Nimmt man Sebastian Kurz sein völliges Desinteresse an den weniger privilegierten Menschen in Österreich problemlos ab, ist es bei HC Strache und seiner Ministerriege schon erstaunlich, wie ungeniert sie ihre Wähler (59 % der Arbeiter, 33 % der Menschen mit Pflichtschulabschluss, 37 % mit Lehrabschluss) verraten. Drei Bereiche stechen dabei aus heutiger Sicht besonders hervor:
Freihandel/CETA: Hatte die FPÖ im Februar 2017 noch groß plakatiert „Verbindliche Volksabstimmung zu CETA und TTIP“ und noch im November einen entsprechenden Antrag im Nationalrat eingebracht, liest man im Kurz-Strache‘schen Regierungsprogramm: „Ratifizierung und Umsetzung des am 18.10.2016 im Ministerrat und in weiterer Folge am 30.10.2016 von der Europäischen Union und Kanada beschlossenen Handelsabkommens CETA“.
Volksabstimmungen/EU: Im Wahlkampf posaunte die FPÖ-Riege laut die Stärkung der direkten Demokratie als ganz großes Anliegen hinaus und verkündete (aus zweiter Reihe) gar, dass auch die EU kein Tabus für eine Volksabstimmung (Reinhard-Eugen Bösch) sei. Für eine niedrige Hürde würde man sich einsetzen, um ein Volksbegehren bei nicht Berücksichtigung durch das Parlament zu einer bindenden Volksabstimmung zu machen (4 % der Zeichnungsberechtigten; ca. 250.000 Personen). Die ÖVP hielt dagegen und wollte eine Hürde von 10 % (ca. 640.000 Unterschriften). Resultat im Regierungsprogramm: 900.000! Da haben die FPÖ-Burschenschaftler sich ja ritterlich geschlagen!
Arbeitsmarkt: Die gemeinsame Liebe von Kurz und Strache ist es, auf Flüchtlinge hinzuhauen. Mit Ankündigungen, ihnen Handy und Geld abzunehmen, will man die Stimmung unter den „heimischen“ Globalisierungsverlierern hochhalten. Gleichzeitig plant man fleißig, ganz im Sinne der europäischen Freiheiten, den Arbeitsmarkt weiter zu öffnen, um die ÖVP-Klientel mit Billigarbeitskräften zu versorgen („regionalisierte Mangelberufsliste“).
Alle drei Bereiche haben eine gemeinsame Klammer: die Priorität des Regierungsprogramms liegt in der Förderung (und den Forderungen) der Industriellenlobby. Sebastian Kurz und seine neue ÖVP sind eine Riege eingeschworener Ideologen einer Zukunftsvision, die Österreich nur dann als überlebensfähig sieht, wenn man das Exportkapital mit neoliberalem Freihandel auf ganzer Linie bedient: über CETA/TTIP Zugang zu den transatlantischen Märkten, über die EU-Freiheiten zu den verlängerten Werkbänken und Billigarbeitskräftereservoirs im Osten und Süden. Mit ein paar, über Leistungskürzungen bei den Verlierern der Globalisierung, finanzierten Steuergeschenken strebt man dann noch danach, ein paar Plätze unter den europäischen Konkurrenten gutzumachen.
Dass die Standortsicherung mit einem zugelegten Gang in der Auslieferung Österreichs an die Gesetze der Globalisierung nur über den weiteren Abstieg der Unterschichten und unteren Mittelschichten, auf Kosten kleiner und mittlere Unternehmen am heimischen Markt und mit dem vollen Risiko des kapitalistischen Weltmarkt-Casinos geht, das nehmen die Oberschichtler in den Ministerien gerne in Kauf, aber ….
Unter den absehbaren Opfern der Kurz-Strache‘schen-Industriellenvereinsregierung gibt es eine klare Mehrheit: die Unterschicht-Wähler/innen der FPÖ (gemeinsam mit der numerisch kleineren Zahl an Flüchtlingen und Migranten/innen ohne österreichische Staatsbürgerschaft). Und das ist der wunde Punkt dieser Riege, in die es Pfeffer zu streuen gilt.
Die Basis dafür ist nicht schlecht, gerade bei dem Thema CETA. 562.000 haben erst im Januar 2017 das Volksbegehren gegen TTIP / CETA unterstützt. Über 250 „CETA/TTIP-freie Gemeinden“ gibt es in Österreich. In Umfragen spricht sich kontinuierlich eine Mehrheit gegen diese Freihandelsabkommen aus. Bestehende Strukturen gilt es mit neuem Elan zu stärken und auszubauen, zu einem „strategischen Ungehorsam“ (Lisa Mittendrein, Etienne Schneider, „Entzauberte Union“, Mandelbaum Verlag) gegen die Regierung der neoliberalen Freihandelspolitiker.
So kann die Idee einer breiten Koalition für ein demokratisches, soziales, souveränes und neutrales „selbstbestimmtes Österreich“ (www.selbstbestimmtes-österreich.at) mit Leben gefüllt werden. So kann möglichst schnell der FPÖ eine Neuauflage ihres Schicksals von Knittelfeld 2002 bereitet werden. Nur geht es diesmal darum, dass an diesem Ende ein alternatives Angebot auch an die verratenen FPÖ-Wähler/innen vorhanden ist, das sie nicht mit flüchtlingsfeindlichen Bosheiten hinters Licht führt, sondern den Finger auf die realen Probleme und Profiteure der Globalisierung richtet und einen Vision jenseits einer Neuauflage der alten SPÖ-Koalitionsvarianten zu bieten hat.
Wien 4. Januar 2018