Varoufakis hat seinen „Bescheidenen Vorschlag …“ zusammen mit dem britischen Ex-Parlamentarier Stuart Holland sowie dem jüngeren Galbraith verfasst. Die Handschrift des früheren Unterhaus-Abgeordneten Holland ist insbesondere im zweiten Punkt dieses Vorschlags zu erkennen: Seine Vorschläge hatte er schon 2011 in kürzester Form nieder gelegt. Und die wiederum sind teilweise wörtlich aus Zeitungsartikel höchster EU-Funktionäre und Minister übernommen. Sie finden sich ihrerseits bei den drei Autoren im Abschnitt über die Behebung der Finanz- und der „Investitionskrise“ teilweise fast wörtlich wieder. Und das gereicht keineswegs zum Vorteil des Varoufakis-Papiers!
Beim ehemaligen Labour-Abgeordneten und Delors-Berater stechen zwei Züge besonders heraus: Er betrachtet die Eurokrise offenbar als reine Finanzmarktkrise. Sie habe sich in eine Art Unterkonsumtions-Krise verwandelt. Allerdings nimmt er dieses schmutzige linke Wort nicht in den Mund. Stellen wir diesen Aspekt vorerst kurz zurück und sehen wir uns den zweiten Punkt an. Er ist nämlich im Stil für manche angebliche Euro-Reformer überaus kennzeichnend: Holland versucht, die zögernden Staaten in einen europäischen Staat hineinzutricksen, der das gegenwärtig bestehende supranationale Monster ein gewaltiges Stück weiter zentralisieren würde. Und der Zugang ist eines Winkeladvokaten würdig. Er versichert allen, die es hören wollen, und auch den anderen: Meine Vorschläge beinhalten keineswegs bail outs von Banken und Staaten, Gesamthaftung für die Eurozone für alle Staaten und Transfers zwischen den Staaten; sie sind völlig vereinbar mit den gegenwärtigen Verträgen. Und dann bringt er seine Projekte vor, die ökonomisch genau auf all dies hinaus laufen, was er vorher juristisch ausgeschlossen hat.
Im Zentrum stehen im Papier von 2011 die €-Bonds. Bereits am Beginn der Argumentation finden wir die Zweideutigkeit, die sich durch den Text zieht. Der New Deal Roosevelts habe auch nicht die Schulden der Einzelstaaten übernommen, und er habe die Staaten nicht für die Bundesschatzscheine haftbar gemacht. Damit setzt er also schon die supranationale EU dem Nationalstaat USA gleich. Gleichzeitig ist dies aber auch erst sein Ziel, das will er erreichen; so soll die künftige EU aussehen. In zweideutiger Weise setzt er also die EU bereits als quasi-nationalen Überstaat voraus und will sie dazu machen. Das ist ein mögliches politisches Ziel, aber jedenfalls analytisch derzeit eine Fehlaussage. Doch es dient dazu, im nächsten Satz implizit „nationale Solidarität“ einzufordern.
Es ist ein schmutziges Manöver. Der Euro hat zur Katastrophe des Südens geführt, weil er der Wirtschafts-Oligarchie des Nordens einen unaufholbaren Wettbewerbs-Vorteil verschafft hat. Nun könnte man sagen: Haben „die Deutschen“ schon die Vorteile gehabt, so sollen sie auch die Kosten tragen. Aber es waren nicht „die Deutschen“, es war das deutsche (und österreichische, und niederländische, und …) Exportkapital, das den Vorteil hatte. Jetzt soll die deutsche (und…) Bevölkerung, die sowieso schon durch niedrigere Löhne dafür aufkam, als sie selbst im System sonst möglich gewesen wären, noch einmal zahlen, um die Kosten der Katastrophe wieder zu reparieren ˗ und dies in einem Verfahren, das sowieso sein angebliches Ziel nicht erreichen kann, die Behebung der Krise. Den Gewinn haben die Eliten und die Exporteure. Die Kosten tragen die Arbeitenden. Dagegen wehrt sich verständlicher Weise ein Großteil der Bevölkerung. Die Sozialdemokratie, welche dieses Programm vertritt, kommt denn auch in der BRD nicht mehr hoch, nicht einmal gegen die unsägliche Merkel.
Doch gehen wir weiter!
€-Bonds sind entweder ein billiges Täuschungsmanöver, das jeder Spekulant durchschaut. Das trifft dann zu, wenn die Schuldner in kritischer Lage tatsächlich allein dafür haften. Oder aber es gilt die Solidarhaftung. Dann tritt genau das ein, was Holland vorher ausgeschlossen hat: Es haften faktisch die Staaten mit hoher Bonität. Die Transfers gehen nicht mehr direkt an Griechenland und Spanien, sondern zuerst an die EZB oder die EIB, wer sie eben ausgibt. Sie machen nur einen zusätzlichen Umweg, bis sie wieder bei den Banken ankommen. Aber wer haftet? Es ist die Bevölkerung mit ihren Steuern und ihren entgangenen Sozialleistungen!
Das nächste Argument ist: Die EU, eine juristische Person verschieden von den Mitgliedsstaaten, hat selbst noch keine oder fast keine Schulden. Warum sollte man nicht ihren Tripple-A-Status nutzen, um auf den Welt-Finanzmärkten zinsgünstig Schulden aufzunehmen? Es ist ohnehin ein Übermaß an Liquidität und Geld-Vermögen vorhanden. Dazu ist Wort für Wort das zu wiederholen, was im vorigen Absatz gesagt wurde.
Eine Analyse wird überhaupt nicht durchgeführt. Wir müssen sie aus den Vorschlägen zur Behebung der Krise erschließen bzw. aus dem, was Holland bisher geschrieben hat..Diese Analyse beschränkt sich auf ein „keynesianisches“ Bauchgefühl. Es wird zuwenig investiert und konsumiert, daher ist die Gesamtnachfrage zu niedrig ˗ voilà! Aber warum dies so ist, wird nicht einmal im Ansatz thematisiert: die wachsende Ungleichheit, die relativ zurück fallende Produktivität des Südens, der fixierte Wechselkurs, der keine Anpassung ermöglicht, darüber wird kein Wort verloren. Es ist die Perspektive des Finanzmarkt-Spekulanten; das mag hart klingen, kann aber nicht anders genannt werden.
Dazu passt durchaus die Hoffnung auf den Euro als weltweite Reserve-Währung. Man kann aus dem Interesse an der Realwirtschaft nur sagen: Es ist ein Glück, dass dies bisher noch nicht weit gediehen ist. Denn das unterwirft das Geld völlig der Spekulation und macht eine monetäre Steuerung selbst dann unmöglich, wenn die Politik es anders möchte. Aber wer will dies in der EU? Es war ja eines der Ziele des Euro, Wirtschaftspolitik unmöglich zu machen. Insofern passt der Hinweis auf die Reservewährung und auf die parasitären Vorteile, welche die USA zeitweise doch aus der Rolle des Dollar zogen, ins Bild.
Und so sind auch die nächsten zwei Punkte widersprüchlich und unaufrichtig. Was will Holland eigentlich? Will er, mit Juncker und Tremonti, die €-Bonds weltweit handeln? Oder will er die Bonds in der EZB halten, „damit Regierungen wieder regieren und nicht die Rating-Agenturen“?
Das ist New Labour at its „best“, und die kontinentalen Sozialdemokraten haben das Programm übernommen. Der Londoner Finanzmarkt-Jongleur streift den Mantel des dem Süden wohlwollenden Reformers über. Es ist kein Wunder, dass man mittlerweile zusammenzuckt, wenn man das Wort „Reform“ nur hört. Zu Holland persönlich ist noch zu sagen: Er trat 1989 von seinem Parlamentssitz zurück, weil er sich Hoffnung auf einen EG-Posten machte. Damals erhielt er eine bezahlte Stelle aus der britischen Tradition, die mit keinerlei Aufgaben verbunden ist. Er behielt diese Stelle rund sechs Jahre bei, länger als jeder Nutznießer, seit der Posten 1850 geschaffen worden war…
Aber, vergessen wir nicht, dass ist nicht einfach ein ehemaliger Labour-Politiker, der nochmals politischen Ehrgeiz in der EU entwickelt. Das findet man im kurzfristigen Aktionsprogramm wieder, das mit Varoufakis offenbar auch die SYRIZA-Regierung vertritt. Hier wird es tragisch. Ich zweifle überhaupt nicht am guten Willen der neuen griechischen Regierung. Mit diesem Programm aber kann sie nur Schiffbruch erleiden.
Hier stellt sich allerdings auch die Frage: Was macht die Linke innerhalb der SYRIZA? Es hat geheißen, dass sich etwa ein Drittel der Partei zum linken Flügel zählt. Versteckt er sich? Was macht er, wenn sich in absehbarer Zeit die Frage stellt, welche Politik zu unterstützen ist?
15. Feber 2015
Holland, Stuart (2011), Resolving the Eurozone Crisis ˗ without Debt Buy-outs, National Guarantees, Mutual Insurance, or Fiscal Transfers. Levy Economics Institute of Bard College Policy Note 2011 / 5.
Holland, Stuart (1993), The European Imperative. Economic and Social Cohesion in the 1990s. Foreword Jacques Delors. Nottingham: Spokesman Press.
European Economic and Social Committee (2012) Growth and sovereign debt in the EU: two innovative proposals Adopted by 45 votes in favour; 3 against, with 12 abstentions. Rapporteur: Gisolo Cedrone; Expert: Stuart Holland. ECO/307 (23. February 2012).