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Schwarzblau langsam zersetzen – chancenreicher Widerstand gegen einzelne Angriffe

Eine Interpretation des österreichischen sozioökonomischen Regierungsprogramms und strategische Schlussfolgerungen für eine demokratisch-soziale Opposition


8. Januar 2018
von Wilhelm Langthaler

Ein Merkmal des Regierungsprogramms sind die neoliberal-populistischen Phrasen, die „Entlastungen“ versprechen ohne jedoch den zugehörigen Leistungsabbau anzukündigen. Es wird schlicht keine Gegenrechnung angestellt. Das getrauten sie sich offensichtlich nicht. Das muss dann wohl im Laufe der Regierungsperiode kommen und bietet die Möglichkeit auf Widerstand. Hartz IV steht bereits nach zwei Wochen in Frage. Dafür wird ausgiebig der chauvinistische Ton gegen Ausländer und Muslime angestimmt, die bei uns schmarotzen wollten und uns gleichzeitig bedrohten.


Senkung der Staatsquote

Das ist ein altes neoliberales Schlachtross – die Abgabenquote als angebliches Maß der Belastung der Bürger. Diese soll von 43 auf 40% gesenkt werden, was ungefähr 14 Mrd. Euro oder rd. einem Viertel des Budgets entspricht – also ein gewaltiger Wert.

Zuerst sollen natürlich die Unternehmer profitieren. Senkung der Körperschaftsteuer (ohne Angabe eines Wertes) und Reduktion der Umsatzsteuer im Tourismus von 13 auf 10%. „Senkung der Lohnnebenkosten ohne Leistungsreduktion“ um 500 Mio. bei der Unfallversicherung (AUVA) – was ohne Einschränkung der Dienste schlicht unmöglich ist.

Der Mittelstand soll für jedes Kind eine Steuerreduktion von 1500 geschenkt bekommen. Um Kritik von unten gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird hinzugesetzt: „Wenigverdiener werden durch eine Reduktion des Arbeitslosenversicherungsbeitrags entlastet“ – was auch im günstigsten Fall nur einen Bruchteil der 1500 ausmacht und zudem natürlich den Druck auf den Arbeitslosenfonds als Ganzes erhöht.

Kernstück des Liberalpopulismus ist die Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer, wobei auch hier keine Zahlen angegeben werden. Die „Schuldenbremse“ darf natürlich nicht fehlen.

Harter Kern und mögliche Brennpunkte des soziopolitischen Widerstands

Die drei unmittelbaren sozialen Angriffe auf die unteren Schichten sind das Programm zur Erhöhung der Mieten vor allem im Altbaubestand, die Erhöhung des Drucks auf die unteren Segmente des Arbeitsmarktes sowie die Verlängerung der Arbeitszeit.

Dass die Deregulierung bei den Mieten von der Immobilienwirtschaft inspiriert ist und vor allem die Wiener Armut trifft, wurde bereits hier gezeigt. Da muss eine breite Abwehrfront geschaffen werden, die auch die SPÖ selbst unter Druck setzen sollte. Wie heiß das Thema ist zeigt sich am Versuch Andreas Schieders mit der Ankündigung von 25.000 neuen Gemeindebauten sich ins Amt des Wiener Bürgermeisters zu hieven.

Die Arbeitslosenversicherung soll mit der Zeit stark absinken und in Richtung Hartz IV gehen, wo auf Vermögenswerte der Bezieher zugegriffen wird. Die neue FP-Sozialministerin Hartinger-Klein ist indessen zurückgerudert und hat dafür schon Rüffel von Kurz und Blümel kassiert. Zudem gibt es noch allerlei Detailverschlechterungen. Volumensmäßig zu den großen Brocken gehört das Ende der Arbeitsmarktprogramme wie Aktion 20.000 & Beschäftigungsbonus, die sich auf etwas unter einer Milliarde belaufen. (Auch wenn sie teilweise als Lohnsubvention wie Geschenke an Unternehmen wirkten.)

Die tägliche Höchstarbeitszeit soll auf 12h, die wöchentliche auf 60h erhöht, die Ruhezeiten verkürzt werden. In Klammer wird kryptisch hinzugefügt: „bei gleichbleibendem Regelungsregime der Zuschläge“ (S.139). Das soll vermutlich suggerieren, dass es keine Lohnkürzungen bedeutet. Doch welchen anderen Sinn hätte es sonst? Die Ausnahmeregelungen gibt es bereits jetzt. Hinzu kommt die Abschaffung „sinnloser Regulierungen“ – was immer zu Ungunsten der Beschäftigten ausgeht.

Man könnte noch viele andere Punkte hinzufügen. Jedenfalls ist hier Widerstand nicht nur möglich, sondern hat auch gute Aussichten auf Erfolg. Insbesondere die FPÖ hat Probleme damit, als Exekutor der VP-Eliten in völliger Verkehrung ihrer Wahlversprechen zu erscheinen.

Sozialversicherungssystem – verschlucken am zu großen Brocken?

Zum Standardprogramm jedes neoliberalen Projekts gehören Kürzungen bei den Pensionen und der Gesundheitsversorgung, denn sie machen einen wesentlichen Teil der Sozialausgaben aus. Die Wirtschaftsliberalen haben wohl erkannt, dass die föderale und selbstverwaltete Struktur des österreichischen Sozialversicherungssystems das grundlegende Hindernis für ein hartes Durchgreifen darstellt. Es ist Teil des Klassenkompromisses der Sozialpartnerschaft, auch Neokorporatismus genannt. Zwar ist dessen Kern die institutionalisierte Arbeiterbewegung geführt von der SP und dem ÖGB, doch gehört in einem gewissen Sinn auch das Bündesystem der ÖVP dazu. Einbindung kostet eben und das will man sich immer weniger leisten. [Bild: Sinken der Lohnquote als Maß für die Unterspülung des Gesellschaftsmodells.] Darum ist Zentralisierung, der Abbau der Selbstverwaltung und auch die föderale Struktur auf der Abschlussliste – nur geht es da auch um entscheidende Teile der ÖVP-Klientel, die ihren Charakter als Volkspartei ausmachten.

Kurz hat gegen die Spitzen dieses Systems, repräsentiert von den westlichen VP-Landeshauptleuten, einen großen Wahlsieg errungen. Eigentlich müsste man annehmen, dass er dieses Momentum nun gegen sie verwenden wird. Doch scheinbar ist die Angst auf einen Gegenschlag schon jetzt zu groß. Zwar wird die Reduktion der Anzahl der Sozialversicherungsträger auf fünf proklamiert. Doch sonst versteckt man sich hinter der Phrase der Einsparungen in der Verwaltung –das liegt irgendwo zwischen Propaganda (denn Verwaltung kostet immer einen gewissen Anteil) und Täuschung hinsichtlich Leistungskürzungen. Solche trauen sie sich nur versteckt in den Mund zu nehmen, während die Beibehaltung des Niveaus behauptet wird. Auch was die Struktur anbetrifft, mussten sie das Bisherige festschreiben: „länderweise Budgetautonomie“, „partizipative Selbstverwaltung, die Wahrung der länderspezifischen Versorgungsinteressen sowie die speziellen Anforderungen der unterschiedlichen Berufsgruppen“. (S.114) Es ist also vom Aufbau her nur die Vorbereitung eines Angriffes, so wie man bei den Privatisierungen in den 90er Jahren gerne zuerst die Umwandlung in Aktiengesellschaften vornahm und mit dem Abverkauf wartete, bis es politisch opportun war.

Gefahr steckt in Begriffen wie „Leistungsharmonisierung“, denn das heißt im Allgemeinen nach unten, oder „Kostendeckelung“, doch konkret wird das wird noch aufzutischen sein.

Angriffe sind dennoch enthalten. Der größte und manifesteste ist die schon genannte halbe Milliarde bei der AUVA. Den Arbeitslosenversicherten sollen nur mehr zwei Jahre für die Pension angerechnet werden. Die ganz besonders schlimmen „Sonderpensionsprivilegien im staatlichen und halbstaatlichen Bereich“ (S.108), genannt werden mehrfach die ÖBB und die Post, die seit den 1980er die Lieblingsfeinde der ÖVP sind. („Privilegien“ allein tun es nicht mehr, nein, es sind Privilegien zur Potenz, also „Sonderprivilegien“.) Und natürlich darf die steuerliche Begünstigung von privaten Pensionen nicht fehlen, sowie die Erzeugung von Druck durch private Gesundheitsanbieter, die den Rahm abschöpfen und privatisieren sollen, so dass dann zu wenig bleibt und „gespart“ werden muss.

Auch hier müssen wir entgegenhalten, doch es sei eingeräumt, dass das schon ziemlich kleine Brötchen sind, die da gebacken werden. Oder anders gesagt, die Angst vor Widerstand und das Schwächegefühl muss schon sehr groß sein. Die meisten sozialdemokratisch geführten Regierung im neoliberalen Europa waren „effizientere“ Diener ihrer Herren.

ÖBB

Typisch für den Geist des Programms ist die indirekte aber doch substanzielle Attacke auf die ÖBB, die eines der verbleibenden Herzstücke staatlicher Dienstleistung sind. Zwar gibt es ein allgemeines Bekenntnis zum schienengebundenen öffentlichen Verkehr. Doch es wird mehrfach auf die EU-Liberalisierungsmaßnahmen für mehr Wettbewerb hingewiesen, teils als vorgeschriebene Notwendigkeit, teils als Mittel zur Effizienzsteigerung. Das Infrastrukturprogramm wird nicht frontal attackiert, aber soll „effizienter“ (blabla, das Wort kommt fast 150mal vor) und „budgetschonender“ umgesetzt werden, um den „Verschuldungsanstieg abzuflachen“. Klar, wohin der Hase läuft. Privaten Eisenbahngesellschaften muss „diskriminierungsfreier Zugang zum Schienennetz“ gewährt werden. Die zugehörige Keule wird gleich mitgeschwungen: „Einführung wettbewerblicher Vergabeverfahren für gemeinwirtschaftliche Personenverkehrsleistungen unter Berücksichtigung der optionalen Möglichkeit für Direktvergaben bei der Erbringung von regionalen und kommunalen Verkehrsdienstleistungen“. Vulgo: wir werden den Versorgungsauftrag an Billigbieter vergeben, die die Arbeitskräfte bis aufs Letzte ausquetschen. Was nicht fehlen darf: Liberalisierung des Busverkehrs (S.153) als Eldorado von McJob im Personentransport – so viel ist also das Bekenntnis zur Schiene wert.

Wie das Mietenkapitel zeigt auch jenes zum öffentlichen Verkehr einerseits die Hinterhältigkeit, andererseits aber die empfundene Notwendigkeit des Täuschen-und-Tarnens.

Langsam zersetzen, statt identitärer Linksliberalismus

Es gäbe noch viel über das unmittelbar Sozioökonomische hinaus zu sagen, wie beispielsweise die Schul- und Bildungspolitik (Studiengebühren), die chauvinistische Identitätspolitik (hier analysiert), das Problem des Föderalismus und des Finanzausgleichs, die Versprechen auf direkte Demokratie und das Verbot über die EU abzustimmen, die glatte Zustimmung zu Ceta und den Freihandel, die Militarisierung im EU-Rahmen (SSZ), Repression und Überwachung. Aus dem Kreis des Personenkomitees „Selbstbestimmtes Österreich – demokratisch – sozial – souverän – neutral“ wurden da schon einige Beiträge geleistet und es sind zahlreiche weitere zu erwarten.

Doch hier soll es um grundlegende politische Idee gehen, die entscheidende Prämisse, wie Widerstand erfolgreich entwickelt werden kann. (Ich habe versucht das in fünf Thesen zu fassen.): Es hat keinen Sinn die Regierung vor allem als rechtsradikal und protofaschistisch anzugreifen (traditioneller Topos Burschenschafter). Denn sie steht sozioökonomisch und auch politisch in starker Kontinuität zu Rotschwarz, vielleicht mit Ausnahme des identitär-chauvinistischen Narrativs. (Doch dieses wurde auch durch Teile der SPÖ, von Pilz auch selbst der Grünen bedient – siehe das transversale Feindbild Islam.) Das neoliberale Regime ändert sich im Wesentlichen nicht. Es könnte sogar sein, dass sie mit ihren ideologischen antisozialpartnerschaftlichen Momenten Widerstand provoziert. Negativ gewendet: Es steht zu befürchten, dass der ganze SP- und Gewerkschaftsapparat auf die fortgesetzte De-facto-Einbindung spekuliert und Ruhe bewahrt.

Zudem kommt noch hinzu, dass die Regierung über eine satte parlamentarische Mehrheit und damit in der Bevölkerung auch über Legitimität verfügt. Die kann man ihr mittels eines „Antifa-Sturmangriffs“ auch nicht nehmen. Der wird von der Bevölkerung nicht nur nicht ernstgenommen, sondern hilft der Regierung sogar sich zu legitimieren. (Man erinnere sich an die Boykottmaßnahmen gegen Schwarzblau I, die wesentlich zur Stabilisierung einer wankenden Regierung beigetragen haben.)

Vielmehr geht es darum, den realen sozialen Betrug gegenüber den diffusen Erwartungen, die in die identitäre Erzählung eingeflochten sind, in zäher politisch-sozialer Arbeit nachzuweisen, insbesondere gegenüber der städtisch-plebejischen Basis der FPÖ, aber nicht nur. Eine Regierung des kleinen Mannes? Mietenwucher, Lohnkürzungen, Sozialraub schreien wir zurück. Und in der Folge kommt die Frage des Budgets, die durch den liberalen Populismus ideologisch verbrämt ist. Doch den Steuersenkungen folgt der Sozialabbau auf den Fuß. Irgendwann kommt dann wieder der Knittelfeld-Moment (Spaltung der FP 2002 in einen bürgerlichen und einen sozialpopulistischen Flügel).

In der Zwischenzeit sollte es uns gelingen, eine politisch-soziale Alternative gegen das neoliberale Regime in Stellung zu bringen. Der rotschwarze Liberalismus ist nicht besser und wir wollen nicht zu ihm zurück. Zudem ist er ja der Hauptproduzent des Rechtspopulismus. Diese symbiotische Spirale zwischen Zentrumsliberalismus und Rechtspopulismus muss durchbrochen werden. Dagegen setzen wir einen demokratisch-sozialen Volkssouveränismus, der das neoliberale Diktat der EU sprengt.

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