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Hypo Alpe-Adria: Die Unfähigkeit als System

5. Dezember 2014
Von A.F.Reiterer

Der Bericht der HAA-Kommission und seine Konsequenzen


Die Griss-Kommission macht Sensation. Es ist nicht das, was sie schreibt. Das ist fast alles seit geraumer Zeit bekannt, und wir wissen darüber Bescheid. Aber wer dies sagt, und wie, in welcher Klarheit, bei allen diplomatischen Umschreibungen, das ist tatsächlich eine Sensa­tion. Niemand hat diese Kommission ernst genommen, als die Regierung sie im Frühjahr einsetzte, und am wenigsten sicherlich die Auftraggeber, die Regierung. Und nun dies.

Es war fast amüsant. Am Dienstag, 2. Dezember, brachte ein Journalist in einem OFR-Journal einen kurzen Bericht über die Pressekonferenz der Griss-Truppe. Es war ganz klar, dass die Moderatorin die explosive Brisanz überhaupt nicht erkannte. Am Abend hatte der Staatsfunk die Kurve dann gekriegt.

Gut möglich, dass dies ein großer Schritt in eine neue Republik, nach meiner Zählung die Vierte, ist ˗ etwas Ähnliches, was in Italien Anfang der 1990er passierte.

Der Bericht mit seinen fast 400 Seiten lässt sich recht kurz zusammenfassen: Die österrei­chische Bundespolitik hat in einer langen Folge von geballten Unfähigkeiten aus der Krise einer Bank die größte Belastung für die Bevölkerung in der Nachkriegszeit gemacht. Potenziert durch Politikastertum hat sie einen üblen Kriminalfall fast zur Systemkrise ausgebaut.

Wir haben in diesen Beiträgen (Anfang Juli 2014) und auch in Veranstaltungen im Frühsom­mer die Chose schon einigermaßen besprochen. Provinzieller Größenwahn und systematische kriminelle Energie auf Geschäfts- und politischer Ebene hat das Problem geschaffen. Jörg Haider hat, eifrig assistiert von einem kongenialen Bankdirektor, von dem seine Kollegen sagen, er habe nie zwischen eigenem und fremden Geld unterscheiden können, die HAA zu einem Herd von Korruption, Betrug und Geldvernichtung ausgebaut. Seine Kollegen von den anderen Parteien, die Landesräte von SP und VP, unterstützten ihn dabei. Sie gingen Ver­pflichtungen ein, die zwischen 2004 und 2011 stets das regionale BIP in Kärnten deutlich überstiegen. Die Finanzmarkt-Aufsicht aber sah zu, die Nationalbank griff nicht ein, wozu sie verpflichtet gewesen wäre. Als es in Kärnten einigen dämmerte, dass man dies alles nicht mehr packen könnte, verkaufte man die Bank. Auch dieser Verkauf wurde wieder mit der üblichen Korruption verziert. Diesmal juckte es der Crème der österreichischen Wirtschaft so sehr in den Fingern, dass sie sich auch um ein bisschen Kleingeld bemühte. Die Liste dieser Spekulanten ist aufschlussreich.

Nach Haiders Tod im Suff geht die intrigue, wie man in der französischen Literatur so schön sagt, für den Rest der österreichischen Bevölkerung los.

Die Bayern-Landesbank merkt, dass sie ein faules Ei hat. Sie will es loswerden und setzt die Kärntner Landeshaftung als Erpressung ein. Sie hätte selbst sehr viel zu verlieren, der Bericht schätzt 6 ˗ 8,2 Milliarden. Sie haben also gepokert. Das ist bekannt, oder besser: Es könnte dem Finanzminister bekannt sein, wenn er und seine Beamten sich darum gekümmert hätten. Aber sie lassen sich ins Bockshorn jagen. Pröll jun. verstaatlicht die HAA unter beifälligem Kopfnicken des Bundeskanzlers Faymann am 14. Dezember 2009. Sie übernehmen damit Verpflichtungen, von denen niemand so genau sagen kann, wie hoch sie wirklich sind, jeden­falls viele, viele Mrd. Er und seine Kumpanen nennen dies „Notverstaatlichung“, und die Journalisten, insbesondere vom ORF, gefällig, wie sie nun einmal sind, übernehmen das Wort. Man hat also nicht anders können? Der Bericht der Kommission: „Die Verstaatlichung kann nicht als ‚Notverstaatlichung‘ bezeichnet werden, weil sie … keinesfalls alternativlos war.“

Pröll bekommt mit gutem Grund Herz- und Lungenbeschwerden und tritt am 13. April 2011 zurück. Ihm folgt die unsägliche Mizzi Fekter. Ihr Vorgänger hat den Casus völlig verbockt. Aber Fekter schafft es, die Sache noch weit schlimmer zu machen. Sie zögert bewusst die Standardlösung, die „Bad Bank“ hinaus. Das würde die Staatsschuld statistisch um ein paar Punkte in die Höhe treiben. Und die will man schonen, nicht wahr ˗ die Statistik, nicht etwa die Bevölkerung. Die Formulierung des Berichts ist generös. Er spricht nur von der „Fixie­rung auf die Auswirkungen für die Staatsschuld“. Denn es geht nicht um die Wirklichkeit. Nur der Zahlenfetisch ist wichtig. Das sagt übrigens auch viel über die angeblich so schädliche Staatsschuld: nur der Indikator zählt, die Schuld hat keine Bedeutung.

Und wieder spielen Famann und Schieder, damals Staatssekretär im Finanzministerium und daher direkt mitverantwortlich, mit, der Schieder, den heute manche Journalisten sogar als Nachfolger von Faymann sehen wollen, und Krainer und wie sie alle heißen.

Die SP versucht darüber hinaus, die Katastrophe für politische Spielchen zu nützen. „Die Auf­arbeitung der Vergangenheit wurde zum Selbstzweck“, schreibt die Griss-Truppe. Soll hei­ßen: Faymann und Kumpanen ging es vor allem darum zu sagen: „Es war ja die FP, Haider nämlich, der uns dies beschert hat. Und die VP, Fekter nämlich, bringt nichts zusammen und weiter.“

Und wesentlich: die EU. Sie schafft an. Die „werthaltigen“ Teile müssen verkauft werden, und zwar sofort. Dass dies den Preis drücken und den Schaden vergrößern muss, ist diesen „Wettbewerbshütern“ wurscht. Ein Teil davon ist bürokratische Intransigenz. Fiat iustitia, pereat mundi! Aber da spielt auch viel an Revanchegelüst mit. Die österreichische Spitzen­politik schwärmt zwar stets von Brüssel. Aber sie möchte dies auf schlampig-österreichische Manier machen. Die österreichischen Minister und der Bundeskanzler kommen zu selten in Brüssel angekrochen, um sich klare Weisungen abzuholen. Im Gegensatz zu den Beamten haben sie noch nicht wirklich begriffen, dass es heißt: Strammgestanden! „Die Europäische Kommission erwartet, dass nationale Regierungen auf diese Art kooperieren“ (Bericht). Dass dies die österreichischen Politiker noch nicht begriffen haben, ist keineswegs Aufmüpfigkeit; es ist wieder nur Unfähigkeit.

Damit scheint sich die ganze Affäre auf abgrundtiefe Unfähigkeit zu reduzieren. Man stutzt und ist verwundert. Aber dann begreift man einigermaßen. Diese Unfähigkeit ist selbst Systembestandteil und hat auf ihre Weise Methode.

Als der Herr Liebscher vor rund 2 Jahren einmal gefragt wurde, warum er als Aufsichtsrats-Chef einer fallierten Bank nicht einige besonders riskante und gleichzeitig dumme Speku­lationen verhindert habe, antwortete er gekränkt: „Aber das haben damals ja Alle gemacht!“

Das ist kennzeichnend in seiner Naivität und gleichzeitig bodenlosen Frechheit. Und das war ein Spitzenmanager bei Raiffeisen, dann Präsident der Österreichischen Nationalbank. Auch Pröll, der auf aberwitzige Weise Milliarden verjankert hat, ist heute Chef eines Raiffeisen­konzerns Leipnik-Lundenburger, und weil er ja so intellektuell ist, ist er auch Präsident der Ludwig Boltzmann-Gesellschaft, der wichtigsten wissenschaftlichen Gesellschaft in Österreich.

Leistung, und dies gilt vor allem für Wirtschaft und Politik, ist stets in allererster Linie Anpassungs-Leistung. Da ist es dann wirklich von erstrangiger Bedeutung, „was alle machen“. Die Ideologen des Kapitalismus erzählen uns zwar, dass Unternehmer vor allem schöpferisch zu sein hätten. Ich habe aber den starken Verdacht, dass Josef A. Schumpeter sich unter „schöpferischer Zerstörung“ etwas anderes vorgestellt hat, als schlicht Geld zu verbrennen oder an Spekulanten zu verschenken.

In meinem ganzen mittlerweile langen Leben habe ich noch nie eine derartige Empörung aus der Bevölkerung erlebt, wie sie der HAA-Skandal hervorruft. Was fehlt, ist eine politische Kraft, die das aufnimmt, bündelt und einsetzt. Wer kann in Österreich die Rolle der Cinque Stelle in ihren Anfängen, der indignados vor Kurzem noch, spielen?

4. Dez. 2014

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