Endlich hat sich der Wind gedreht: angesichts der Katastrophe von Genua hat die Regierung angekündigt, Autostrade per l’Italia die Konzession zu entziehen. Diese Entscheidung entspricht nicht nur einem gesunden Willen nach Gerechtigkeit, sondern setzte das Ende der Privatisierungen und Liberalisierungen des letzten Vierteljahrhunderts auf die Tagesordnung. (…).
Wer immer über die letzten Jahr mit einer gewissen Regelmäßigkeit die italienischen Autobahnen genutzt hat, weiß zwei Dinge ganz genau: erstens dass die Wartung sich ständig verschlechtert hat und zweiten dass die Maut von Jahr zu Jahr höher geworden ist, und zwar deutlich über der Inflationsrate
Die „Herren der Mautstellen“ – mit Benetton in der ersten Reihe – haben eine goldene Gans erstanden. Enorme Profite ohne Risiko, alles garantiert durch skandalöse Abkommen, die das Ergebnis des Gesetzesdekrets 262 vom 2. Oktober 2006 sind, unter dem damaligen Ministerpräsidenten Romano Prodi, mit Tommaso Padoa Schioppa als Wirtschaftsminister, Antonio Di Pietro als Infrastrukturminister und Alessandro Bianchi (Unabhängiger auf der Liste der Partei der italienischen Kommunisten, Pdci!) als Verkehrsminister. Das Lager der linken Mitte in seiner ganzen Pracht. Rifondazione Comunista, die heute eine “Bilanz der Privatisierungen” fordern, sollten vielleicht auch einmal eine Bilanz der eigenen Geschichte machen.
Die einstige staatliche Autobahnverwaltung Società Autostrade (Teil des IRI, Istituto per la Ricostruzione Industriale) wurde bereits 1999 unter der Regierung D’Alema privatisiert, während das Abkommen mit Autostrade per l’Italia der Benetton im Jahr 2007 unterzeichnet wurde, als das Werk der zweiten Regierung Prodi war.
Der Buisness Insider vom 7. Februar, sechs Monate vor dem Drama von Genua, schrieb bereits:
“Die Konzessionen über die Autobahnen gelten auf lange Frist und die Erhöhung der Maut kommt pünktlich zum 1. Januar jedes Jahres. Das sind die zwei eisernen Regeln im Kosmos der Autobahnverwaltung. Ein Universum aus wenigen Auserwählen, 25 Gesellschaften von denen die Löwenanteile bei Benetton, Gavio und einigen lokalen Gruppen liegen, die goldene Geschäfte praktisch ohne Unternehmensrisiko machen. Eine Rendite aus der sicheren Position von Vereinbarungen unter der Hand, fast immer ohne ernsthafte öffentliche Ausschreibungen, mit versprochene Investitionen, die nur zu einem kleinen Teil durchgeführt werden; Wertsteigerungen die eine jährliche Rendite jenseits der 8 % versprechen, Arbeiten zur „Verbesserung des Service“, bei denen die Masse der Einkünfte bei den Konzessionären landet, während die Kosten auf die Nutzer abgewälzt werden. Also, wer nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll, dem sei geraten: besorgen Sie sich eine Autobahnkonzession und werden Sie reich.“
Auch im Corriere della Sera online werden nun einige Dinge zugegeben. 2017 hatte Autostrade per l’Italia (zu 100% im Eigentum von Atlantia), die 2964 der insgesamt 6668 km des Autobahnnetzes kontrollieren, Einnahmen von 3,9 Milliarden Euro, mit einer Umsatzrendite von 2,4 Milliarden und einem Gewinn von 968 Millionen Euro. Zu beachten ist, dass die Kosten der Konzession, die die Gesellschaft an den Staat abführt, bescheidenen 2,4 % der Einnahmen ohne Mehrwertsteuer entsprechen, also einer lächerlichen Summe von 73 Millionen Euro im Jahr!
Während die Gewinne Atlantia bereichern – die von Benetton über ein verschachteltes System von Firmen kontrolliert wird, das zu der Luxemburger Finanzgesellschaft Sintonia (wie immer zeigen die Kapitalisten hohe Bereitschaft ihre Steuern im Land zu begleichen!) führt, die wieder zu 100 % im Besitz der Familienholding Edizione Srl (der auch 50,1 % der Autogrill gehören) ist – machten die operativen Investitionen in die Infrastruktur lächerliche 197 Millionen im ersten Semester 2018 aus, die sich zusätzlich im Vergleich zur selben Periode 2017 (232 Millionen) verringert haben.
Diese Zahlen zeigen, dass es sich in Genua um ein angekündigtes Massaker gehandelt hat. Die Problematik der „Morandi Brücke“ war seit langer Zeit bekannt. Und wenn die entsprechenden Kontrollen gemacht wurden, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder sie wurden schlecht gemacht oder man hat bewusst ihr Ergebnis ignoriert. In dem einen oder anderen Fall ist die Verantwortung von Autostrade per l’Italia außer Diskussion.
Als die Regierung angekündigt hat, Benetton die Konzession zu entziehen, schrie die Mainstream-Presse, wie etwa die Huffington Post, sogleich: „Schauprozess“. (…) Aber da in diesem Fall der Ruf nach dem Rechtsstaat doch einen ziemlichen Misston hat und 90 % der Italiener sicher Premierminister Conte zustimmen werden, wenn er sagt, dass man hier „nicht den Zeitrahmen der Gerichte abwarten könne“, dann kommt das andere Argument: die milliardenschweren Strafklauseln, die schlagend werden.
Es ist immer die gleiche Geschichte: Man kann nichts machen, alles muss so bleiben wie es ist. (…). Man möchte den Benetton die Konzession entziehen? Geht nicht, denn das würde laut Vertrag 20 Milliarden an Sanktionen nach sich ziehen! Das ist nun das große Argument der Regime-Presse.
Es ist schnell erklärt, wo die Zahl der 20 Milliarden herkommt. Der Artikel 9 der Konzession an Autostrade per l’Italia sieht vor, dass im Fall des Entzuges dieser, der Staat (über die staatliche Infastrukturgesellschaft Anas, Azienda Nazionale Autonoma delle Strade) den vormaligen Konzessionär auszubezahlen hat, nämlich in einer Höhe „die dem aktuellen Nettowert der Gewinne …bis zum Auslaufen der Konzession entspricht“. Nimmt man nun den Gewinn des letzten Jahres, der etwas weniger als eine Milliarde Euro war, dann kommt man bei einer noch verbleibenden Dauer den Konzession von 24 Jahren bis 2042 auf eine Zahl um die 20 Milliarden Euro.
Es ist unbeschreiblich, dass die Zeitungskommentatoren dazu nichts zu sagen haben: für ein Massaker fordert man 20 Milliarden an Kompensationen! Es hat nicht nur Di Maio recht, wenn er sagt, dass „bei 40 Toten keine Vertragssanktionen zu zahlen sind“, sondern man müsste all jene anklagen, die diese Verträge unterzeichnet und politisch gedeckt haben, angesichts der Schande der Garantien, die man damals den Konzessionären zugestanden hat! Eine Schande mit Namen Prodi und Mittelinksregierung.
Wir werden sehen, ob die eifrige italienische Justiz über diese Schweinerei eine Akte anlegen wird. Die Benetton haben auf jeden Fall keinerlei Schamgefühl. Sie haben, während man noch in den Trümmern gräbt, sofort angekündigt, dass sie im Fall des Entzuges „die Anerkennung des noch verbleibenden Wertes der Konzession“ einfordern werden. (…).
Dem Autor fehlt sowohl die Kompetenz, in das Wirrwarr der juristischen Auslegungen einzusteigen. Das Abkommen hat zahlreiche Anhänge und noch unveröffentlichte Teile – eine weitere Schande, die wir in diesen Stunden aufgedeckt haben! – noch hat er allzu großes Vertrauen in die Justiz und ihre Zeiträume.
Wir werden sehen, was die Regierungsexperten dazu sagen werden. Es gibt jedoch einen einfachen und raschen Ausweg: Autostrade per l’Italia zu nationalisieren, besser noch gleich die Gesamtheit der Gesellschaften, die das Autobahnnetz verwalten, zu nationalisieren. In diesem Fall wäre die gerichtliche Auseinandersetzung mit einem mal geschlossen. Die Abkommen könnten sogar bestehen bleiben, da an diesem Punkt beide Vertragspartner öffentliche Institutionen wären – mit Gruß an die unsäglichen Benetton und ihre Pönale, die sie so zurückhaltend einfordern.
Dies würde die Voraussetzungen für einen großangelegten Investitionsplan in die Verkehrsinfrastruktur des Landes schaffen, um so endlich die Sicherheit an die erste Stelle zu rücken, was die Privaten (seien es Benetton oder andere) sicher nie machen.
Übersetzung aus dem Italienischen von Gernot Bodner