Keine Frage: Die vorgezogenen Neuwahlen des griechischen Parlaments am 25. Januar können zu einer wichtigen politischen Weichenstellung in Europa führen. Daher bringen auch alle Kräfte ihre Geschütze in Stellung. Die Konstellation ist in der Tat interessant: Europa kommt nicht aus der Krise heraus und rutscht immer tiefer in die Deflation. Der Graben zwischen den Fiskalpakt-Falken um Deutschland und den nach gemeinschaftlicheren, flexibleren Rettungswegen suchenden Europa-Ideologen weitet sich aus. Tatsächlich hat keiner einen sicheren Ausweg. Besonders den Deutschen scheint nach Jahren der Massenpropaganda als „Exportkaiser ein Abgehen von der Hardcore-Linie innenpolitisch-ideologisch zu riskant. (All die Jahre der Lohnzurückhaltung für nichts?). Anders ist die Kamikaze-Linie der deutschen Politik gegenüber Europa schwer erklärbar. Die Euro-Retter in der Kommission und EZB dagegen – auch sie selbstverständlich gestandene Liberale und in der Finanzoligarchie geschulte Monetaristen – fürchten vor allem einen Dammbruch, wenn sie von den konjunkturschädigenden Haushaltsregeln zu abrupt abrücken.
Und nun der durchaus realistische Sieg Syrizas am Sonntag. Zwar haben die Deutschen recht: Griechenland wäre ökonomisch verkraftbar, egal was nach den Wahlen passiert. Aber Griechenland ist eben nicht nur eine kleine Volkswirtschaft, die man einfach aus dem europäischen Kontext heraus sezieren kann. Griechenland ist nicht so sehr ein ökonomisches denn ein politisches Problem.
Syriza sagt klar und mit empirisch nicht zu kippenden Argumenten: der harte Sparkurs muss beendet werden, da er (i) ein europäisches Land in eine soziale Katastrophe mit Dritte-Welt Ausmaß getrieben hat, und (ii) das Land nicht aus seiner Schuldenfalle herausholen und auf neuen Wachstumskurs bringen kann. Der griechische Wahlkampf wurde rasch zu ein Stellvertreterkrieg auf europäischer Ebene hinter dem die Frage des Auswegs aus der Euro-Krise und der Zukunft der Union ausgetragen wird: auf der einen Seite die Deutschen mit ihrer Linie des Troika-Regimes als „Geschäftsgrundlage der Solidarität“ von der nicht abgerückt wird – sonst gibt es den Grexit. Auf der anderen Seite meldete Die Zeit (10. Januar), dass in der EU-Kommission die (rationale) Bereitschaft zu einem Schuldenschnitt wächst, was auch bedeutet, dass man mit Syriza über die Schuldenfrage gesprächsbereit wäre.
Ein Sieg von Syriza könnte also die Entwicklungen in Europa beschleunigen und den „Kampf der zwei Linien“ auf eine neue Ebene heben. Alles im Prinzip noch keine Katastrophe für die Kontinuität des kapitalistischen Regimes in Europa: Syriza ist zu einer moderaten Kraft geworden und ein Nachgeben in der Schuldenfrage sollte für Europa verkraftbar sein. Doch es gibt für die herrschende Klasse Unsicherheiten: was tun bei einem sturen deutschen NEIN zu jeglicher Flexibilität? Was wenn die Aufweichung des Fiskalpaktes in Griechenland zu einem Dammbruch in anderen Krisenländern Südeuropas führt? Was wenn das Ganze so aus dem Ruder läuft, dass die „zwei Linien“ durch den Katalysator Syriza in aller Öffentlichkeit die Brüchigkeit des Projekts Europa an den Tag legen und damit der ganze ideologischen Kitt verloren geht? Was wenn auf Syriza in Griechenland Podemos in Spanien folgt? Und dann vielleicht in deren Windschatten und vor dem Hintergrund einer ideologischen Krise der Europa-Ideologie sich die dezidierten Anti-Euro-Kräfte stärken? (Tsipras ist ja mittlerweile eine einschätzbarer Verhandlungspartner, aber ein Beppe Grillo in Italien oder was da noch alles kommen kann?) Des einen Leid ist des anderen Freud: Für die soziale Opposition gegen das Euro-Regime riecht diese Ungewissheit für die Herren Europas nach Frühlingsluft.
Im Gegensatz zu den Wahlen 2012 ist die wichtigste treibende Kraft, die die Entwicklungsrichtung von Syriza und Griechenlands nach den Wahlen am Sonntag bestimmen wird, heute nicht eine innenpolitische sondern eine europapolitische: 2012 stand Syriza vor einem Wahlsieg getragen von einer radikalen Bewegung auf der Straße. Eine Regierung Syriza 2012 wäre eine Regierung der Straße gewesen, die dem aktiven Druck der Massen Antwort stehen hätte müssen. Das Handeln einer Regierung Syriza 2015 wird vor allem durch den Ausgang der europäischen Debatte um die Zukunft des Euros bestimmt werden: Flexibilität oder Intransigenz. Und das soll nicht vergessen werden: Tsipras hat sich fest an diesen europäischen Rahmen gekettet. Er will die Troika-Auflagen nicht mehr aufkündigen sondern neuverhandeln. Wo eine Regierung Syriza 2015 also endet, hängt von der Frage ab, wo Europa und der Euro in den nächsten Jahren hingehen werden.
All jene Kräfte, die im Euro keine Zukunft für die Länder der europäischen Peripherie sehen und die das immer unerträglichere kapitalistische Regime hinter der mittlerweile sehr brüchigen Ideologie des gemeinsamen Hauses Europa nicht vergessen haben, können in jedem Fall neue Hoffnung schöpfen. Wir sind für einen Sieg Syrizas. Die klaren Anti-Euro-Kräfte in Griechenland werden leider kaum eine Chance auf substanzielle Stimmenanteile haben, angesichts der Polarisierung zwischen der Troika-Partei Nea Dimokratia und Syriza. Aber wir hoffen auf den Sieg von Syriza nicht mit den Illusionen einer Verhandlungslösung als Ausweg aus dem sozialen Desaster der griechischen Massen. Wir sind für Syriza, weil dies die Büchse der Pandora für Brüssel öffnen kann.