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Lebenslänglich: mein indischer Freund GN Saibaba

Wie die „größte Demokratie der Welt“ mit Linksoppositionellen umgeht


19. März 2017
von Wilhelm Langthaler

GN Saibaba ist eine zentrale Figur der indischen Linken. In einem gewissen Sinn repräsentiert er das Milliardenland in seiner ganzen Diversität und gleichzeitig Einheit wie kaum ein anderer – als Ankläger des Krieges gegen die Ureinwohner und widerständigen Nationalitäten, als Kämpfer gegen das Kastenwesen und für die Muslime einschließenden Säkularismus, als Verteidige der Rechte der Bauern und Arbeiter. Nun soll Saibaba für immer hinter Gittern verschwinden – so wünscht es sich zumindest die Hindu-chauvinistische Modi-Regierung.


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Der an den Rollstuhl gefesselte Universitätsprofessor führte mich in die indischen Widersprüche ein, indem er mir das Geflecht der vielfältigen Opposition zugänglich machte: von den nationalen Bewegungen wie jener der Kashmiris und der „Sieben Schwestern“ im extremen Osten des Landes, über die Dalits (Unberührbare) und Adivasis (Ureinwohner), den Kampf der Muslime gegen die Hindutva und oftmals für Säkularismus bis hin zur soziokulturellen Bewegung um einen eigenen Bundesstaat Telangana.

Es begann 2004, als in Mumbai ein Weltsozialforum (WSF) stattfand. Gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite luden diverse linke Bewegungen unter dem Titel Mumbai Resistance (MR2004) zu einer alternativen Zusammenkunft ein, die von keiner Geringeren als Arundhati Roy eröffnet wurde. Es ging darum, dass der Widerstand gegen die Globalisierung und den Imperialismus in seiner gesamten Breite legitim sei, auch wenn er bewaffnete Formen annähme und um nationale Selbstbestimmung ränge – was vom Mainstream des WSF abgelehnt wurde. Uns ging es damals vor allem um den irakischen und palästinensischen Widerstand, unseren indischen Freunden um die Bewegungen der Adivasis, der Maoisten und diverser Nationalitäten. (Bericht und Presseecho.)

Im Verlauf der Veranstaltung wurde ein Redner auf die Bühne getragen – es war GN Saibaba. In der Erscheinung sehr einfach und bescheiden, stelle er sich in den nachfolgenden Gesprächen als einer der Interessierten und Offensten heraus. Saibaba half mir mehrere Reisen zu organisieren, ermöglichte den Zugang zu führenden Intellektuellen, den verschiedenen linken Parteien und auch den diversen Widerstandsbewegungen. Der Professor für englische Literatur, der es bedauerte Brecht nicht im Original lesen zu können, zeigte auch Verständnis für Heterodoxie. Nicht nur gegenüber der sowjetischen Schule, sondern auch bezüglich dem in der marxistischen Bewegung dominanten Maoismus, der sich im Verlauf der Jahrzehnte in eine unüberschaubare Zahl von Gruppen differenziert hat. Sein erklärtes Ziel war es einen breiten Zusammenschluss aller Emanzipationsbewegungen ganz Indiens zu ermöglichen – sowohl am Land als auch in der Stadt. (Auch das ist eine stillschweigende Korrektur des bei vielen Nachahmern der chinesischen Revolution starr angewendeten Dogmas.) In diesem Sinn verfolgte Saibaba die Idee einer umfassenden revolutionär-demokratischen antiimperialistischen Front. Sein Engagement brachte ihm nicht nur die Anerkennung der verschiedenen Basisbewegungen ein, sondern auch vieler Intellektueller der mittelständischen Zivilgesellschaft.

Saibaba half mir mehrere politische Reisen nach Indien zu organisieren. Zunächst trafen wir die Vertreter der verschiedenen Tendenzen in den Metropolen Mumbai, Delhi und Kolkatta (Calcutta). In Odisha (Orissa) besuchten wir den emblematischen Kampf gegen das größte ausländische Investitionsprojekt überhaupt, namentlich des koreanischen Stahlerzeugers POSCO, das auf verbissenen Widerstand der Bauern, Fischer und Ureinwohner stieß und aufgrund dessen bis heute nicht fertiggestellt werden konnte. Dann folgte Hyderabad, damals die Hauptstadt Adhra Pradeshs, jenes Gliedstaates, in dem sich die Bauern- und Dalitbewegung sehr stark war und die Maoisten tiefe Wurzeln geschlagen haben. In Hyderabad gibt es ein ganzes Milieu von städtischen Aktivisten und insbesondere Rechtsanwälten, die gegen die immer heftigere Repression ankämpfen.

Dort entstand die Idee eines politischen Solidaritätsprojektes in den Adivasigebieten von Chhattisgarh, den größten zusammenhängenden Territorien, in denen die indische Regierung die Kontrolle verloren und sie in der Folge mit dem Aufstandsbekämpfungsprogramm Green Hunt einen Bürgerkrieg entfesselt hat. In Form einer Fact-Finding-Mission versuchten wir gemeinsam mit den Intellektuellen aus Hyderabad und den lokalen Aktivisten eine Initiative zu entwickeln, wo westliche und auch indische Freiwillige sich in die Arbeit und den Widerstand der Ureinwohner integrieren. Hier der ausführliche Bericht „Adivasis trommeln gegen Globalisierung“ mit Bilder aus Chhattisgarh und Jharkhand.

Doch das wachsende Repressionsniveau vereitelte letztlich diesen Versuch. Im Gefolge von 9/11, dem Anwachsen der vor allem gegen Muslime gerichteten chauvinistischen Hindutva sowie dem Widerstand gegen ausufernde Bergbau- und Industrieprojekte, hatten die verschiedenen indischen Regierungen schrittweise die Gesetzlage so verschärft, so dass sie nicht nur gegen bewaffnete Aufstände, sondern auch gegen zivile soziale und politische Opposition vorgehen konnten (UAPA, POTA,…). Hier seien drei politische Gerichtsverfahren genannt, die beispielhaft sind:

Der Fall SAR Geelani, einem kashmirischen Intellektuellen, der für das Selbstbestimmungsrecht eintritt: Er wurde gefoltert, seine Frau und seine Kinder bedroht und verhaftet und er schließlich wegen angeblicher Beteiligung an einem Anschlag auf das indische Parlament 2002 zum Tode verurteilt. Doch die Solidaritätskampagne, an der sich unter vielen anderen Arundhati Roy, Noam Chomski und auch GN Saibaba beteiligte, führte letztlich zum Freispruch durch das Höchstgericht.

Der Fall des Armendoktors und Menschenrechtsaktivisten Binayak Sen, der Jahrzehnte in Chhattisgarh seiner humanitären Tätigkeit nachgegangen war: Er wurde wegen Unterstützung der Maoisten 2010 zu lebenslanger Haft verurteilt mit dem einzigen Beweis, dass bei im maoistische Literatur gefunden wurde. Aufgrund der massiven Proteste im In- und Ausland ließ ihn ein Bundesgericht 2011 frei.

Der Umgang mit Arundhati Roy selbst, der im Westen bekanntesten indischen Künstlerin und Aktivistin: Sie wurde mehrfach wegen ihrer kritischen Haltung zur indischen Regierung angeklagt, denn sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund. So begab sie sich 2010 zur maoistischen Ureinwohnerguerilla und verfasste darüber den Essay „Walking with the comrades“. (Hier in einer gekürzten Fassung in der „Intifada“ auf deutsch erschienen.). Sie trat auch öffentlich für GN Saibaba unter anderem in Form eines Artikels in Magazin Outlook „Professor, POW“ (hier in deutscher Übersetzung) ein, der ihre eine Anklage wegen „Missachtung des Gerichts“ einbrachte. Arundathi Roy ist einer Rufmordkampagne der der Hindutva nahestehenden indischen Mainstream-Medien ausgesetzt. Doch bisher getraute sich kein Richter die indische Antiglobalisierungs-Ikone zu verurteilen.

Man könnte hier unendlich fortsetzen, vor allem bei den namenlosen Opfern des indischen Staates, die nicht die Gust der Öffentlichkeit genießen. Mir ging es darum, den Kontext der Kampagne gegen Saibaba darzustellen. Es wusste, dass er hochgefährdet war, denn wie Arundhati Roy sagte, wer er einer der entscheidenden Personen, den Krieg der indischen Eliten gegen seine Ureinwohner bekanntzumachen und Protest zu organisieren – auch international. Doch Flucht ins Ausland war für ihn keine Option. Im Gegenteil, er versuchte sein Engagement nur noch mehr in die Öffentlichkeit zu tragen. Bei unserer letzten Zusammenkunft überlegte er bereits, wie wir unsere Projekte nach seiner eventuellen Verhaftung fortführen könnten.

Unserem Solidaritätsprojekt machten die indischen Sicherheitsdienste jedoch umgehend den Garaus. Den beteiligten Aktivisten wurde schlicht die Einreise verweigert. Auch ich darf also nach Indien nicht mehr reisen.

2014 wurde Saibaba dann nicht regulär verhaftet, sondern entführt und verschleppt. In der Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis wurde ihm adäquate medizinische Behandlung verweigert. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich so dramatisch, dass sein Leben unmittelbar bedroht schien und er für einige Monate auf Kaution freikam, schließlich aber wieder inhaftiert wurde. Anfang März 2017 wurde er nun zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er Sekretär der Revolutionary Democratic Front war (eine in New Delhi, seinem Wohnort, legale Organisation), die als Vorfeldorganisation der Naxaliten fungiert haben soll. Dazu wurden abenteuerliche Indizienbeweise konstruiert.

Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Saibabas Anwälte werden Kassation einlegen und die politische Verteidigungskampagne läuft. Jedenfalls hat sich gezeigt, dass es zwischen Bundes- und Höchstgerichten auf der einen Seite und jenen in den Teilstaaten auf der anderen Seite erhebliche Unterschiede geben kann.

Statement by Committee for the Release of Political Prisoners (CRPP)
An Appeal by Varavara Rao
Interview with Vasantha Kumari by Jyoti Punwani [Saibaba’s wife]

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