Die EU ist als Eliten-Union konfiguriert. Sie ist regional fraktioniert, als europäischer Verwaltungs-Föderalismus aufgebaut, hat aber eindeutig eine Zentrum-Peripherie-Struktur. Das erfordert, dass die „nationalen“ politischen Klassen das politische (Verwaltungs-) Handeln der jeweils anderen als rechtens anerkennen. Aber ich habe das Wort „national“ in Anführungszeichen gesetzt. Denn die meisten dieser regionalen Gruppen haben ihren nationalen, d. h. selbstbestimmten Charakter schon verloren. Aber da gibt es eine imperiale Vormacht, die gerade deswegen noch Züge ihres nationalen Charakters und ihrer nationalen Interessen wahren kann, die BRD. Das gibt ihrem Agieren auch mehr Bedeutung als dem anderer Staaten. Andere, wie Belgien, sind so belanglos, dass ihr Handeln nur mehr wenig zählt. Sie sind nur mehr „Bundesländer“.
Und jetzt tritt plötzlich diese ganze Dialektik ans Licht. Spanien, einer der „größeren“ Teile der EU, pocht unversehens auf seine nationalen Rechte als postfranquistischer Staat. In dieser Eigenschaft stellt es Forderungen an die zentrale national-imperiale Macht Deutschland. Und die Berliner Republik glaubt, im Interesse ihrer Dominanz-Stellung, dem nachgeben zu sollen.
Die „nationale Frage“ stellt sich plötzlich wieder, wie Ende 19. Jahrhundert. Eine kleine Nation, Katalonien bzw. dessen nach den sonst üblichen Kriterien (Wahlen) legitimierten Sprecher, leisten dem Klein-Imperium Spanien Widerstand. Das Europäische Konzert, jetzt in der staatlichen Form der EU mit Sitz Brüssel und Berlin, entscheidet ohne die Betroffenen, die Katalanen. 1878 berieten die europäischen Großmächte Deutsches Reich, Großbritannien, Frankreich und Russland – der Habsburger Staat war auch dabei – auf dem Berliner Kongress und entschieden über Bulgarien, Rumänien, Serbien und Griechenland, ohne dass diese kleinen Nationen zum Kongress auch nur zugelassen worden wären. Nun entscheiden Deutschland, Frankreich, die Brüsseler Kommission und Spanien über Katalonien und vielleicht auch bald über Schottland nach ihrem Gutdünken.
Die bürgerlichen Sprecher der Unabhängigkeits-Bewegung aber glauben noch immer an die EU als Schiedsrichter. Bester Beweis dieser Naivität ist ja doch wohl die Reise Puigdemonts durch die BRD. Dass der spanische Geheimdienst ihr Etzes geben würde, war doch wohl vorherzusehen. Und dass die konservativ-sozialdemokratische Regierung dem nachkommen würde, auch. Wird diese Gruppe von „Unabhängigkeitsbefürwortern“ – unabhängig von wem? Abhängig von wem? – daraus irgendwelche Lehren ziehen?