Die Erwartungen in Syriza sind enorm. Die Unterklassen ganz Europas erhoffen sich die Rettung vor der neoliberalen Austeritätspolitik. Und das ist nur recht und billig! Gleichzeitig hat Tsipras jedoch das Ende der sozialen Verschlechterungen immer mit dem Verbleib in der EU und vor allem in der Euro-Zone verknüpft. Das scheint auch dem Willen der griechischen Mehrheit zu entsprechen. Überhaupt, die Mehrheit der Europäer will vermutlich das vielbeschworene „soziale Europa“, das heißt eine soziale Wende ohne tieferen Bruch. Tsipras kann sich mit seiner Linie vielleicht auf die Demokratie berufen, doch die EU funktioniert nun einmal nicht demokratisch. Es herrschen die kapitalistischen Eliten der starken Staaten und dabei vor allem jene Deutschlands.
Der gegenwärtige Versuch Syrizas ist die Probe auf das Exempel, ob das „soziale Europa“ im Rahmen der EU und des Euro möglich ist oder nicht.
Tsipras und Varoufakis versuchen mit intensiver Reisediplomatie die anderen Regierungen des Südens und der Zentrumsperipherie auf ihre Seite zu ziehen. Die Antwort des österreichischen Kanzlers Faymann war bezeichnet: Wir sind auf deiner Seite, aber ihr müsst den Rahmen des Euro-Regimes akzeptieren! Mit anderen Worten: nichts als heiße Luft.
Deutschland und die EU haben klar gemacht, dass sie ein Ende ihres Regimes nicht akzeptieren werden. Sie wollen gegenüber dem gesamten Süden zeigen, wer der Herr im Haus ist. Falls Griechenland darauf bestehen sollte die Bevormundung zu beenden, wird es wohl aus der Eurozone hinausgeworfen werden. Ansonsten würden unweigerlich auch die anderen, viel gewichtigeren Krisenstaaten anklopfen. Um das deutlich zu machen, akzeptiert die EZB griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten – solange die Unterwerfung nicht amtlich ist. Das als erste Warnung.
Neben der Peitsche wird allerdings auch Zuckerbrot ausgelegt: Wenn Athen grundsätzlich die Fortsetzung des Euro-Regimes akzeptieren sollte, kann es gewisse Erleichterungen erwarten, sei es die weitere Streckung der Zinszahlungen, eine etwas niedrigere Vorgabe für den Budget-Primärüberschuss und eine politisch weniger offensichtliche Demütigung.
Der springende Punkt: würde sich durch diese möglichen Zugeständnisse die soziale Lage der Mehrheit bessern? Wohl kaum. Denn die strategische Idee des neoliberalen Euro-Regimes zielt eben gerade darauf ab, die Produktionskosten – und das sind vor allem die Lohnkosten und indirekt der Sozialstaat – so lange zu senken, bis die Wettbewerbsfähigkeit hergestellt ist. (Dass das nicht funktioniert, wird noch immer nicht erkannt bzw. ist der Preis für die geordnete Auflösung der Euro-Zone zu hoch.) Selbst für das eigene Land lehnt Berlin keynesianische Nachfragestimulierung ab, obwohl sie von Kapital überschwemmt werden und ihre Finanzierungskosten gegen Null tendieren. Nein, die Kapitalistenklasse will alles für sich. Da kommt die Stärkung der Nachfrage an der Peripherie schon gar nicht in Frage. Die Austerität war die in Maastricht einbetonierte conditio sine qua non für den Übergang von der D-Mark zum Euro und die bleibt unantastbar. Aus politischen Gründen mag man sich gezwungen sehen ein bisschen nachzujustieren, die Daumenschraube etwas zu lockern. Am Prinzip des fiscal waterboarding, wie es der neue griechische Finanzminister so treffend nannte, darf sich jedoch nichts ändern. Entweder setzt der Euro die Geldpolitik der alten Bundesbank fort oder er wird von den deutschen Eliten in Frage gestellt werden. Zudem, dieses Dogma ist in der BRD leider sogar mehrheitsfähig.
Ganz abgesehen davon könnte mehr Konsumnachfrage durch die in der EU völlig offenen Grenzen, die Mittellosigkeit, ja das regelrechte Verbot einer politischen Wirtschaftssteuerung ihre induktive Wirkung nicht entfalten. Sie würde ins Ausland verpuffen. Dazu bräuchte es eine eigene Währung als notwendige Vorbedingung und vor allem den massiven staatlichen Eingriff in die Wirtschaft im Sinne der Mehrheit.
Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, aber dennoch schwer vorstellbar, dass Syriza die Bedingungen der Euro-Finanzoligarchie akzeptieren wird. Damit würden sie ihr Todesurteil unterschreiben und früher oder später, je nach Geschick der politischen Verpackung, ihre Unterstützung in der Bevölkerung verlieren. Auf der anderen Seite steht bei einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone nicht nur für Athen, sondern auch für Berlin und Brüssel einiges auf dem Spiel, was Druck in Richtung eines Kompromisses erzeugt. Allerdings würde das das Problem nicht lösen, sondern den Konflikt nur weiter hinauszögern.
Die Frage ist, wie lange Syriza das Pokerspiel fortsetzen kann. Kommt am 28.2., an dem das Troika-Programm ausläuft, der Showdown? Statisch gesehen würde Athen wohl die Solvenz einige Zeit lang auch aufrecht erhalten können. Doch bereits jetzt erweist sich die Kapitalflucht als enormes Problem, das vor allem die Banken an den Rande des Bankrotts treibt. Die sich daraus entfaltende Dynamik ist ohne Kompromiss mit dem Euro-Regime unaufhaltsam: Ohne Einigung würde wohl die EZB die unabdingbare Liquiditätshilfen einstellen – was nichts anderes als den Rauswurf aus dem Euro bedeutete. Der Staat müsste eingreifen, Kapitalverkehrskontrollen verhängen, die Banken unter Kontrolle bringen und rekapitalisieren – und eine neue Währung ausgeben.
Um einen Kollaps zu vermeiden, wäre ein Hilfskredit aus Moskau und/oder Peking von großer Hilfe, denn andernfalls klopfte die Troika unter Führung des IWF an – wieder und wieder mit der gleichen Mannschaft von Goldman-Sachs. Die politischen Konsequenzen einer Wendung nach Osten würden allerdings das globale System erschüttern, Griechenland aus dem amerikanischen Orbit kapitulieren – obwohl Obama Merkel zur Mäßigung aufgerufen hat.
Syriza ist auf ein solches Szenario offensichtlich nicht vorbereitet, denn sie hat der Bevölkerung etwas ganz anderes versprochen, nämlich den kostenfreien Übergang zum „sozialen Europa“. Doch will man das Hungerdiktat beenden, ist der Bruch mit der Oligarchie notwendig. Er eröffnet sogar ungeahnte historische Perspektiven in Richtung der demokratischen Herrschaft der Mehrheit. Doch dafür müssen die subalternen Massen, und nicht nur die griechischen, aktiv in die Geschichte eingreifen.