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Euro-Krise für türkisch-kurdische Leser

12. November 2016
von Mustafa Ilhan

Özgür Politika-Interview mit Wilhelm Langthaler


Im September dieses Jahres hat das dritte „Internationales Forum gegen den Euro“ in Italien stattgefunden. Was war sein Ziel?

Ziel des Forums war alle demokratischen Kräfte in Europa gegen das Euro-Regime zusammenzuschließen, das in einer sehr tiefen Krise steckt und sich mittels immer härterer Angriffe auf die sozialen Errungenschaften über Wasser zu halten versucht. Aber das ist nur der erste Punkt. Es geht auch darum, sich auf den unvermeidlichen Zusammenstoß mit der EU-Oligarchie vorzubereiten, für den Bruch bereit zu sein, denn auf den Austritt aus der gemeinsamen Währung folgt unweigerlich der Zusammenstoß mit der EU-Oligarchie, will man dem Neoliberalismus ein Ende setzen.

Ein Thema des Treffens: „Warum der Euro nicht reformiert werden kann, sondern aufgelöst werden muss”. Warum also?

Nehmen wir das Beispiel Griechenland. Die Linksregierung von Syriza hatte ein Ende der katastrophalen Abbaupolitik versprochen, wie sie die Bedingung für die Notkredite war. Sie setzte all ihre Hoffnung darauf, dass sie innerhalb der Euro-Institutionen Verbündete finden würde. Doch zu guter Letzt stimmten alle Länder unter dem Druck Deutschlands gegen Syriza. Die EZB drohte die Geldversorgung abzudrehen und erpresste Griechenland mit dem wirtschaftlichen Kollaps. Die Idee von der sozialen EU war gescheitert. Entweder die Bedingungen akzeptieren oder aus dem Euro austreten, die Schulden nicht bedienen, Kapitalverkehrskontrollen einführen, eine neue Währung herausgeben und die Banken verstaatlichen – was alles nicht nur gegen die Regeln des Euro, sondern auch jene des EU-Binnenmarktes verstößt.

Das ist nicht nur, weil Griechenland ein kleines und armes Land ist, sondern das gilt auch für viel größere Länder wie Spanien, Italien, ja sogar für Frankreich. Auch dieses hat sich nie gegen die ordoliberalen Konzepte des übermächtigen deutschen Nachbarn durchsetzen können.

Der EU-Binnenmarkt mit seiner supranationalen Behörde wurde Mitte des 1980er Jahre nach der Niederlage der französischen Linksregierung unter Mitterrand gegründet. Es war ein explizit gegen den Keynesianismus und alle fortschrittlichen soziopolitische Versuche gerichteter Pakt. Es ging im Sinne von Thatcher und Reagan um die Durchsetzung des neoliberalen Rollbacks gegen die sozialen Errungenschaften der 70er Jahre. Der Euro sollte die Herrschaft der kapitalistischen Eliten Westeuropas krönen. Er war als ultraliberales Brecheisen gedacht. Die Idee der „sozialen EU“ war von Anfang an entweder eine naive Illusion oder ein zynischer Betrug.

Die Thematik der Reform des Euro kennen wir von Griechenlands Ex-Finanzminister Varoufakis. Was halten Sie von seiner Politik?

Varoufakis ist neben Premier Tsipras der wichtigste Vertreter und Propagandist der gefährlichen Vorstellung gewesen, dass die Linksregierung ohne Bruch mit dem Euro ein Ende des Austerität bewerkstelligen könnte. Tatsächlich hatte er schon im Februar 2015 kapituliert, als er das Troika-Memorandum im Prinzip schon akzeptiert hatte. Im monatelangen Verhandlungspoker ging es nur mehr darum, über ein symbolisches Zugeständnis das Gesicht zu wahren. Aber selbst das wollten Juncker, Merkel und Schäuble unter keinen Umständen zulassen. Dann war er unehrlich, denn er wollte sich nach der Niederlage reinwaschen, indem er behauptete an der Vorbereitung einer neuen Währung gearbeitet zu haben. Aber das schlimmste ist, dass er seine Position immer wieder wechselte. Er hatte nach dem Referendum mehrmals für oder gegen die Regierung gestimmt. Dann hatte er gemeinsam mit Lafontaine und anderen einen Plan B verkündet, der suggerierte die Lehren aus dem Desaster gezogen zu haben. Nur um ein halbes Jahr später zu verkünden, dass es kein Zurück zur nationalen Souveränität gegen könnte, denn das sei reaktionär und schlimmer als die Herrschaft der EU-Oligarchie selbst. Stattdessen bedürfte es einer weiteren Zentralisierung der EU, eines wirklichen Bundesstaates um die soziale EU durchzusetzen. Varoufakis verkauft nach wie vor die gleiche Illusion wie Syriza, aber nun wider besserer praktischer Erfahrung. Welche Vermessenheit, der deutschen Exportmaschine mittels EU-Suprastaat eine soziale Politik aufzwingen zu können glauben. Das wäre wie den Bock zum Gärtner zu machen.

Was kann die Eurokrise alles in der EU auslösen?

Angesichts der Härte der Programme gegen die Peripherie ist es nur eine Frage der Zeit, dass eines der Länder des Südens Widerstand leistet, zum Beispiel in dem eine Regierungen an die Macht kommt, die sich dem Diktat des Zentrums widersetzt. Der Zinsenspread zu den deutschen Bundesanleihen würde innerhalb kurzer Zeit stark ansteigen und eine Situation wie 2015 in Griechenland schnell wieder da. Ein Austritt aus dem Euro kann verschiedene politische Formen annehmen – je nach Härte des Konflikts. Aber die Tendenz ist überall, dass an der Peripherie politische Kräfte an die Macht drängen, die die Oligarchie ablösen wollen. Es ist das erste Mal seit den 1970er Jahren, dass die Herrschaft der liberalen Eliten ernsthaft in Frage gestellt werden könnte.

Glauben Sie tatsächlich, dass EU aufgelöst werden kann?

Die Frage ist in welcher Art und Weise. Lafontaine, Fassina und andere schlagen eine einvernehmliche Auflösung des Euro vor, um die EU zu retten. Im Sinne der EU und ihrer Eliten wäre das nicht nur vernünftig, sondern die einzig mögliche Lösung ohne großen Schaden für die selbst. Doch danach sieht es nicht aus. Sie haben alles auf die Karte des Euro gesetzt und halten eisern an ihm fest. Von einem Hebel gegen die Massen wendet er sich nun zurück als Brecheisen innerhalb der EU selbst. Länder, die unter dem Druck der Volksmassen aus dem Euro austreten, können kaum umhin sich auch gegen die EU zu wenden, wollen sie überleben.

Und dann kommt noch der Domino-Effekt. Wenn Portugal austreten sollte, warum dann nicht auch Spanien, und Italien. Und schließlich, warum soll Frankreich als unter der Fuchtel Berlins verbleiben, wenn es genauso dringend einer Abwertung bedarf um seine Industrie wieder konkurrenzfähig machen zu können, ohne in der ewigen Spirale der Rezession zu versinken.

Damit wäre aber die deutsch-französische Achse, die die Grundlage der EU und der gesamten Nachkriegsordnung darstellt, gefährdet. Man sieht also die dramatischen Konsequenzen der Fortsetzung des Euro-Regimes.

Was kommt nach der EU?

Eines ist sicher: zuerst gibt es einmal einen heftigen Konflikt mit der herrschenden ultraliberalen und supranational organisierten Oligarchie. Da gibt es Kräfte von links aber auch von rechts. Derzeit hat die Linke in vielen Ländern das Problem, dass sie nach wie vor den Bruch nicht machen will. Wie wehrt sich dagegen, dass gegen die neoliberale Globalisierung die Volkssouveränität nur über die Nationalstaaten erobert werden kann. Damit überlässt sie das Feld des Protests der Volksmassen der Rechten. Aber die Rechte ist ihrerseits mit Tausend Fäden an die Eliten gebunden. Auch von denen kann ein wirklicher Bruch mit der Oligarchie nicht erwartet werden. Der Ausgang des Kampfes ist jedenfalls noch offen.

Für Menschen in der EU und vor allem in Deutschland gibt es die Sorge, dass eine Euro-Auflösung den Rassismus tendenziell stärken wird.

Es ist die EU selbst, die nationale Konflikte schürt, indem sie die Herrschaft des reichen Zentrums gegen die Länder der Peripherie etabliert. Griechenland befindet sich in deutscher Schuldknechtschaft, nämlich auf mehrere Generationen. Und das soll keine nationalen Gefühle und Ressentiments hervorrufen?

Zudem sind es die Staaten der EU, die die islamophobe Kampagne führen und die Migranten als Kriminelle und Sozialschmarotzer diskreditieren. Personenfreizügigkeit ändert am institutionellen Rassismus nichts, im Gegenteil.

Viele liberale Deutsche glauben, dass die EU vor Nationalismus und Konservativismus schützt. Sie merken nicht, dass es genau die ökonomische Herrschaft ihres Landes über den Kontinent, versteckt hinter den supranationalen Institutionen, die den Nationalismus befeuert.

Teilen sie diese Sorge?

Nein, im Gegenteil. Nur mittels Wiederherstellung der demokratischen und sozialen Rechte, der nationalen und Volkssouveränität, kann die Freundschaft zwischen den Nationen und Völkern gefestigt werden. Dafür muss aber die neoliberale EU zerschlagen werden.

Der IWF hat die türkischen Wachstumsaussichten für das Jahr 2017 von 3,4% auf 3,2% gesenkt. Gleichzeitig stufte die Ratingagentur Moody’s die türkische Bonität von B3 auf B1 herab. Da die türkische Wirtschaft stark von ausländischem Kapitalzufluss abhängig ist, hat die Herabstufung ein Warnsignal ausgelöst. Was bedeutet das nun? Könnte es eine Währungskrise heraufbeschwören?

Die Türkei hat die vergangenen Jahre immer ein signifikantes Außenhandelsbilanzdefizit aufgewiesen und ist daher strukturell auf Kapitalzufluss aus dem Ausland angewiesen. Die niedrigen Zinsen, wie sie derzeit in den Zentren vorherrschen und von den herrschenden Eliten politisch gewollt sind (was Erdogan „Zinslobby“ titulierte), sind für die Türkei wichtig. Würden sich diese erhöhen, könnte es zu gefährlicher Kapitalflucht kommen. Aber Zinserhöhungen sind politisch nicht zu erwarten. Man sollte die Aussagen der Ratingagenturen nicht überbewerten. Sie dienen mehr dazu Druck zu erzeugen, dass sich die Türkei an die Vorgaben der global financial governance hält. Doch wäre es besser, sich denen zu widersetzen, so wie wir es auch für Südeuropa vorschlagen. Auf ausländisches Kapital sollte man sich nicht verlassen, denn dessen Beitrag zur Entwicklung eines Landes ist meist gering.

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