Site-Logo
Site Navigation

NZZ: „Der Euro gefährdet die EU“

26. Juni 2016
Von Wilhelm Langthaler

Nach der britischen Austrittsabstimmung äußert sogar die Finanzoligarchie ihre Zweifel an Euro und EU


Der Schock sitzt tief, sehr tief. So tief, dass sogar ganz oben die Solidarität der Banker in den Hintergrund rückt und ihre Denker meinen Zweifel auszusprechen zu müssen. Wenn sogar aus dem Organ der Schweizer Bourgeoisie zitieren kann als wäre es das eigene Buch „Europa zerbricht am Euro“, dann vermag man das Ausmaß der Krise erahnen. Es ist ein Versuch zu retten was zu retten ist.

Folgend ein ungekürztes Zitat aus dem Leitartikel der Neuen Zürcher Zeitung vom Wochenende nach dem Brexit-Referendum (25./26.6.2016). In eckiger Klammer meine Kommentare. Absätze wurden zur besseren Lesbarkeit von mir hinzugefügt.

Die Mitverantwortung der EU [für die Krisenphänomene] wurde jedoch durch die Einführung des Euro massgeblich verstärkt. Die Einheitswährung erweiterte dank niedrigen Zinsen und hohen Krediten in vielen Ländern die Spielräume für Missbräuche, Blasenbildungen und Verschuldung. Sie verstärkte Fehlanreize für verantwortungsloses Handeln und erlaubte es nationalen Politikern und Bankern, die Verantwortung auf die europäische Ebene abzuschieben.

Der Euro gefährdet die EU

Der Euro, die vermeintliche Krönung der europäischen Integration, steht heute im Zentrum von Europas Krise. Es erscheint fraglich, ob die Fehlkonstruktion langfristig zu retten ist. Wenn doch, dann nur durch einen neuen Gesellschaftsvertrag, dem die Bürger der beteiligten Staaten in transparenter und freiwilliger Weise zustimmen. [Eine nicht ernst zu nehmende ideologische Floskel, die der Autor wohl kaum selber glaubt.]

Dieser Vertrag müsste entweder die fiskalische Selbstverantwortung der Euro-Staaten glaubwürdig etablieren oder [vulgo: die politische Last der Austerität müssen die Eliten voll selbst tragen und dürfen sie nicht auf die EU-Institutionen überwälzen – eine völlig unrealistische Vorgabe], dem Rat führender Ökonomen folgend, die Währungsunion in eine fiskalische Transferunion und Risikogemeinschaft verwandeln, was eine gemeinsame Fiskalpolitik und die dauerhafte Subventionierung des Konsums einzelner Länder durch andere bedeuten könnte. Letzteres würde eine sehr weitgehende politische Integration voraussetzen. [Die Flucht nach vorne in verschärfte supranationale Zentralisierung, von der der Autor andeutet wie unwahrscheinlich ihre Durchsetzung mit demokratischen Mitteln ist:]

Die Führung der Union ist bis heute vor diesen ehrlichen Schritten zurückgeschreckt, weil sie Niederlagen in Volksabstimmungen über die notwendigen Vertragsänderungen fürchtet. Doch das dauernde Lavieren und Verschleiern höhlt das Vertrauen und die Akzeptanz der Bevölkerung aus. Es gefährdet letztlich die Existenz der EU.

Eine offene Debatte über den Zweck und die Verfassung der Europäischen Union ist überfällig. Sie ist die einzige Chance, die in allen Teilen Europas wachsende Schar der Euroskeptiker und EU-Hasser für die gemeinsame Idee zurückzugewinnen. Dabei weisen die ursprünglichen Wünsche der Briten vor dem Referendum einen möglichen Weg: Das in den Römer Verträgen von 1957 und der Präambel des Maastricht-Vertrags von 1992 stehende Ziel einer «immer engeren Union» ist aufzugeben. [sic!] Sie ist kein Selbstzweck.

Eine neue identitätsstiftende Vision ist nötig. Realistischer wäre etwa eine Union mit viel fachen Integrationskreisen, die möglichst allen Mitgliedern jene Schritte und Geschwindigkeiten ermöglicht, die ihre Bürger wünschen. Mit dem Nebeneinander von Schengen-Raum, an dem sogar die Nichtmitglieder Schweiz und Norwegen teilhaben, Dublin-Abkommen, Euro-Zone, Übergangsbestimmungen für Neumitglieder und diversen Opt-outs aus verschiedenen Vertragswerken geht die EU bereits jetzt einen pragmatischen Weg des Miteinanders von Mitgliedern mit oft ganz unterschiedlichen Interessen. Er könnte zur neuen Normalität werden. Eine solche Union wäre offener, beweglicher, freier, anschlussfähiger für neue Mitglieder und wohl selbst für die eigenbrötlerischen Briten akzeptabler, hätten sie sich entschieden, dabeizubleiben.

Was an solch einem unklaren und unbestimmten Rückbau identitätsstiftend sein soll, bleibt unverständlich, reine und leere Hoffnung. In der Substanz erscheint es als eine Rückkehr zum Kerneuropa des reichen Zentrums wie es von Schäuble/Lamers Anfang der 1990er ventiliert wurde, das eine Freihandelszone politisch führt und kontrolliert.

Wie man dorthin kommen kann ohne großen Schaden zu nehmen, sagt Peter Rásonyi nicht. Denn ein solcher Rückzug käme einem Eingeständnis des historischen Scheiterns gleich – eine präzedenzlose Niederlage der globalistischen Eliten. Das würde die gesamte politische Architektur Europas unter US-Vorherrschaft über den Haufen werden und vor allem an der Peripherie antikapitalistische Versuche ermöglichen. Aber das wäre vor einem Schweizer Banken-Lohnschreiberling dann noch zu viel verlangt.

Thema
Archiv