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Selbstkritik der PKK

27. August 2016
Von Jörg Ulrich

Die Beendigung des Friedensprozesses als historischer Fehler


Bei den sich in Syrien und der Türkei überschlagenden Ereignissen ist eine Meldung etwas untergegangen, die wir für eine notwendige und wichtige Revision des Verhältnisses der kurdischen Befreiungsbewegung zum Politischen Islam ansehen. Eine der führenden Persönlichkeiten der KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans, das politische Organ des von Öcalan propagierten Demokratischen Konföderalismus) hat in einem Statement gegenüber der kurdischen Nachrichtenagentur ANF am 8. August 2016 bekundet, dass es aus seiner Sicht im Nachhinein ein historischer Fehler gewesen sei, nach den so erfolgreichen Wahlen im Juni 2015 der AKP kein Angebot zu einer Koalitionsregierung unterbreitet zu haben. Cemil Bayik, Kovorsitzender der KCK, dazu wörtlich: „Die Weigerung der HDP eine Koalition mit der AKP einzugehen, bewerten wir als einen historischen Fehler.“

Hintergrund dieser Kritik am politischen Arm der kurdischen Befreiungsbewegung in der Türkei ist, dass diese einen explizit „antiislamischen“ Wahlkampf führte, der sich zu sehr an der Person Erdogans abarbeitete. Bayik weiter: „Hätte es von der HDP ein Programm zur Demokratisierung gegeben, hätte man auf dessen Grundlage mit jeder Partei eine Koalition eingehen können.“ Die Fokussierung des Wahlkampfes auf eine „Verhinderung“ eines „islamischen“ Diktators, hat letztendlich dazu geführt, dass es verabsäumt wurde mit einem eigenen Verfassungsentwurf in die gesellschaftliche Diskussion zu intervenieren; und auf dieser Grundlage eine neue demokratische Bewegung aufzubauen. Bayik: „So hätte man das Spiel der AKP verderben können, um damit das undemokratische Gesicht der AKP ins Zentrum zu rücken.“

Die KCK kritisiert damit eine politische Strategie, die in der AKP und in Erdogan im Besonderen eine neue Form des „Faschismus“ im Gewand des Islam sieht. Die vermeidliche Notwendigkeit der Bildung einer breiten „antifaschistischen“ Volksfront bildete dann auch den Rahmen für eine weitere politische Ausrichtung, die in letzter Konsequenz nur eine militärische Lösung kennt.
Die aufbrechenden Widersprüche zwischen den nationalen Interessen der Türkei und den Ordnungsvorstellungen der USA seit 2003, die im Kontext der arabischen Aufstände in Tunesien, Ägypten und Syrien an Schärfe zu nahmen, bilden dabei den Rahmen in der eine „internationalistische“ Linke gemeinsam mit den USA den „Liberalismus“ in der Türkei und Syrien verteidigen. Die Äußerungen des Vorsitzenden der YPG Saleh Muslim: „Wir verteidigen hier europäische Werte“, machen in diesem Kontext die strategische Ausrichtung des Befreiungskampfes in Syrien sehr deutlich. Doch die Hoffnung auf die nationale Selbstbestimmung als „Vasall“ eines „demokratischen Westens“ sind mit den jüngsten Entwicklungen ausgeträumt. Mit dem Einmarsch der türkischen Armee in Syrien nimmt diese den Platz von Daesh ein und verhindert damit eine Konsolidierung der kurdischen Autonomie von „Rojawa“.

Zudem hat der US-amerikanische Vize Biden klargestellt, dass alle Milizen, die sich nicht an die Vereinbarungen hielten, keine weitere militärische Unterstützung erhielten. Die damit einhergehende Aufforderung an die kurdischen Truppen sich auf das östliche Ufer des Euphrats zurück zu ziehen zeigt deutlich, dass die USA die Kurden auf dem syrischen Schachbrett als Bauernopfer sehen. Die Ausrichtung auf eine militärische Lösung der kurdischen Frage hat die kurdische Befreiungsbewegung letztlich zum Anhängsel der imperialistischen Invention in Syrien und Irak gemacht. Die vorübergehenden blutig erkämpften militärischen Erfolge der YPG haben diese letztlich völlig abhängig von der militärischen Unterstützung der USA gemacht und sie hat dadurch auch große Teile ihrer politischen Selbstbestimmung abgeben müssen.

Ganz ähnlich zeigt sich die Situation in den türkischen Teilen Kurdistans. Mit der einseitigen Ausrichtung der Türkei auf eine militärische Lösung in Syrien ist die Türkei selbst Teil des Bürgerkrieges in Syrien geworden. Die Schlacht um die syrische Stadt Kobane hat dies deutlich hervortreten lassen, als Teile der islamischen Opposition die von kurdischen Einheiten kontrollierte Stadt angriffen. Die Schlacht um Kobane dehnte sich letztlich auf die Türkei aus und beendete den Friedensprozess. Der Versuch die Entwicklungen in Rojawa auf die Türkei zu übertragen scheiterten. Cizre, Ahmet und andere Städte liegen in Trümmern. Die Menschen wurden getötet, vertrieben und enteignet.

Die Entwicklungen in der Türkei nach dem Putsch haben auch hier verdeutlicht, dass die politische Basis, auf der die HDP ihre politische Strategie aufbaute, nicht darin bestand, die türkischen Unterklassen für ein kurdisch-türkisches demokratisches Projekt, sondern gegen die AKP, die tiefe Wurzeln im türkischen Volk schlagen konnte, zu mobilisieren. In diesem Kontext kritisiert der gleiche Heval Cemil richtig: „Aber durch die unpolitische Annäherung der HDP wurde einerseits von einem Demokratisierungsprozess erzählt, aber es wurde andererseits verabsäumt gemeinsame Schnittmengen mit den demokratischen Kräften und der CHP zu bilden.“ Gemeint ist Koalitionsangebot an die CHP ohne politische Kriterien. Und er befürchtete richtig, dass „man überflüssig geworden wäre, wenn es eine Koalition zwischen der AKP und der CHP gegeben hätte.“

Der gescheiterte Putsch in der Türkei hat gezeigt, dass die AKP eine tiefe Verankerung im türkischen Volk besitzt. Aber gleichzeitig zeigt es auch wie brüchig das Staatsgefüge im Rahmen der weltweiten kapitalistischen Krise geworden ist. In der aktuellen Dynamik kann es ohne die Lösung der kurdischen Frage im mittleren Osten keine gerechte politische Ordnung geben. Bayik: „Wieviele Jahre der Kampf auch dauern wird, am Ende werden wir zu Verhandlungen zurückkehren, da die kurdische Frage letztlich nur politisch gelöst werden kann. Der Kampf der Kurden gegen die Türken hat viele traurige Erfahrungen hervorgebracht. Doch hat die kurdische Gesellschaft sich dabei nicht nur gegen die Radikalisierung und den türkischen Staat gewehrt, sie hat dabei auch gelernt ein Leben in Freiheit und Demokratie zu entwickeln.“

Der Kampf für einen gerechten Frieden und einen demokratischen mittleren Osten, in dem die nationale Selbstbestimmung aller dort lebenden Völker garantiert wird, kann es ohne eine demokratische Kontrolle der Ressourcen der Region aber nicht geben. Und diese ist nur gegen den Imperialismus in letzte Konsequenz zu erkämpfen. Dieser Kampf kann aber nur auf der Grundlage einer breiten politischen antiimperialistischen Front geführt und gewonnen werden. Und diese muss Teile des Politischen Islam mit einschließen.

Jörg Ulrich ist ehemaliges Mitglied der „Volksbefreiungsarmee Kurdistans“ (ARGK), heute antiimperialistischer Aktivist, Duisburg

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