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Und wenn Italien nicht kapituliert?

Eine Chance gegen das neoliberale Regime tut sich auf


22. Oktober 2018
von Wilhelm Langthaler

Die EU scheint mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. 2,4% Budgetdefizit sei völlig inakzeptabel, ein „beispielloser Bruch“ der Vereinbarungen, schreibt der Kommissar Moscovici, obwohl es noch unter der Maastricht-Grenze von 3% liegt.


Doch die italienische Regierung hat das erste Ultimatum verstreichen lassen und hält vorerst an ihrem Kurs fest – auch wenn sie Gesprächsbereitschaft signalisiert. Eine griechische Kapitulation scheint unwahrscheinlich, zumal die Regierung auf eine Welle der Zustimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung schwimmt.

Diese Mehrheit erwartet sich ultimativ ein Ende der verheerenden Austerität. Bereits jetzt haben die Regierungsparteien ihre Versprechungen arg zusammengestrichen, doch mehr geht kaum mehr. Das Grundeinkommen (Fünfsterne), die Rücknahme der Pensionsverschlechterungen (Fünfsterne), sowie Steuerkürzungen (Lega) – all das ist unverhandelbar, um die Unterstützung im Volk zu erhalten. Vielleicht ließe sich das eine oder andere Promillchen noch herausquetschen, aber die Substanz muss bleiben: Schluss mit dem Armutsdiktat der ultrakapitalistischen EU-Herren!

Und da ist auch viel Symbolik dabei zur alles entscheidenden Frage, nämlich wer das Sagen hat.

Darum kann auch die EU auf der symbolischen Ebene nicht zurückweichen. Ein paar Milliarden auf oder ab spielten an sich auch von ihrer Seite keine Rolle, aber der Austeritätszug muss weiterfahren und zu ihrer Herrschaft darf es keine Alternative geben. Denn sonst könnte ja jeder daherkommen und die Regeln aufschnüren.

Dabei ist die italienische Kehrtwende grundvernünftig und tatsächlich die einzige Möglichkeit aus der Krise zu kommen. Denn die Exportschiene ist durch die deutsche Industrie blockiert, die mit Lohndumping alles plattmacht. Die privaten Haushalte sind am Ende und können nicht zusätzlich nachfragen. Die Unternehmen können ihrerseits nicht investieren, wenn keine Nachfrage erwartet werden kann. So bleibt nur der Staat. Kürzt auch der weiterhin die Ausgaben, wie die EU will, dauert die Rezession nochmals ein Jahrzehnt an. Und die inflationäre Gefahr? Eine Schimäre, zumindest solange die bestehenden Kapazitäten nicht ausgelastet sind.

Doch was ist nun mit dem Spread? Ab 4 Prozentpunkten Zinsabstand zu deutschen Bundesanleihen gilt er als unhaltbar für Italien. In den letzten Tagen stieg die Fieberkurve bis auf 350 Basispunkte, also nicht mehr weit zu den magischen 400.

Rein wirtschaftlich gesehen wäre auch ein solcher Zinssatz über eine gewisse Periode kein Problem. Zudem könnte der Souverän auf verschiedene Art intervenieren, wie man an Draghis „whatever it takes“ gesehen hat. Das das Grundproblem ist, dass der Souverän nicht das italienische Volk oder dessen Regierung ist, sondern eine fremde Macht, nämlich die feindliche EU-Finanzelite in Form der EZB.

Sie hat die „nukleare Option“ in der Hand, nämlich den Spread hinaufschnalzen zu lassen und die Zahlungsunfähigkeit Italiens in Fremdwährung (Euro) zu bewirken – so wie sie es gegenüber Griechenland 2015 schon veranstaltete. (Grundsätzlich kann ein Land in seiner eigenen Währung nicht bankrottgehen, denn es ist per definitionem souverän Geld zu schöpfen; sondern nur hinsichtlich seiner Zahlungsverpflichtungen in Fremdwährung.)

Doch wird die EU-Oligarchie diese Massenvernichtungswaffe einsetzen und damit den Zerfall der gemeinsamen Währung riskieren? Das Problem ist, dass es keine Dosierungsmöglichkeit gibt, sondern nur Hop oder Drop. Entweder sie verteidigt Italien, was schwer vorstellbar ist, oder eben nicht. Dann preist der „Markt“ eben die Abwertung ein. Die EZB kann also das ganze supranationale Gebäude, dass seit 1986 errichtet wurde, in wenigen Tagen zum Einsturz bringen und damit die Herrschaft der neoliberalen Eliten schwer erschüttern.

Und was ist mit der anderen Seite? Ist die gelbgrüne Regierung auf einen solchen Zusammenstoß vorbereitet oder wird sie klein beigeben müssen? Ist sie fähig, in wenigen Tagen, ja über ein Wochenende eine Parallelwährung auszugeben? Hat sie Notfallpläne ausgearbeitet? Ich würde sagen jedenfalls wesentlich mehr als Tsipras und Co. Nicht umsonst gibt es einige explizite Euro-Gegner in der Regierung, wie das Lega-Schwergewicht Paolo Savona und der bekennende Marxist Alberto Bagnai, ebenfalls Lega, um nur wenige zu nennen.

Klar, beide Seiten versuchen unnachgiebig zu wirken, und die EU würde im Falle einer inhaltlichen Kapitulation der Pentalegisten wohl dabei helfen, eine solche als Kompromiss erscheinen zu lassen. Hier kann es noch zahlreiche Zwischenschritte geben und es kann auf Zeit gespielt werden. Doch in der Sache selbst, nämlich die Austerität zu beenden, kann es keinen Kompromiss geben. Einer muss tot am Feld liegenbleiben, so wie seinerzeit das griechische Volk.

Spitzt sich der Konflikt zu, kann dieser nicht anders, also die italienische Gesellschaft aufzuwühlen und zu mobilisieren. Denn die italienischen Eliten sind integraler Bestandteil der EU-Oligarchie und sie haben so einige Machtmittel in der Hand.

Nicht nur, dass mit Finanzminister Tria einer ihrer Leute von Staatspräsident Matarella in die Regierung gedrückt wurde. Auch die Lega ist fest mit der nördlichen Kapitalistenklasse verbunden (und man denke daran, wie lange sich Salvini an Berlusconi festklammerte), ebenso wie der rechte Flügel der Fünfsterne mit dem Partito Democratico (PD), der zentralen Partei des Systems, unter einer Decke steckt.

Ohne Mobilisierung von unten kann das die Regierung nicht durchstehen – und sollte sie zu diesem Mittel greifen, dann würde sie selbst eine Metamorphose durchlaufen. Doch Lega und Cinque Stelle kann eine solche Aufgabe nicht zugetraut werden, sie könnten nur initial in sowas hineingedrängt, hineingestürzt werden.

Ein großer Platz für eine volkssouveränistische Linke tut sich auf – und eine einmalige Chance, die neoliberale Dampfwalze, die Europa seit mehr als drei Jahrzehnten terrorisiert, zu stoppen.

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