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Alles Kopfabschneider?

Islam als willkommenes Feindbild – Diskussionsthesen


21. Oktober 2014
Von Wilhelm Langthaler

Die Köpfungsvideos sind der absolute PR-Renner – nämlich für beide Seiten – vergleichbar nur mit dem „Gesamtkunstwerk“ 9/11. Der Unterschied: Damals war der Feind eine flüchtige globale Guerilla. Heute ist es ein manifester Protostaat.


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Die Islam-feindliche Flut steigt höher und höher. Medien und selbst staatliche Institutionen führen eine regelrechte Kampagne, die im Volk zur Gleichsetzung von Islam = Jihadismus = Terrorismus führt. Der als liberal gefeierte österreichische Minister Kurz nimmt sich die Pekinger Beamten [fn] Peking akzeptiert keine ausländische Macht über chinesische Bürger, während der Papst in Rom als Herrscher über die katholische Kirche auch chinesischen Priestern vorsteht. Daher bestimmt Peking die Priester, was wiederum von Rom nicht hingenommen wird. [/fn] zum Vorbild und möchte gar eine staatliche Koranübersetzung verordnen.

Millionen Menschen in Westeuropa stehen also unter Generalverdacht, genießen de facto nicht die gleichen Chancen und werden aus der Gesellschaft ausgeschlossen – mit der self-fullfilling prophecy eine Parallelgesellschaft zu bilden.

Nutzanwendung der Islamophobie

Wir stellen drei Arbeitshypothesen zur Funktion der Islamophobie zur Debatte. Dabei ist eine methodische Anmerkung sehr wichtig: Die Islamophobie kann nicht als teuflischer Plan einer verschworenen Elite gefasst werden, selbst wenn es im politischen Apparat Kräfte gibt, die auf diese Karte setzen. Die Islamophobie und ihre Nutzung durch das herrschende System muss als dialektischer Prozess verstanden werden. Die Eliten sind kein homogener Block, es gibt unterschiedliche Linien und Konkurrenz zwischen den verschiedenen Führungen (ihre Medienapparaten mit eingeschlossen). Sie fördern oder dämpfen die im Volk vorhandenen und sich entwickelnden Stimmungen und versuchen sie für ihre Zwecke zu nutzen. Die Resultante des Handelns der verschiedenen Akteure kann sich daher stark von ihren ursprünglichen und früheren Intentionen unterscheiden.

a) Wie bei Ausrufung des „American Empire“ kann die chauvinistische Mobilisierung zur Einschränkung der Freiheits- und Bürgerrechte genutzt werden. Stichwort: Hassprediger, Verhetzungsparagraph und Guantanamo.

b) Die in Verruf geratenen Kriege des Westens (einschließlich Israels) können angesichts der Barbarei des Feindes nun wieder moralisch als gerecht bezeichnet und legitimiert werden.

c) Wirtschaftskrise, steigende soziale Ungleichheit, Aushöhlung der Demokratie und Enttäuschung über die EU verdichten sich zu einer politischen Krise, die potentiell das gesamte traditionelle Herrschaftssystem in Frage stellen könnte wie es in den südeuropäischen Ländern bereist der Fall ist. Da kommt das feindliche Andere im Inneren gerade wie gerufen, um aufkommende soziale Konflikte wieder in den Hintergrund zu drängen. Die bedrohte Hegemonie der kapitalistischen Eliten kann so erneuert werden, selbst wenn es über den Umweg der chauvinistischen und sozialen Rechten geht (Stichwort FPÖ).

Es kann also angenommen werden, dass die Islamophobie heute im Ansatz eine ähnliche Rolle spielt wie der historische Antisemitismus. Auch dieser attackierte letztlich die alten politischen Eliten, um die sozialen Eliten zu retten.

Ursachen der identitären Mobilisierung um den Islam

Ein Liberaler mag einwenden: Wer vor dem Jihad warnt und antiemanzipatorische Tendenzen innerhalb der Muslime kritisiert, muss deswegen noch lange nicht islamphob sein. Wäre dann das nicht tatsächlich die Umkehrung der notorischen Antisemitismuskeule?

Denn natürlich muss Kritik und Distanznahme zur islamischen Mobilisierung in ihren diversen Formen möglich sein. Wir meinen, dass dies aber nicht ohne Rücksicht auf den historischen und globalen Kontext auf demokratische Weise getan werden kann. Wir stellen abermals Hypothesen zur Diskussion:

a) Die identitäre Mobilisierung (Huntingtons „Krieg der Kulturen“), wie sie unter der Herrschaft der Neocons ihren Höhepunkt fand, ist hochgradig asymmetrisch. Sie dient der Festigung der Herrschaft des Westens und trägt damit imperialistischen Charakter. Das muslimische Pendant ist auf der anderen Seite vermittelte Reaktion auf Kolonialismus und Neoimperialismus und enthält ein antiimperialistisches Moment.

b) Spektakuläres Symbol der westlichen Herrschaft ist die andauernde zionistische Landnahme in Palästina, hinter der die geballte Macht des kapitalistischen Zentrums steht.

c) Die gegenwärtige Explosion des militanten Jihadismus ist Folge der akuten Krise der US-amerikanischen regionalen Ordnung und der totalen Unfähigkeit der lokalen Eliten ihren Völkern Lebensperspektiven zu bieten.

d) An integraler, organischer Zug des Jihadismus und Fundamentalismus ist der Konfessionalismus. Dieser führt zur Spaltung der Volksmassen des Nahen Ostens und letztlich zum regionalen Bürgerkrieg. Auch wenn der Konfessionalismus in gewissen Phasen des Kolonialismus und Imperialismus von diesem benutzt und gefördert wurde, trägt er auch ein selbständiges Moment.

e) Die millenaristische [fn]Millenarismus, Glaube an ein apokalyptisches Ende der gegenwärtigen Welt und das Herannahen einer gänzlich anderen Ordnung mit Vatianten sowohl im Diesseits als auch im Jenseits.[/fn] Attraktivität des bewaffneten Jihad für europäische muslimische Jugendliche rührt vom Ausschluss und der Perspektivlosigkeit her.

Demokratische Antworten im Sinne der unteren und mittleren Schichten

a) Basis jeder demokratischen Antwort sind die Verteidigung der Bürgerrechte, allen voran dem Flaggschiff Meinungsfreiheit. Dieses Recht muss auch für antisystemische und antidemokratische Kräfte gelten, die diese Rechte selbst nicht gewähren würden. Die Grenze liegt bei geäußerten Meinungen, sondern bei der realen Einschränkung der Freiheit anderer (einschließlich der Gewalt gegen Zivilisten).

b) Muslime sind im Westen eine unterdrückte Minderheit, eine religiös-identitäre Gruppe, die den untersten sozialen Schichten angehört. Sie bedürfen des besonderen Schutzes, mehr als die meisten anderen religiösen und/oder identitären Gruppen. Denn es ist mit ihr Ausschluss, der den Nährboden für fundamentalistische Konzepte bildet.

c) Der Vergleich mit der Emanzipation von der katholischen Kirche, mit jener Säkularisierung, die die Muslime noch nicht durchgemacht hätten und damit kulturell unterlegen wären, ist verfehlt. Denn der Kampf gegen die Kirche war Teil der Emanzipationsbestrebungen der Volksmassen gegen die herrschenden Eliten. Heute ist es genau umgekehrt. Die kapitalistische Herrschaft ist nunmehr grosso modo laizistisch und die muslimischen Unterdrückten halten dagegen indem sie an ihrer religiösen Identität festhalten. Dieser Unterschied ist politisch entscheidend.

d) Die organische Verbindung zum Kolonialismus und Imperialismus und der Palästinafrage muss immer mitgedacht werden, denn die muslimisch-identitäre Mobilisierung ist eine Antwort darauf. Eine demokratische Lösung heißt in letzter Konsequenz das Ende des Zionismus und die volle Selbstbestimmung der Völker des Nahen Ostens.

e) Nur unter diesen Vorbedingungen kann eine demokratische Kritik an und Opposition gegen die islamisch-identitäre Mobilisierung geleistet werden. Dabei geht es nicht um überkommende atheistische Religionskritik, die Gläubige nicht zu überzeugen vermag, weil sie von anderen Prämissen ausgeht. Sondern es geht um eine politische Kritik.

f) Die identitäre antiislamische Mobilisierung, die die Einheit gegen den Islam auf Basis der Annahme einer überlegenen (demokratischen) Kultur propagiert, muss bekämpft werden, in dem die Interessensgegensätze im Inneren in den Vordergrund gerückt werden. Zudem muss das Herrschaftsverhältnis gegenüber der (islamischen) Peripherie aufgezeigt werden, das selbst antidemokratisch ist.

g) Der Islam als Feindbild muss durch Historisierung, Kontextualisierung und Differenzierung entmystifiziert werden. Die islamischen Unterklassen müssen als Bündnispartner gegen die Eliten gewonnen werden, unter Einbindung in ein demokratischen Projekt und gleichzeitiger Respektierung von Differenz.

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