gerade eine Verdoppelung, als ein Wachstum von 100 %. Die „Kompetitivität“ ist der Punktewert aus dem Bericht 2014/15.
Quelle: für den Index WEF; für das Wachstum Weltbank
Nun könnte man dies als Propaganda-Übungen des Finanz- und Großkapitals abtun. Aber das hieße, diese Leute massiv und gefährlich zu unterschätzen. Die Figuren der politischen Klasse hören auf sie und fürchten sich vor ihnen. Und das gilt nicht nur für Europa. Gegenwärtig gibt es in Brasilien Wahlkampf um die Präsidentschaft. Hier hat nun plötzlich eine Kandidatin gute Chancen, die sich in ihrem Stil völlig von der bisherigen Präsidenten unterscheidet und auf große Sympathien, gerade der unteren Schichten, trifft. Und was lesen wir? Marina Silva hört auf ihre „gemäßigten und intelligenten“ Berater und will eine orthodoxe Wirtschaftspolitik betreiben insbesondere auch den Staat zurückbauen ˗ in einer Gesellschaft der Dritten Welt, wo 80 % der Bevölkerung von Staatsleistungen existenziell abhängig sind. Warum dann nicht gleich Dilma Rousseff behalten?
Es gibt dabei auch den Effekt eines Ansatzes zur self-fulfilling prophecy. Klassenkämpferische Unternehmer und ihre Manager reden so lange vom Abwandern in die Dritte Welt mit ihren niedrigen Löhnen und ihren nicht vorhandenen Umwelt- und sonstigen Kontrollen, bis es am Ende der eine oder andere wirklich versucht. Insbesondere die mittleren Unternehmen holen sich dabei in der Regel eine blutige Nase. Aber das ist eine andere Sache. Einige tun es schließlich, und das bleibt für die Arbeitnehmer und noch mehr für die Gewerkschaften eine ständige ernstzunehmende Drohung. Sie bringt Angst und macht die Menschen gefügig. Und damit ist der Hauptzweck solcher „Wissenschaft“ und ihrer Verbreitung in den Zeitungen erfüllt.
WEF (2014), The Global Competitiveness Report 2014–2015. Geneva: WEF (im Netz vorhanden).
AFR, 8. September 2014