1. Neue Periode
Der Sieg des Nein beim Verfassungsreferendum am 4. Dezember stellt einen Scheideweg dar: mit der Hegemoniekrise der neoliberalen Eliten wurde die „Zweite Republik“ begraben, die im Zeichen der Unterordnung unter die deutsch-EUROpäischen Mächte gestanden war. Italien, schwer gezeichnet von der großen Wirtschaftskrise, ist in eine Periode großer politischer, institutioneller und sozialer Instabilität eingetreten.
2. Die Gründe des Sieges
Diese Diagnose wurde durch das Erdbeben bei den Wahlen vom 4. März 2018 bestätigt, die eine schwere Niederlage des herrschenden Blocks und den Sieg der “Populisten” der Fünf Sterne Bewegung (Movimento 5 Stelle, M5S) und der Lega von Salvini brachten. Vielfältige und widersprüchliche Faktoren haben zum Sieg dieser beiden Kräfte geführt. Es waren insbesondere drei: zum einen der Ruf nach einem Ende der harten Austeritätspolitik, zum anderen die Forderung, dass Staat sich der Sicherheit und dem Schutz seiner Bürger annehme und etwas gegen den wachsenden Zerfall des sozialen Zusammenhalts unternehme; zuletzt der Wunsch nach einem Ende der erniedrigenden Unterwerfung der Nation.
3. Das Dilemma der Regierung
Die Regierung M5S-Lega, die trotz der verzweifelten Versuche der Elite sie zu verhindern gebildet wurde, kann den Druck von unten nicht ignorieren, der das einzige ist, auf das sie sich stützen kann. Die neue Regierung ist sich bewusst, dass dieser Druck sie geradewegs in die Konfrontation mit der europäischen Oligarchie und der italienischen Großbourgeoisie führt. Die Regierung wird also kein leichtes Leben haben. Sie wird gezwungen sein in den aufgewühlten Gewässern zwischen Skylla und Charybdis zu navigieren und befindet sich bereits jetzt in dem Dilemma, entweder auf das Volk zuzugehen oder von der Rache des Euro-Blocks zerstört zu werden, der, obgleich von der Regierungsgewalt verdrängt, noch alle anderen Registern in den Händen hält.
4. Auf welcher Seite stehen?
Sollte die Regierung das Mandat, das ihr von den Wählern gegeben wurde, brechen und scheitern, wäre das für die arbeitende Bevölkerung eine Katastrophe, nicht nur in Italien. Die faktischen Mächte arbeiten dementsprechend intensiv daran, die „populistische Regierung“ zu Fall zu bringen, damit das Dogma des T.I.N.A bestätigt wird, dass es zu ihrer Herrschaft keine Alternative gäbe. In diesem Kontext ist das Scheitern der Regierung nicht wünschenswert, im Gegenteil man muss auf ihrer Seite stehen, wo auch immer sie sich für den Kampf zur Befreiung des Landes aus dem Kerker der Eurokratie, für ein Ende der Austerität und einen Neubeginn des Landes einsetzt. Das ist etwa der Fall beim „Decreto Dignita“ (Dekret für die Würde), das trotz seiner klaren Beschränkungen immerhin doch eine Kehrtwendung andeutet, weg von der brutalen Präkarisierung der Arbeit, die seit den 1990er Jahren betrieben wird.
5. Im Lager der Populisten
In diesem konkreten Kontext muss man im „populistischen Lager“ stehen. Außerhalb dieses Lagers gibt es nur jenes des herrschenden Blocks. Aber man kann auf die eine oder andere Weise in diesem Lager sein. Es wäre ein fataler Fehler eine Position der Nachsichtigkeit und Gefälligkeit gegenüber der M5S-Lega Regierung einzunehmen. Sie muss gezwungen werden, die richtigen Maßnahmen, die sie versprochen hat, umzusetzen, und es muss ihr entgegengetreten werden wo sie eine schwankende und nachgiebige Linie gegenüber den herrschenden Eliten einnimmt.
6. Der Prüfstand
Es stehen unterschiedliche und verkettete Fragen auf der Tagesordnung, aber zwischen ihnen besteht eine Hierarchie, eine offensichtliche Prioritätensetzung. Die Eliten versuchen in einem Spiel mit Matteo Salvini die Migrationsfrage zum wichtigsten Punkt ihrer Konfrontation zu stilisieren. Das ist ein Trick, der nicht lange funktionieren wird. Tatsächlich werden sich die Essenz und die Zukunft der Regierung beim Thema der wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Maßnahmen entscheiden. Im September muss die Regierung ihre ökonomische und finanzpolitische Strategie (DEF, Documento di Economia e Finanza) präsentieren, die die makroökonomische Politik darlegt, und nachfolgend, bis Mitte Oktober, dem Parlament das Budgetgesetz vorlegen.
7. Drei Wege
Es gibt in diesem konkreten Kontext drei mögliche Wege. Der erste und am wenigsten wünschenswerte ist, dass die Regierung beschießt, die Budgetvorgaben der Europäischen Union zu respektieren, wie es bisher alle Vorgängerregierungen getan haben. In diesem Fall kann die patriotische Linke sich nur in Opposition zur Regierung M5S-Lega positionieren, wenngleich sie jegliches Naheverhältnis mit den Eliten und ihren Anhängseln von sich weisen wird. Wenn die Regierung jedoch, wie wir hoffen und wie es im Interesse des arbeitenden Volkes ist, die EU herausfordert und ihren Vorgaben nicht gehorcht, wäre das ein Zeichen des Kurswechsels, des Kampfes gegen die faktischen Mächte, ein Kampf dessen Ausgang an diesem Punkt von der Standfestigkeit der Regierung und ihrer Fähigkeit, Widerstand gegen die sichere Gegenoffensive zu leisten abhängen wird. Und um Widerstand leisten zu können, wird sie sich notwendigerweise auf die Mobilisierung des Volkes orientieren müssen. Es gibt jedoch noch eine dritte Möglichkeit, nämlich dass die EU der „populistischen Regierung“ einen engen Rahmen von Flexibilität in der Budgetpolitik zugesteht, was einen zeitweiligen Waffenstillstand bedeuten würde, ein Spielen auf Zeit. Das wird aber nicht lange dauern. Die Stunde der Wahrheit wäre nur verschoben.
8. Turbulenzen in Sicht
Wie auch immer das Ende des langen Zyklus der neoliberalen Globalisierung verlaufen wird, das auch durch den sogenannten “Zollkrieg” belegt wird, es wird nicht schmerzlos sein. Wir werden soziale Aufwühlungen erleben, enorme Turbulenzen, neue politische und institutionelle Erdbeben, Brüche in den bestehenden Blöcken. In dieser Unruhe, nicht in einem entspannten Übergang, kann eine patriotische Linke, oder anders gesagt ein „revolutionärer Populismus“ wachsen.
9. Patriotische Linke und C.L.N.
Unsere Aufgabe wird es sein, in einer unkontrollierbaren Dynamik, die sich aus dem Zusammenstoß mit der deutsch-europäischen Oligarchie ergeben kann (und die den Austritt aus der EU auf die Tagesordnung setzen und das Land sowie die gesamte Union in eine explosive Situation bringen würde), zum Aufbau einer patriotischen Linken beizutragen, die sich als eigener Block im „populistischen Lager“ positioniert. Es gilt also unmittelbar die politischen und sozialen Kräfte, die Gruppen und einzelnen Intellektuellen zu finden und zusammenzuführen, die die Grundsätze unserer Analyse teilen, die bereit sind, sich in das Gemenge zu werfen und standhaft zu sein, um den demokratischen Kampf für die nationale Souveränität zu führen. Ein Kampf, der nur gewonnen werden kann, wenn M5S und Lega begreifen werden, dass der institutionelle Rahmen keinen Ausweg bringt und massiv die Menschen mobilisieren. In diesem konkreten Kontext könnte die Frage nach einem neuen Komitee der Nationalen Befreiung (C.L.N.) wieder auf die Tagesordnung rücken. Im Feuer dieser Auseinandersetzung, innerhalb dieses Lagers, kann und muss die patriotischen Linke die M5S und die Lega herausfordern und um die Hegemonie kämpfen, ihnen eine Weltanschauung und ein Projekt für das Land entgegenhalten, welches die Regierungsparteien in der Tat nicht haben und bieten können.
10. Die kommenden Monate
Was sind angesichts dieser Einschätzungen nun die Aufgaben für die kommenden Monate? Wir müssen vor allem die Regierung unter Druck setzen, einige entscheidende unmittelbare Maßnahmen zugunsten der arbeitenden Bevölkerung zu setzen. Verschiedene finden sich schon im „Regierungsvertrag“: Verteidigung der Umwelt, gerechte Veränderung des Pensionsgesetzes (Legge Fornero), Anhebung der Mindestpensionen, Grundeinkommen, Mindestlohn, Plan für öffentliche Investitionen gestützt auf ein Bankensystem unter nationaler Kontrolle, Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, Gegenmaßnahmen gegen die Präkarisierung der Arbeit, Rücknahme des Schulgesetzes (Legge della Buona Scuola). Dagegen müssen Maßnahmen liberalen Inhaltes wie die Flat Tax (bei Betonung der Notwendigkeit einer gerechten Steuerreform) sowie auch allfällige autoritäre Sicherheitsgesetze (bei Betonung der legitimen Forderung des Schutzes der Bürger vor der kleinen und großen Kriminalität) zurückgewiesen werden. Andere Maßnahmen wie das Recht auf Wohnraum, die sich nicht im Regierungsvertrag befinden, müssen auf die Tagesordnung gesetzt werden. Auch steht das weitere Schicksal einer Unzahl kleiner und mittlerer Betriebe auf dem Spiel, von denen nicht nur viele Arbeitsplätze abhängen, sondern die Zukunft des industriellen und landwirtschaftlichen Netzes im Land. Man muss die Forderungen der Arbeiter dieser Betriebe an die Regierung unterstützen, wenn nötig sie nationalisieren (das ist etwa der Fall für Alitalia, die Stahlwerke von Taranto, Terni und Piombino). Im Hinblick auf die zu erwartenden Kämpfen im Herbst geht es um das Anstoßen der breitest möglichen Mobilisierung des Volkes, der Arbeiter und der Jugend, um den Versuch diese in Komitees zu strukturieren und sie in einem nationalen Netz der Volksorganisationen zu vereinen, des allen bestehenden sozialen, gewerkschaftlichen und Umweltgruppen offen steht, die heute noch über die verschiedenen Teile des Landes verstreut sind.
(Übersetzung aus dem Italienischen, Gernot Bodner)