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Giannis Varoufakis Programm

10. Februar 2015
Von A.F.Reiterer

Sie spielen das bekannte alte Spiel: Der good guy Juncker umarmt Alexis Tsipras; gleichzeitig lässt der bad guy Mario Draghi mitteilen, die EZB würde griechische Staatsanleihen von den Banken nicht mehr als Sicherheit akzeptieren. Es war ganz überflüssig und wird auch wirtschaftlich kaum einen Effekt haben. Aber es war ein politischer Affront und ein Eklat.


Es geht darüber hinaus um die Formen. Die Finanz-Oligarchie und das Bürgertum mag es nicht, wenn Minister in Lederjacke und mit Motorrad auftreten. Das sei „halbstark“, lässt sie ausrichten, aus dem Mund einer Tochter von Helmut Schmidt, gewesene Bankerin, angejahrte höhere Patriziertochter mit entsprechender Arroganz und auch ein bisschen preziös bei der Debatte im deutschen Fernsehen.

Solche Details sind vielleicht nicht unwichtig. Wir sollten solche kulturelle Einordnungen und Selbsteinordnungen nicht unterschätzen. Aber sind sie die Essenz?

Der griechische Finanzminister hat vor Jahren ein politisch-ökonomisches Papier geschrieben, hauptverantwortlich, aber zusammen mit dem jüngeren Galbraith und einem ehemaligen britischen Labour-Abgeordneten und Delors-Berater namens Stuart Holland. Der scheint mitten im mainstream der EU zu stehen. Gerade im Punkt über die Eurobonds finden sich  Formulierungen seiner früheren Papiere streckenweise wortwörtlich wieder. Und die wiederholen wieder nur, was auch Juncker und Tremonti, Verhofstadt und Amato sowie andere harte Vorkämpfer des Neoliberalismus schon wörtlich geschrieben haben (vgl. auch die Hinweise am Schluss). Das ist ein höchst ominöses Vorzeichen für die kommende Politik, jenseits aller ungewohnten äußeren Formen!

Das Papier wurde mehrmals upgedatet und ist in der Version 4 auf Varoufakis‘ website zu finden.

Die Autoren diagnostizieren dort vier Krisen: eine Banken-, eine (Staats-) Schulden-, eine Investitions– und eine soziale Krise. Der Begriff einer Euro-Krise kommt nicht vor ˗ es darf sie offenbar nicht geben.

Die globale Bankenkrise sei von der „Katastrophe des Amerikanischen Finanzsystems“ gezündet worden. Kein Wort über die Ursache, über die wachsende Ungleichheit und den politischen Versuch, sie mit Hypotheken- und Konsumkrediten zu übertünchen. Sie wird vielmehr als halb technisches, halb politisches Problem gesehen, weil das Institutionengefüge mit der seit Jahrzehnten kanonisierten Finanzpolitik nicht mitgehalten habe, weil es zwar eine Zentralbank gebe, aber die Fiskalpolitik nicht zentralisiert sei. Das lässt Übles erwarten. Denn es ist zwar nicht völlig falsch, aber peinlich unzulänglich.

Denn dieses System, die Währungsunion mit der Zentralbank, aber ohne Transfermechanis­men und -automatismen, war gewollt. An die Stelle der Transfers im alten Sinn der „nationa­len Solidarität“ soll schließlich die „innere Abwertung“ treten. Mit den Transfers soll es möglichst ein- für alle Male Schluss sein. Die unsichtbare Hand würde alles regeln, wenn bloß die Löhne bei Bedarf sinken. Es hat im Großen und Ganzen ja auch funktioniert, allerdings nicht so reibungslos, wie es sich die Politiker und ihre ökonomischen Ideologen vorstellten. Die Elite und ihre Intellektuellen imaginierten freilich stets ein fröhliches Ja der Bevölkerung, wenn man ihren Lebensstandard senken müsse. So ging es nicht gerade. Die Eliten haben den Widerstandswillen der Bevölkerung, ohnehin nicht hoch, noch immer unterschätzt. Unterschätzt haben sie vielleicht auch, dass die nationalen Regierungen noch immer irgendwie von der Bevölkerung abhängig sind, jedenfalls in ihrer Existenz, wenn schon nicht in der Politik, die sie machen.

Die Schuldenkrise sei durch das „unhaltbare Prinzip strikt getrennter [nämlich nach nationaler Verantwortung] öffentlicher Schulden“ verschärft worden. Das ist nicht völlig unrichtig. In einer Welt grenzenlos offener Finanzmärkte können sich die angenommen negativen Aus­wirkungen überbordender Schulden nicht auf eine Volkswirtschaft beschränken. Aber was folgt daraus? Mit der Einführung einer gemeinsamen Währung wurden die letzten Schotten zwischen den Märkten niedergerissen, die effektiv gegen eine solche Domino-Wirkung vorhanden waren. In der Kybernetik spricht man von Multi-Stabilität, wenn man eine Struktur hat, die Schocks zellenartig bewältigen kann. Die wurde hier zerstört. Und nun kommt ein linker Finanzpolitiker und sagt nicht etwa: Die Strategie der Einheitswährung war verfehlt. Er sagt vielmehr (siehe später): Wir müssen die Einheitlichkeit noch intensivieren. ˗ Im Übrigen hat der Fall Zypern, der hier kurz und unorganisch und unanalysiert erwähnt wird, gezeigt, dass auch in der Eurozone Kapitalverkehrskontrollen möglich sind, wenn man sie will.

Die Investitionskrise, das Aussetzen von Investitionen und die folgende Depression, führen die Autoren implizit gänzlich auf die deutschen Außenhandels-Überschüsse zurück. „Die Lasten der Anpassung fielen auf die Defizitzonen, die sie nicht tragen konnten.“ Aber wie kam denn das zustande?  Im ganzen Papier kommt der Begriff Produktivität nicht vor. Damit gehen die Autoren am zentralen Problem der Realwirtschaft völlig vorbei. Und wieder hat man den Eindruck: weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es war der Euro, der für Deutschland als eine Abwertung wirkte, wo eine Aufwertung notwendig gewesen wäre. Es ist ein dümmlicher Einwand einiger Ökonomen, dass die deutschen Überschüsse ja nach Außen, nicht sosehr in der Eurozone erzielt würden. Natürlich ˗ aber das ist gerade die Wirkung der Abwertung (i. S. der günstigen Entwicklung der deutschen terms of trade). Die Überschüsse müssen ja nicht aus dem Intrahandel kommen, wenn sie wirken sollen und andere Mitglieder Defizite haben, weil für sie der €-Kurs zu hoch ist. Aber das Alles darf man nicht sagen. Denn es geht um die Rettung, nicht der Menschen, sondern der Eurozone und um das Halten Griechenlands in ihr.

Schließlich diagnostizieren sie eine soziale Krise, „Jahre harter Austerität“. Nun, dass ist die Wirklichkeit der „inneren Abwertung“, des Senkens von Löhnen, Leistungen und Lebensstan­dard. Im Rahmen des Euro in dieser so unterschiedlichen Zone ist die „innere Abwertung“ unvermeidbar. Sie wirkt umso härter, weil die ziemlich lang dauernde €-Blase sie über Jahre hinweg aufgeschoben hat.

Und die Therapie?

Auf die völlig unzulängliche Diagnose muss selbstverständlich ein ebenso unzulängliches und defizientes Programm folgen. Aber dieses Programm ist mehr als unzulänglich. Es ist gefährlich.

Die Bankenkrise soll umgangen werden, indem gefährdete Banken direkt dem ESM unter­stellt und von diesem rekapitalisiert werden. Es stimmt, die nationalen Regierungen würden damit entlastet. Man könnte auch nicht mehr mit dem Finger auf die „Griechen-Hilfe“ zeigen. Die Empfänger der Gelder würden aber nur teils offen dastehen. Und es würde die völlige Übernahme des Banken-, Finanz- und Geldsystems der Krisenländer direkt durch die EU bedeuten. Die Zentralisierung wäre deutlich stärker noch als das, was im letzten Jahr ohnehin unter dem Titel der Bankenunion gespielt wurde. Jede regulierende Politik der nationalen Regierungen würde unmöglich. Die Abhängigkeit würde noch viel stärker werden und in Wirklichkeit vollkommen sein. Dieser Vorschlag ist ein nationaler Selbstmord mit Anlauf, ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Das kommt ja auch im persönlichen Bereich manchmal vor, wenn Menschen erfahren, dass sie krank sind.

Der nächste Vorschlag („Begrenztes Schulden-Konvertierungs-Programm“) ist ein Mix von buchhalterischen Tricks und wiederum einem Zentralisierungsschub. Die EZB möge eine Umschuldung eines Teils der Schuld (MCD, „Maastricht Compliant Debt“, „Maastricht-konforme Schuld“) in Anteilsscheine bei der EZB zu einem niedrigen Zinssatz vornehmen. Dieser Teil der Schuld verschwände dann aus dem „Maastricht-Kriterium“ und würde in der Rückzahlung gestreckt. Die EZB übernimmt das volle Risiko von den Banken. Im Grunde ist dies ohnehin schon geschehen, die Staaten haben den Ramsch von den Banken übernommen. Nur würde das Verfahren systematisiert und verallgemeinert im Rahmen der „Vertieften Zusammenarbeit“ und bliebe nicht mehr auf Griechenland beschränkt..

Man ist fast erschüttert. Argumentiert wird vom Fetisch der 60 % her. Als ob es auf die ankäme! Ist dies aber ernst gemeint, dann heißt dies einfach eine Schuldübernahme durch die EZB bzw. ein Schnitt nach der Übernahme, nur wird es nicht so genannt. Die Banken sind aus dem Schneider, und die Bevölkerung zahlt.

Das ist überhaupt das Prinzip der Euro-Bonds: Die Bevölkerung, diesmal der besser gestellten Länder, also Deutschlands und des ehemaligen DM-Blocks, darf für die Schäden zahlen, welche ihre Eliten angerichtet haben und weiter anrichten.

Der nächste Vorschlag ist ein Investitions-Programm seitens der EIB oder seitens des EIF. Wieder wird mit einem Trick argumentiert: Die Gelder dieser Institutionen würden nicht in die Schuldenquote eingerechnet. Und daneben findet man einen Satz, der es in sich hat: „The world is awash in savings seeking sound investment outlets.“ Und das bleibt einfach stehe und wird nicht weiter ausgeführt!

Als letztes Programm dieses „Bescheidenen Vorschlags“ steht schließlich ein Notprogramm sozialer Solidarität dort. Dass dies eine Notwendigkeit wäre, steht außer bei hardcore-Neoliberalen außer Frage. Die Frage ist nur wieder: Wie wird es finanziert, und welche dauernden Auswirkungen hat es? Wie wird die Produktivität gesteigert, oder wenn dies nicht kurzfristig möglich ist: wie bleibt man wettbewerbsfähig innen und außen?

Dieses Programm ist gar zu „bescheiden“ („modest“). Es geht an den Struktur-Problem völlig vorbei. Wo es in ihre Nähe kommt, sind die vorgeschlagenen Lösungen auf Dauer ebenso schlimm wie die Probleme.

Politisch lässt sich aus diesem Programm aber klar sehen: Varoufakis und die SYRIZA muss scheitern. Varoufakis persönlich dürfte vermutlich nicht lang Finanzminister sein. Die letzten Aktionen seitens Draghis und Schäubles / Merkels zeigen sonnenklar: Sie wollen ihn als Person so schnell wie möglich loswerden. Ob es seitens der Bürokratie so klug war, diesen Schnösel Dijsselbloem hinzuschicken, ist eine andere Sache. Das ist einer der „jungen Löwen“, auf gut Wienerisch, ein G’sprizter, der die Macht hinter sich spürt und daher in unüberbietbarer Arroganz auftritt. Könnte nur sein, dass er selbst auch bald dran ist. Es heißt, Junker habe es gar nicht goutiert, dass Dijsselbloem Junckers Alkohol-Neigung öffentlich thematisiert hat. Man habe unter diesem Gesichtspunkt sein missglücktes Auftreten in Athen durchaus mit Grinsen zur Kenntnis genommen.

Knicken aber Varoufakis und die Tsipras-Gruppe sofort ein, und es gibt Hinweise darauf, dann sind sie politisch auch bald tot. Das wird sich wohl kaum vermeiden lassen. Wir haben über die SYRIZA gelegentlich als Links-Populisten gesprochen, weil sie Ziele ankündigen, die mit ihrer Politik, mit dem Verbleiben im Euro einfach nicht erreichbar sind. Die Frage ist nur, wie es nach ihnen weitergeht.

7. Feber 2015

A Modest Proposal for Resolving the Eurozone Crisis, Version 4.0. ByYanis Varoufakis, 1 Stuart Holland, 2 and James K. Galbraith. July 2013.

Jean-Claude Juncker / Giulio Tremonti, E-bonds would end the crisis. Financial Times, 5. Dez. 2010.

Giuliano Amaot / Guy Verhofstadt, A plan to save the Euro and curb speculators. Financial Times 3. July 2011.

 

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