„Der Schutz von Sparern mit Bankguthaben bis 100.000 € wird in Österreich auf neue Beine gestellt. … Künftig werden die Banken entsprechend den Vorgaben aus der EU in eigene Notfallfonds einzahlen müssen. … Im Gegenzug wird der Staat … seine Rolle in der Einlagensicherung aufgeben. … Den Notfallsfonds [soll] die Wirtschaftskammer verwalten“ (Standard, 28./29. März 2015).
Endlich eine gute Nachricht? Endlich sollen die Banken für ihre Geschäfte selbst gradstehen? „Richtig sicher ist künftig also gar nichts mehr. Das … ist aber zur Gesundung des Finanzsystems absolut notwendig“, liest man im Kommentar S. 40 weiter. Und bei neoliberaler Propaganda darf auch eines nie fehlen: „Jetzt lässt der Staat nach und stärkt damit Eigenverantwortung.“
Nur noch ein Detail, um dieser „Reform“ ˗ man zuckt bereits zusammen ˗ die richtige Färbung zu geben: Besonders geschützt, weit über die Spareinlagen hinaus, um das Fünffache, werden Erbschaften, Mitgift und Immo-Geschäfte ˗ also besonders parasitäre Vermögen.
Kommen wir zum Grundsätzlichen.
Kapitalistische Marktwirtschaft in industriellen und postindustriellen Epochen zeichnen sich gegenüber vorhergehenden Ausbeutungsgesellschaften durch ein ganz wesentliches Merkmal aus: Sie sind so hoch vernetzt, so stark integriert, dass es unmöglich und sinnlos ist, ihre Produktion und Verwertung von der Einzeleinheit, der Unternehmung, her zu begreifen und zu analysieren. Das ist soweit nicht unbedingt was Neues. Auf Grund dieser Einsicht schlägt die marxistische Linke seit je eine formelle Vergesellschaftung von Produktion und Produktionsmittel vor. Denn die Vernetzung ist zwar unabdingbar für die hohe Produktivität. Deren Ergebnisse teilen sich aber die Eigentümer der Produktionsmittel nach ihren Anteilen auf.
Das ist aber nur der eine Aspekt.
Der zweite, ebenso fundamentale Aspekt wurde gerade in der Finanzkrise grell klar: Die Regulierung und Kontrolle von Produktion und Verteilung muss zumindest in den Grundzügen in irgendeiner Form von der Gesellschaft gelenkt werden. Sonst fährt dieses System gegen die Wand. In „irgend einer Weise“ kann gegenwärtig nur heißen: Die politische Organisation der Gesellschaften, der Staat, muss als Planer und Kontrolleur auftreten. Der aber muss selbst wieder kontrolliert werden. Letzteres nennt man Demokratie.
In den ersten drei Jahrzehnten der Zweiten Nachkriegszeit begriff dies die Bevölkerung immer besser. Und auch ein Teil der Eliten hatte begriffen: Wir müssen in bestimmten Maß teilen und etwas von unseren Ressourcen abgeben. Um das System zu erhalten, müssen wir, wenn schon nicht alles, so doch viel verändern. „Tutto cambiare perché tutto rimanga com‘ è“, heißt die klassische Passage im „Leoparden“ des Tomasi de Lampedusa. Es war die Strategie des Transformismus; in der Wirtschaftspolitik entsprach ihr der Keynesianismus.
Aber die Bevölkerung wurde anspruchsvoller. Die Strategie wurde teurer für die Eliten. In den USA und bald darauf auch in Großbritannien wurde eine Gegen-Offensive der Eliten und ihres politischen Personals gestartet. In den USA fuhr man auf zwei Schienen. Die eine war die große Masseneinwanderung, die seit dem Ende der 1960er wieder lief. Die Menschen kamen vorwiegend aus Lateinamerika und anderen schlecht entwickelten Ländern. Sie waren bescheiden und bereit, für wenig Geld zu arbeiten. Das war noch immer mehr, als sie in ihrer Heimat bekommen konnten. Und damit bauten sie Lohndruck auf die seit längerem anwesenden Arbeitenden in der neuen Heimat auf.
Die zweite Strategie war die politische Nutzung dieses Drucks auf den Lebensstandard. Die absteigenden und akut vom Abstieg bedrohten Weißen sammelten immer mehr Ressentiment an. Sie wendeten es, teils zu Recht, teils zu Unrecht, gegen „big government“.
In Europa war diese Strategie nicht so gut anwendbar. Die Bevölkerung war, nicht nur durch die Sozialdemokratie, eintrainiert: Bei Problemen und Ansprüchen wendet man sich an den Staat. Politiker, welche sich dagegen wandten, mussten mit der Abwahl rechnen.
Doch nun kamen den Eliten einige Ereignisse zu Hilfe. Im Osten Europas hatte der „Realsozialismus“, die Nomenklatura, in einem Modernisierungsschub Gesellschaft, Wirtschaft und Staat nach dem Krieg neu aufgebaut. Nach anfangs großen technokratischen Erfolgen ˗ die Wachstumsraten übertrafen deutlich jene, auch schon hohen, im Westen ˗ fuhr sich das Modell fest. Die Herrschenden fürchteten das Volk und waren nicht bereit, ihr Modell zu ändern, das ihnen die Kontrolle sicherte. An diesem Mangel an politischer Demokratie, unterlegt von abnehmendem Wirtschaftswachstum, brach schließlich das Sowjetsystem zusammen. Nun brauchte sich der Westen und seine Oligarchen nicht mehr zu fürchten.
Gleichzeitig gab es an mehreren Fronten eine ideologische Offensive der Eliten. Der Neoliberalismus der USA errang, nach mehreren Jahrzehnten Vorarbeit, bei den europäischen Ökonomie die unbestrittene Hegemonie, und über sie auch in der Politik. Im kulturellen Bereich wurden basisdemokratische Impulse schnell in Eliten-Kultur verwandelt. In den 1960ern war der Aktionismus eine wirklich rebellische und antibürgerliche Bewegung. Heute ödet die hundertste Wiederholung durch Pipilotti Rist und den alten Nitsch nur mehr an, auch wenn Kultur-Journalisten und -Manager vor Ehrfurcht erstarren. Der Feminismus war neben dem Sozialismus und vielleicht vor ihm die radikalste Revolte gegen konservative Strukturen. Heute ist er zum Infight um hoch bezahlte Stellen im bürokratischen Betrieb verkommen.
Und jetzt müssen wir zurück zur „Einlagen-Sicherung“!
Die Regulierung und Absicherung der Vorsorge wird also den Banken und ihren Treuhändern überantwortet. Anstelle dass die Gesellschaft ihre politische Aufgabe wahrnimmt, wird sie einer privaten Agentur der gierigsten, korruptesten und unfähigsten Institutionen zugeteilt. Es hat seinen Sinn. Wen betrifft die Einlagen-Sicherung? Nun, wer hat vor allem Spar-Einlagen? Es sind die oberen Bereiche der Unterschichten und die unteren und mittleren Mittelschichten.
Es gehört zu den Grundlagen der neoliberalen Politik, die Bevölkerung zu verunsichern und sie auf diese Tour einzuschüchtern. Hören wir nochmals den Standard, das Sprachrohr des Neoliberalismus in Österreich: „Richtig sicher ist künftig also gar nichts mehr…“ Das soll auch und gerade die Angehörigen der Mittelklassen treffen. In Krisen-Zeiten sind diese oft unsichere Kantonisten. Sie neigen dann dazu, dieses irrationale System in Frage zu stellen. Im europäischen Süden ist dies ja schon der Fall. Man muss sie also disziplinieren.
Dass in einer höchst vernetzten Gesellschaft diese selbst die Daseins-Sicherung in die Hände nehmen sollte; dass dazu nicht zuletzt auch die Sicherung der finanziellen Vorsorge gehört; das ist im Grund allen außer neoliberalen Ökonomen klar. Doch es sind die neoliberalen Ökonomen und ihre Hintermänner / -frauen, welche uns einen Finanzminister beschert haben, der aus dem Unternehmertum kommt und deswegen als besonders kompetent gerühmt wird. Er hat es auch leicht. Nach der exemplarischen Unfähigkeit seiner Vorgänger, eines Spindelegger, einer Fekter, einer Josef Pröll ist dies erklärlich. Bei Pröll stellt sich allerdings auch eine andere Frage: Wieso hat Raiffeisen einen Menschen seines Kalibers zum Spitzen-Manager gemacht? Wer denkt da nicht an gegenseitige Gefälligkeiten?
Aber der entscheidende Punkt ist: Die Reise geht zurück in eine fast feudale Zeit. Damals war die Gesellschaft privaten Herren und Damen überantwortet. Die Herrschaften von SPÖ und ÖVP werden im Parlament demnächst wieder eine solche Rücküberantwortung beschließen.
4. April 2015