Erneuter Aufstieg der FPÖ – sozial-kulturellen Protest von unten
Der überwältigende Erfolg des FP-Kandidaten Hofer ist in erster Linie Ausdruck des Protests der Subalternen. Will man den Wählerstromanalysen glauben, so votierten zwei Drittel der Arbeiter blau. Das Muster ist von früheren Wahlen bekannt: In den größeren und historisch industriellen Städten geht das untere Segment der klassischen SP-Klientel überwiegend zur FP über. Denn die SP hat sich in Form der Großen Koalition organisch an die Partei des Großkapitals, die ÖVP, gebunden und sogar die politisch-kulturelle Führung des historischen Blocks des Neoliberalismus übernommen. Parlamentarischer Ausdruck dessen war und ist der dezidierte Ausschluss der FPÖ von jeder Regierungsbeteiligung, mit der möglicherweise eine Dämpfung des neoliberalen Programms in der Sozialpolitik möglich (gewesen) wäre. Zumindest wäre das von der Wählerbasis erwartet worden. Nicht umsonst bezeichnete der ultraliberale Ideologe Franz Schellhorn die FPÖ als eine wirtschaftspolitisch linke Partei.
Auch in diesem Wahlkampf hat die FPÖ sich gegen TTIP ausgesprochen (damit spielen allerdings außer VP und Neos alle) und als einzige Partei gewagt, die EU zu kritisieren.
Kulturchauvinismus: Feindbild Islam
Obwohl die FPÖ als einzige Partei die inter- und supranationalen neoliberalen Institutionen in Frage stellt, muss man aber immer klar vor Augen haben, dass es ihr zentral um die Ablehnung der Migration und der Entwicklung vor allem der islamischen Zuwanderer zu, inneren Feind geht. Migration hat natürlich einen sozialen Aspekt, weil Zuzug insbesondere in Zeiten der Austerität und des verschärften Wettbewerbs weiteren Druck auf die Löhne in den unteren Lohnklassen erzeugt. Doch von der FPÖ wird die Schuld direkt den Zuwanderern zugeschoben, der systemische Kontext interessiert nicht. Da wird eine regelrechte Kampagne gegen den Islam und eine angebliche Islamisierung geführt und dabei eine vermeintliche jüdisch-christliche europäische Identität beschworen.
Das geht mit dem vor einigen Jahren vollzogenen prozionistsichen Schwenk einher. Die FPÖ, selbst vom historischen Antisemitismus kommend, hat sich der Kampagne gegen den linken Antizionismus angeschlossen, nach der alle als antisemitisch denunziert werden, die Israel nicht unterstützen wollen.
Die Lockerung des EU-Grenzregimes durch Deutschland im Sommer 2015 und die darauf folgende Flüchtlingswelle hat zum außerordentlichen Aufstieg der FPÖ natürlich wesentlich beigetragen. Die Wiederherstellung des restriktiven Zugangs schreibt sie sich auf die Fahnen.
Klassenübergreifende Zusammensetzung
Doch die FPÖ hat nicht nur in den Arbeiterhochburgen Zuspruch erhalten, sondern auch in den suburbanen Speckgürteln. Aus dem deutschnationalen Mittelstand stammend, sammelt sie nun dessen kulturchauvinistischen Teil, den alten Rassismus modernisierend und auf eine besser verdaubare Basis stellend. Dort fehlt ähnlich wie bei der AfD und bei Pediga das soziale Element, sondern es dominiert das reaktionäre Kleinbürgertum.
In manchen Regionen reicht der freiheitliche Einfluss bis in den herrschenden Block hinauf. Da ist der Kärntner Ausnahmefall, wo es nie eine christlich-soziale Hegemonie gab und der Aufstieg der dezidiert deutschnationalen FPÖ in antislowenischer Stoßrichtung sich schon früh aus der SPÖ speiste. Da ist das ebenfalls sozialdemokratische Burgenland, wo die SPÖ in Abwehr der Flüchtlinge nun mit der FPÖ koaliert. Aber am wichtigsten ist die VP-FP-Koalition im industriellen Kernland Oberösterreich, wo die Blauen so wie vor einem Jahrzehnt Haider auf Bundesebene bruchlos in den neoliberalen herrschenden Block als Juniorpartner eingemeindet wurden.
Man muss die Geschichte mit der Gegenwart der FPÖ in Beziehung setzen, mit ihren Brüchen und Kontinuitäten. Vom Sammelbecken der Altnazis, zum Restposten des Deutschnationalismus und Mehrheitsbeschaffer für Kreiskys Sozialreform, vollzog Haider gegenläufig zur allgemeingesellschaftlichen Wendung zum Neoliberalismus einen plebejischen Schwenk. Einerseits ersetzte er den offenen Deutschnationalismus durch einen massentauglichen Österreichpatriotismus, andererseits begann er die Unterschichten und Arbeiter sozial anzusprechen, weg vom alten Wirtschaftsliberalismus. Strache setzt diesen Kurs erfolgreich fort. Und das ist nicht nur eine Maske, wie viele Linke glauben.
Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass es sich um eine Partei handeln würde, die zum Bruch mit den Eliten bereit wäre. Die Rhetorik gegen die EU beschränkt sich auf Stereotype, Geschimpfe und maximal Andeutungen, aber von Austritt war noch nie die Rede.
Die Partei hat zwei Seelen und Haider verstand virtuos beide zu bedienen. Solang diese Koexistenz nicht herausgefordert wird, kann Strache das Spiel weiter erfolgreich spielen. Doch die FP-Beteiligung an der ultraliberalen VP-geführten Regierung führte seinerzeit zu einer rapiden Abwendung der plebejischen Wählerbasis. Haider zog die Notbremse, was zur Abspaltung des bürgerlichen Flügels (BZÖ) führte. Eine neuerliche Probe aufs Exempel hängt natürlich von gesellschaftlichem Kontext ab, von der Tiefe der sozialen Krise und nicht zuletzt vom Fortbestand oder Kollaps des Euro-Regimes. Die linke Denunzierung der FPÖ als verkleideter, aber letztlich noch mehr neoliberaler Stoßtrupp ist nicht nur nicht plausibel, sondern muss als Legitimation für das Zentrum verstanden werden das dadurch auch sozioökonomisch als kleineres Übel erscheint. Doch angesichts der geringen Radikalisierung ihrer Wählerbasis überwiegt aller Wahrscheinlichkeit die Bindung an die Eliten über tausend verschiedene aktuelle und historische Fäden. Reibungslos wird die Adoptierung durch die Oligarchie jedenfalls nicht von statten gehen können.
Absehbares Ende der Großen Koalition
Die Wahlergebnisse zeigen es an: das Regime des letzten Vierteljahrhunderts hat ein Ablaufdatum. Zwar verstärkt die geringe institutionelle Bedeutung des Präsidentenamtes den Protestcharakter der Wahl ähnlich den Urnengängen zum EU-Parlament. Der relative Erfolg Irmgard Griss’ zeigte beispielsweise an, dass der ÖVP-Parteiapparat auch für ihren historischen Block zu kulturkonservativ ist. (Eine Merkelsche Öffnung zur Mitte steht nicht zur Debatte.) So trat sie für die Gesamtschule an, während die ÖVP am bildungsbürgerlichen Ideal des 19. Jahrhunderts festhält. Und die städtischen SP-Bobo-Oberschichten, die diesmal grün wählten, werden wohl bei der Parlamentswahl zum Brötchengeber zurückkehren. Wenn es wirklich um die Wurst geht, dann können sowohl ÖVP als auch SPÖ noch einiges mehr aufbieten. Irgendwann werden die Koalitionäre dennoch ihre historische Mehrheit verlieren und die FPÖ beteiligen müssen. In der SPÖ sind immer mehr Stimmen in diese Richtung zu vernehmen und ein Dammbruch bereit sich vor. Dabei gibt es zwei Varianten:
Ein Zusammengehen mit der ÖVP. Die Wiederholung von Schwarz-blau als Juniorpartner würde die Glaubwürdigkeit gegenüber den Subalternen schnell zerstören und ein politisches Vakuum schaffen. Ob die ÖVP, mit der Raiffeisen-Oligarchie als Strippenzieher im Hintergrund, sich jedoch den „Proleten“ der FP unterordnen würde, kann bezweifelt werden.
Die für die FPÖ klügere Variante wäre eine rot-blaue Koalition: das wäre auch für die FPÖ als Juniorpartner leichter verkraftbar. Es handelte sich um ein echtes Experiment mit heute wenig voraussehbarem Ausgang, insbesondere dann, wenn es sich im Rahmen des Zerfalls des Euro-Regimes entfalten würde.
Doch ebenfalls ist ein spanisches Szenario denkbar, in dem keine stabile Regierungsbildung möglich ist.
Linke Antiberlusconite
Die historische Linke, die anders als in anderen europäischen Ländern immer im Umfeld der integrativen SPÖ verblieben ist, hält dem (neo)liberalen Zentrum weiterhin eisern die Stange. Für sie bleibt die FPÖ das absolut Böse, das es um jeden Preis zu verhindern gilt. Und der Preis ist die rot-grüne Umarmung des Neoliberalismus und der EU. Denn es ist ihre auf den Kopf gestellte linke Kultur, die die Umwandlung des Internationalismus zu einem Elitenprogramm ermöglichte und ideologisch deckte. Sie wollen nicht sehen, dass die kulturchauvinistische Einkleidung des sozialen Protests auch damit zu tun hat, dass die Linke ihrerseits das Elitenprogramm behübscht.
So ist es nicht verwunderlich, dass alles was in der Linken Rang und Namen hat, zur Wahl des linksliberalen Grünen van der Bellen aufruft. Man echauffiert sich über die autoritären Sager von Hofer. („Die Zeit“ fragt sogar vom fernen Hamburg aus suggestiv, ob es sich nicht um einen neuen Hindenburg handeln würde.) Dass van der Bellen seinerseits nonchalant meinte, er würde eine Regierung mit FP-Beteiligung, die sich eventuell nicht an die EU-Verträge halten würde, nicht angeloben, fällt da scheinbar nicht auf. Das ist eine viel konkretere präsidentialistische Bedrohung der parlamentarischen Realverfassung der Zweiten Republik, als die großspurigen Ansagen von Hofer ohne reale Substanz. Zudem verweist van der Bellen auf die supranationalen EU-Institutionen, die in der Tat demokratische Entscheidungen auf nationaler Ebene außer Kraft setzen könnten und das bereits auch taten.
Vakuum auf der popularen Linken
Die De-facto-Beteiligung der Linken am herrschenden neoliberalen Block auch durch seine politische Deckung als kleineres Übel überlässt den Protest der Subalternen gänzlich der Rechten. Bis auf die lokalpolitische Ausnahme der KP-Steiermark gibt es keine unabhängige Kraft, die den Versuch überhaupt unternehmen würde, sich zur Stimme der Unterschichten zu machen. Noch drückender wird das Bild, wenn man sich die Stellung zu den EU-Institutionen vergegenwärtigt. Da gibt es auf der Linken ausschließlich das Euroexit-Komitee (an dem der Autor selbst beteiligt ist), das es wagt das Euro-Regime und die EU als die konkreten Instrumente des Neoliberalismus zu benennen. Bisher gibt es weder unter der institutionellen Linken, noch unter Intellektuellen und Künstlern, noch im Apparat der Universitäten und Medien, noch in den Gewerkschaften irgendwelche kritischen Stimmen – daher kann die Rechte sogar mit sehr vagen Positionen punkten.
Das scheint umso paradoxer als in europäischen Umfragen Österreich wiederholt als einiges jener Länder erscheint, in dem die Skepsis gegenüber TTIP, der Euro-Rettung sowie der EU insgesamt verhältnismäßig groß ist – und bereits war als in Südeuropa der Europäismus noch grassierte.
Wie lässt sich vor diesem Hintergrund die extreme Umarmung des liberalen Zentrums und seiner EU durch die Zivilgesellschaft erklären? (Zivilgesellschaft ist hier im ursprünglichen Gramscischen Sinn gemeint, also als Vermittlungsapparat der bürgerlichen Herrschaft.) Dafür lassen sich sowohl sozioökonomische als auch politisch-kulturelle Gründe ausmachen:
Die österreichische Industrie zählt als Anhängsel der deutschen Exportmaschine sicher zu den Gewinnern des Euro-Regimes und der Internationalisierung. Die Krise hat also nicht die Wucht wie an der Peripherie. Anders als in Deutschland selbst war der Angriff auf den Sozialstaat und die unteren Lohnsegmente nicht so heftig. Insbesondere die Prekarisierung der Zivilgesellschaft, des gesamten Ideologieapparats des Regimes, ist weit davon entfernt südeuropäisches Ausmaß zu erreichen. Die Intellektuellen haben also noch etwas zu verlieren, vor allem im europäischen Vergleich.
Mindestens genauso wichtig ist die Angst vor der deutschnationalen Rechten, die man aus der Geschichte heraushebt. Den Nationalsozialismus konnte man nicht aus eigener Kraft besiegen, sondern war von der Sowjetunion und Amerika abhängig geblieben. Mit der Dämpfung des Kalten Krieges ab den 1970er Jahren war es die Sozialdemokratie, die den Antifaschismus der Linken schrittweise domestizierte und schließlich zur Staatsideologie erhob. Als selbständige Linke war man von der SPÖ aufgesogen worden und zur Marginalie abgesunken. Die Bedeutungslosigkeit, der daraus resultierenden Selbstzweifel sowie der Pessimismus, die anhaltende Hoffnung des Mittelstandes, dass letztendlich doch Alles beim Alten bleiben werde, all das führt dazu, dass die EU als Garant der Zivilisation, der bestehenden Ordnung als kleineres Übel gesehen wird.
Die Linien für eine politische Alternative im Sinne der Subalternen zeichnen sich immer deutlicher ab: ein Ende der sozialen Degradierung der Unter- und Mittelschichten hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sowie die Wiedereroberung der Demokratie kann nur gegen die (neo)liberale Oligarchie und ihren supra- und internationalen Institutionen wie die EU erreicht werden. Ein tiefer Bruch ist nötig. Die Wiederherstellung der nationalen Souveränität muss als Eroberung der Volkssouveränität gegen die zunehmende Diktatur der kapitalistischen Eliten konzipiert werden, mit der der produktive Apparat in den Dienst der Mehrheit gestellt wird.
Mit dem gängigen Vorwurf der Rückkehr zum alten Ethnonationalismus hat das nichts zu tun. Im Gegenteil, hinter der Globalisierung verstecken sich die Interessen der dominanten nationalen Oligarchien. Das sieht man immer wieder bei den USA aber ebenso in der EU angesichts der Euro-Krise. Der Internationalismus der Eliten ruft richtiggehende nationale Selbstverteidigung hervor. Das kann demokratisch aber auch reaktionär interpretiert werden.
Die österreichische Geschichte und die verfassungsmäßige Neutralität entstand in Verteidigung gegen und Absetzung vom deutschen Imperialismus. Sie bietet einen demokratischen Ansatzpunkt nach innen wie nach außen. Nach innen ist es die Integration in einer politisch-kulturell konstituierten Nation und keiner ethnisch-nationalen, ungeachtet der gleichen Sprache mit dem übermächtigen Nachbarn. So sehr die Migration durch eine souveräne Nation politisch kontrolliert und gesteuert werden muss (wie die Flüsse der Produktionsfaktoren Arbeitskraft, Waren und Kapital überhaupt), so sehr kann mit diesem Konzept auch Zuwanderung anderer Identitäten demokratisch bewältigt und der identitätsstiftenden Islamophobie etwas entgegengesetzt werden. Nach außen hin kann die Neutralität in Richtung globalem sozialem Ausgleich, Frieden und Antiimperialismus gewendet werden.
30. April 2016