Site-Logo
Site Navigation

„Plan für eine Belebung der italienischen Wirtschaft bis zur Rückkehr der Lira (500 Milliarden)“

4. Februar 2015
Von A.F.Reiterer

"Die einzige Perspektive, die wirklich nicht nachhaltig ist, heißt, dieses Europa der Verträge und der Austerität einfach weiterführen... Man muss die Ökonomie auf die innere Entwick­lung ausrichten." Dazu bedarf es wieder der "monetären Souveränität" (6f.). Das ist der Aus­gangspunkt dieser Broschüre, die man an einem Büchertisch bei der Abschluss-Veranstaltung der Koordination Europäische Linke gegen den Euro in Rom am 25. Jänner 2015 erwerben konnte.


Es ist ein Stück sehr naiven Keynesianismus‘. Mit der Vorbereitung auf den Austritt aus dem Euro hat das Büchlein kaum etwas zu tun, entgegen dem Titel. Es ist die schlichte Idee eines gewaltigen Investitions-Programms im Ausmaß von 500 Milliarden Euro, gestaffelt über vier Jahre. Der Kern ist ein Multiplikator (31), jene Größe also, mit der eine Anfangs-Investition durch den Folgekonsum und die wiederum dadurch induzierten Folgeinvestitionen insgesamt auf das BIP wirken würde. Doch weder wird die Konstruktion des Multiplikators erläutert, noch findet man einen Hinweis, wer oder welches Institut ihn konstruiert hat. Er wird einfach mit 1,5 angenommen. Hieraus wird eine kleine Tabelle produziert, wo die zu erwartenden Werte des italienischen BIP errechnet und wo in einer weiteren Spalte die aus dem Wachsen des BIP sich reduzierenden Staatsschulden-Quoten eingetragen werden.

An diesem Punkt ist man heftigst versucht, das Heft in der Rundablage zu entsorgen.

Die vielen Graphiken rund um den Vorschlag machen es auch nicht besser. Aus zweiter Hand übernommen, sind sie schlecht beschriftet. Man erkennt oft nicht wirklich, um welche Dimensionen es sich handelt, und die Jahres- und Quartalszahlen sind so angebracht, dass man sich nicht wirklich auskennt. Außer der Tendenz ist vielfach nicht erkennbar, welcher Balken wohin gehört. Bei der Recherche nach den Autoren („Think Tank“) wird man kaum klüger. Selbst der Verlag des Heftes bleibt weitgehend unklar.

Trotzdem sollte man ein klein wenig Geduld aufbringen. Es ist wahr: Die ganze Angelegen­heit wirkt höchst unseriös. Der Hinweis auf den Herrn Mosler, jenen neuen Messias aus den USA, macht es auch nicht besser. Und doch: Es ist ein Versuch, aus dieser interessanten, radikal-plebeischen Bewegung heraus, einer ganz neuen, diffusen und in ihrem Stil zugege­bener Maßen recht gewöhnungsbedürftigen Linken, über politische Schlagworte weiter zu gehen. Man arbeitet nicht mehr nur mit Angriffen und Wutausbrüchen, man argumentiert mit Zahlen und Fakten. Das ist mehr, als die meisten ihrer Gegner mit ihren dumpfen Versuchen der Beängstigung zusammen bringen: „Kollaps“, „Katastrophe“, „Zusammenbruch der Finanzmärkte“, …

Überdies gibt es eine Reihe von Ansätzen in der Broschüre, über die man sprechen kann und soll. Zur Finanzierung wird eine Öffentliche Investitionsbank vorgeschlagen ˗ SYRIZA hat jüngst auf die Einwände von außen reagiert, indem sie anstelle eines runden Schuldenschnitts die Ausgabe von Partizipations-Scheinen an griechischen Banken vorschlug, und das ist nicht so weit verschieden davon. Eine nationale Parallelwährung lässt sicherlich das Hauptproblem offen, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit infolge des für den Süden zu hohen €-Kurses ˗ aber es könnte ein Schritt in die Richtung auf eine Renationalisierung der Währungspolitik sein. Über eine italienische „Energiewende“ kann man sehr geteilter Meinung sein ˗ sie wäre fast schon ein mainstream-Programm. Die Vorschläge zur Bildungspolitik sind äußerst konventionell und gehen in Richtung größerer Absolventenzahlen und einer erhöhten Forschungsquote ˗ aber dass die Bildungspolitik im Argen liegt, ist weitgehend unbestritten.

So ließe sich bei fast jedem der Vorschläge ein großes ABER anbringen. Doch damit begänne einmal eine rationale politische Debatte nach der durchaus notwendigen angriffigen und im politischen Diskurs heute ungewohnt harten Polemik gegen den herrschenden Zentrismus, der ja in Wirklichkeit ein fast homogenes neoliberales Feld zudeckt. Politik bewegt sich damit wiederum ein Stück weg von der sterilen und in den italienischen Medien besonders ausge­prägten Konzentration auf lächerliche Personalia. Nicht dass die Personen in der politischen Elite völlig unwichtig wären. Wir brauchen ja nur auf die Figuren à la Faymann, Pröll, Fekter und Darabos hinsehen, um zu begreifen, dass die Qualität des politischen Personals doch eine gewisse Rolle spielt. Aber das zentrale Problem bilden sie nicht.

Die Broschüre zum Investitions-Plan dieser Gruppe aus der 5-Sterne-Bewegung ist gewiss kein großer Wurf und könnte sogar als ein verpasste Gelegenheit gekennzeichnet werden. Die Frage ist auch, welche Rolle dieser „Think Tank“ in einer so unterschiedlichen und völlig uneinheitlichen Bewegung wirklich spielt. Aber es sind Argumente, denen man mit anderen besseren Argumenten und Daten entgegen treten kann. Man hat den M5S immer vorgewor­fen, sie wären rein destruktiv und hätten keinerlei Programm. Hier haben wir eines. Was aber die Qualität betrifft: Die Papiere, welche die offiziellen und offiziösen Sprecher der Regierungen liefern, wirken im Stil natürlich professioneller. Wenig wunder, werden sie doch von Leuten erstellt, die hoch bezahlt seit vielen Jahren nichts Anderes als sowas tun. Aber wo ist der inhaltliche Qualitäts-Unterschied, wenn ein Herr Breuss, früher WIFO, heute Professor an der WU, zum Euro meint: Die Zinsen wären zwar für Österreich zu hoch und für Griechenland zu niedrig gewesen; aber im Durchschnitt wären sie ja doch richtig?

Eine Fundamental-Opposition darf sich allerdings ihr intellektuelles Maß nicht an der bescheidenen Qualität der Macht nehmen. In diesem Sinn ist diese Broschüre ein Ansporn, mehr Seriosität und höhere Qualität einzubringen.

AFR ˗ 4. Feber 2015

Think Tank Economia5Stelle (2015), Piano di Rilancio dell’economia Italiana in attesa del ritorno alla lira (500 milliardi). Alessandro Ballardin, Maurizio Giustinicchi, Guglielmo Soccorsi. Prefazione di Nino Galloni. Fano: Edizione Si ˗ collana ‚Keynesiana‘. 67 Seiten.

Thema
Archiv