Tsipras will, hilflos, die Rollen umdrehen und „Europa“ darüber belehren, als Unterlegener, was denn die wahren Werte Europas seien, indem er auf Schuman und dergleichen zurückgreift. Dieser Werte müsse man wieder gewahr werden, und einer der aufrichtigsten Boten dieser Nachricht wäre Syriza.
Meint er, wenn er sich als Europagetreuester geriert, daß er dann von diesen Mächten mehr respektiert und verläßlicher geschützt wird? Die proeuropäistische Ideologie der Partei läuft seit Wochen, seit Monaten, sie hat nichts gebracht.
Sie haben allerdings auch in ihre Argumentation präventiv eingebaut die Gefahr und Instabilisierung, die „Europa“ verschulde, wenn es am Ende Griechenland – gegen dessen treuen Willen zu bleiben und die Eurozone auf den rechten demokratischen Weg zu bringen – aus dem Euro herausdrängen sollte. Dann liege ja die Verantwortung bei Europa, und Griechenland wasche seine Hände in Unschuld.
Ob es ein volkswirtschaftliches Sicherheitskonzept der Syriza für den Fall eines Grexit gibt? Die aufgeklärtesten Leute der Gegenseite attestieren Syriza das sogenannte Samson-Syndrom. Sie würden – – simpel zusammengefaßt – bis zum letzten pokern, wenn es nichts nützt, lassen sie alles fallen und riskieren den Gesamtruin. Das ist leider auch die These des exzellenten Aufklärers und Aufdeckers Paul Mason, der in verwirrendem Zusatz zu seinen sonst wertvollen Beobachtungen der griechischen Regierung andichtet (1), sie hätte nur ein Katastrophen-Unkonzept als Plan B in der Tasche, und das ist eben die Samson-These. Was bedeutet sie? Samson stemmte sich gegen einen Tempel, riß ihn nieder und riß damit Tausende seiner Feinde in den Tod.
Die Unverschämtheit besteht darin, daß eine Ideologie, die, wie nicht allzuvielen bekannt, auf einem Konzept der Zionisten beruht, hier auf eine progressive Reformregierung angewendet wird! Was besagt diese Ideologie im zionistischen Kontext? Wenn wir (Israel) kaputtgeschlagen werden sollten, dann reißen wir den gesamten Nahen Osten mit in den Abgrund. Wir kämpfen auch um diesen Preis! Wir kämpfen auch um den Preis unserer Selbstvernichtung und der Vernichtung aller, die in unserer Nähe sind.
Was im antifaschistischen Warschauer Aufstand durchaus Gültigkeit hatte, wird zionistisch, also faschistisch, für einen regionalen Vernichtungsplan eingekauft, umfunktionalisiert.
Sharon zum Beispiel hat diese Wahnidee vertreten. Nichts soll leben, wenn wir nicht mehr leben können. Dieser schlecht eschatologische Heroismus wird auf Syriza projiziert! Eine Infamie sondergleichen. Dadurch diskreditiert sich Mason.
Man sollte aber in der Politik nicht dichten! Angesichts der Eingebundenheit von Syriza in die Europäische Linkspartei wirkt die Samson-These etwas gewagt. Gegen was Konkretes setzt man sie also ein?
Vielleicht gegen eine Syriza-interne Machtverschiebung, bei der schärfere Anti-EU-Positionen und auch Anti-NATO-Positionen zur Geltung kämen.
Das wäre aber keine Selbstvernichtung, sondern der Beginn der Vernichtung des Gegners, der „europäischen Konstruktion“. Versucht man, ein jedes zartes Pflänzchen schon zu Beginn auszurotten? Ist es ein generalpräventiver Desinformationskrieg?
Aber so sieht die Situation derzeit aus: Tsipras steht zusammen mit Varoufakis ein wenig mit dem Rücken zur Wand, die Partei kaschiert das mit einer triumphalistischen und immer patriotischer werdenden Rhetorik. Gleichzeitig hat Tsipras zusammen mit seinen Ministern schon eine Reihe Rückzieher gemacht, sodaß er sich auch von den Zeitungen, die Syriza jubelnd unterstützt haben (Efimerida ton Sintakton, EfSyn), immer mehr Kritik einheimst.
Demgegenüber müssen von der europäischen Linken andererseits die konkreten Reformen unterstützt werden, die diese Regierung mit großem Einsatz ausgearbeitet hat (2) und die derzeit durch den Fanatismus und die Intransingenz der europäischen Zentralinstanzen und durch einzelne brutale Demagogen aus Deutschland in ihrer Existenz bedroht sind. Was anerkennenswert ist, ist zu unterstützen. Dieser Widerspruch ist, bei aller gebotener Syriza-Kritik, auszuhalten.
Ein unbekannter, womöglich in Zukunft sehr produktiver, Faktor sind die Massenkundgebungen – die derzeit aber wegen der Kälte stocken. Bei der ersten waren noch wenige der bekannten politischen Gruppen anwesend, aber Tausende aus allen Teilen der Bevölkerung (man sah viele neue Leute, die nie Syriza-Sympathisanten waren und die nie Syriza gewählt hatten), bei der zweiten waren schon mehr Gruppen und Zehntausende Teilnehmer, aus Athen und Umgebung.
Warum die politischen Organisationen und zum Teil Parteien (wie die SEK etwa) so zögernd eintröpfeln? Womöglich leiden sie noch an dem Trauma, das ihnen das Verbot der Teilnahme politischer Parteien an der Syntagma-Bewegung verursacht hat. Davor müssen sie sich jetzt nicht mehr fürchten. Der Unsinn ist vergessen.
An Gruppen/Organisationen waren zu sehen: EPAM, Maoisten (KKE-ML), SEK, Arbeiterdelegationen, Kokkino, Antarsya, sogar Anarchisten. Und was das Zentrale, das Bemerkenswerteste an diesen neuen Massenkundgebungen ist (die, zumindest in Athen, wie große Stehpartys wirken): Alle dort auftretenden Organisationen gehen mit ihren Forderungen über das Programm von Syriza hinaus! Einer der wichtigsten Punkte dabei ist die vollständige Streichung aller Schulden.
„1oo%“ sieht man auf vielen Täfelchen. Die Gegnerschaft zur EU und die Favorisierung eines Euro-Austritts wird von den meisten mitgetragen, auch das richtet sich gegen Syriza.
Eine „Bewegung der Plätze“, von einer allzu kleinen Gruppe gesteuert, stellte sich am Sonntag vor, mit der wörtlichen Losung: „Bruch mit der EU, Bruch mit dem Euro“, über den Lautsprecher mitgeteilt. Dabei wurden von einer Frau mit heißer Stimme Reden von Velouchiotis vorgelesen. Es ist allerdings zu befürchten, daß diese Gruppe als koordinierende Kraft zu schwach ist. Zuspruch hatte sie enormen, es wurde ihnen viel gespendet für die Infrastruktur.
Am vergangenen Sonntag gab´s ein Offenes Mikrofon, das sich beinahe zu einem „zweiten Syntagma“ entwickelte, mit Beiträgen, die durchgehend von einer großen Reife und Einsicht waren. Auch hier war eine Kombination von erfahrenen AktivistInnen und Neuhinzuströmenden zu beobachten. Tendenz war auch hier die Ausweitung der Forderungen und konkrete Vorschläge zu weiteren Mobilisierungen, so wurden Volksabstimmungen als wichtige Möglichkeit des Eingriffs in die Politik der Konzessionen und des Zurückweichens vorgeschlagen.
Die „Bewegung“ hat – nur über den Lautsprecher – für den darauffolgenden Montag ein weiteres Treffen angesagt, und es kamen Tausende auf den Platz vor dem Parlament, in den Zeitungen war das Folgetreffen (noch) nicht angekündigt worden. Die Zahl der Teilnehmer ist also ein Zeichen für Mobilisierbarkeit trotz schwacher Mittel. Wenn die Masse trotz schwacher Mittel mobilisierbar ist, muß ein Massenbedürfnis und muß eine Massenunzufriedenheit dahinter stehen.
Dabei ist auffallend, daß die radikalen, den programmatischen Rahmen von Syriza sprengenden Forderungen der anwesenden Gruppierungen in der linken Presse während der Mobilisierungen kaum Widerhall fanden.
Von Antarsya weht ein scharfer Wind gegen Syriza, beinahe so scharf wie von der KKE, ebenso von der KKE-ML. Die SEK kann an der Syriza kein gutes Haar lassen, verdammt sie vollends.
Das heißt: Die radikale Linke hat ihre Chance in einer mit ihrer Hilfe radikalisierten oder selbstradikalisierten Massenbewegung, sollte es aber vermeiden, sich mit ihren Anti-EU- und Anti-Euro- und nicht zu vergessen Anti-NATO-Positionen (die am stärksten und insistentesten von den zwei maoistischen Organisationen ML-KKE und KKE-ML vertreten werden; von der KKE sehen wir jetzt ab, sie ist an der Mobilisierung nicht beteiligt) allzu abstrakt und abgehoben in Szene zu setzen, sondern sie sollte soviel Beziehungen wie möglich zur radikal-reformerischen Syriza-Linken eingehen.
Die NATO-Gegnerschaft ist eigentlich seit jeher eine Konstante der linken Bewegung(en) in Griechenland und fand beim Polytechnío-Aufstand ihren Höhepunkt, sie ist heute leider etwas ins Hintertreffen geraten. Man darf nicht unterschätzen, daß die gesamte Antarsya so wie die Maoisten und andere Gruppierungen für den Austritt aus der NATO sind; daß das aber auch im Programm von Syriza steht!
Auch da hat Syriza einen Rückzieher gemacht. Vor den Wahlen war dies wieder auf die Tagesordnung gekommen. Tsipras meinte in einem „sozialen Medium“ sinngemäß, daß die NATO-Frage jetzt nicht prioritär wäre. Kein Wunder: Sein Verbündeter ist ein NATO-Fan.
Demgegenüber wäre es Aufgabe der europäischen Linken, einer der allerwichtigsten Aufgaben, durch Einvernahme mit der Syriza-Linken, den Maoisten und der Antarsya deren Anti-NATO-Positionen zu stärken, zu sammeln, mit den europäischen Anti-NATO-Kräften zu koordinieren, damit die NATO-Frage wieder auf die europäische Ebene zu bringen und zu einer prioritären Frage der Bewegungen und der Linken zu machen. Das gilt auch für Länder, die bei PfP+ sind.
Denn was uns an Leib und Leben bedroht, das ist nicht Syriza, sondern die NATO.
Und die Troika.
(1) Paul Mason: Greek side changing European journalism (video)
Bitte unbedingt anschauen!
(2) AuO: Zur realitätsnahen Reformpolitik von Syriza: Josephinismus von unten, Trend Online, 2/2015
http://www.trend.infopartisan.net/trd0215/t460215.html