Im Kontext des rechten Rollbacks in Lateinamerika – nach dem „rosa Jahrzehnt“ sozialstaatlicher Regierungsprojekte ab den 2000er Jahren – sind die Versuche der venezolanischen Opposition, sich des Chavez-Nachfolgers Nicolás Maduro zu entledigen nicht neu. Seit Februar 2014 flammen diese, markiert durch gewalttätige Straßenaktionen, immer wieder auf. Mit dem oppositionellen Sieg bei den Parlamentswahlen im Dezember 2015 herrscht in Venezuela faktisch eine doppelte Institutionalität, die sich auf numerisch nur knapp auseinanderliegende Wählergruppen stützt, sozial jedoch gegensätzliche und stark polarisierte Bevölkerungsteile vertritt.
Beide Blöcke zeigen starke innere Brüche, die ihnen einen Sieg bisher erschwert haben. Auf der oppositionellen Seite gibt es eine Kluft zwischen verhandlungsbereiten vs. putschwilligen Gruppen. Die Partei Voluntad Popular des selbstproklamierten Präsidenten Guaidó gehört dabei zum radikalen und unversöhnlichen Teil (und ist pikanterweise Mitglied der Sozialistischen Internationale!), der die Initiative zumeist auf seiner Seite weiß. Nicht zuletzt auch, da er mit der Regierung Trump und den revanchistischen Falken in der US-Administration sowie den neuen zahlreichen lateinamerikanischen Rechtsregierungen auf starken internationalen Rückhalt setzen kann.
Die Schwäche innerhalb des Regierungslagers liegt in der dramatischen wirtschaftlichen Situation und der grassierenden Korruption. Dies hat unter den Unterschichten zu einem Abfall in Richtung Resignation geführt (die Wahlbeteiligung lag bei Hugo Chávez Sieg in den Präsidentschaftswahlen 2012 bei 81 %, 2018 bei Maduros Wiederwahl nur mehr bei 46 %; das chavistische Lager verlor seit damals rund 2 Millionen Wähler – nicht jedoch ins Lager der Opposition!). Vermehrt kam es im letzten Jahr aber auch bereits von regierungsnahen Gruppen zu Protesten angesichts des inflationsbedingten sozialen Verfalls und der Mangel-/Misswirtschaft (Kleinbauernmarsch, Streiks im Gesundheitswesen und öffentlichem Verkehr). Die Kraft der Regierung, auf die Offensive der Opposition mit eigener Massenmobilisierung zu antworten ist heute zweifellos bereits stark geschwächt.
Der kritische Faktor ist damit zunehmend das Militär. Es scheint, dass die oberen Ränge der Regierung noch ungebrochen die Treue halten. Unter den mittleren Rängen sucht die Opposition aber freilich intensiv nach einer Basis und es muss angenommen werden, dass sie hier – spiegelbildlich zur Gesamtgesellschaft – auch Teilerfolge haben wird.
Festzuhalten ist in der derzeitigen Situation:
1. Der Versuch die Maduro-Regierung zu beseitigen kommt klar von den Rechtsaußen Teilen der Opposition mit Unterstützung der revanchistischen Trump Administration. Ein Erfolg dieses Lagers bedeutet ein radikales Rollback der noch bestehenden Sozialprogramme und eine massive politische Gefahr für alle venezolanischen Volksbewegungen.
2. Die Entwicklung reiht sich in die „neo-putschistischen“ Methoden ein, mit denen das „rosarote Jahrzehnt“ sozial fortschrittlicher Regierungen in Lateinamerika beendete wurde. Diese zeigt, dass trotz oft gravierender politischer Fehler und Unzulänglichkeiten der Linksregierungen und trotz der Enttäuschung der Unterschichten die rechte Opposition in kaum einem Land auf eine mehrheitliche demokratische Legitimierung bauen kann.
3. Die Korruption und Misswirtschaft in der Maduro-Regierung schwächt den Chavismus gegenüber der rechten und imperialistischen Offensive. Mit jedem neuerlichen Scheitern von Reformversuchen, um die für die Bevölkerung unerträgliche wirtschaftliche Situation zu stabilisieren, unterminiert die Regierung ihre Fähigkeit sich zu verteidigen. Nur das Wissen um eine noch schlimmere Zukunft, sollte die Opposition sich durchsetzen, hält wohl heute große Teile der Unterschichten davon ab auf die Straße zu gehen. Doch es ist abzusehen, dass das fatalistische Stillhalten des Volkes und der noch loyale Staats- und Militärapparat nicht ausreichen werden, um in absehbarer Zukunft in den Konfrontationen mit der rechten/imperialistischen Offensive standzuhalten.
4. Das Angebot der Regierung für Verhandlungen unter Vermittlung einer Gruppe neutraler Staaten ist aktuell der richtige Weg. So könnte die Offensive der radikalen Teile der Opposition und der USA gedämpft werden. Jedoch muss die Regierung parallel dazu einen Weg finden, nicht nur von oben einen Kompromiss zu verhandeln, sondern endlich auch deutlichere Signale für einen entschiedenen demokratischen Neubeginn von unten setzen. Eine solche Erneuerung bedeutet einen tiefen Bruch in der korruptionszerfressenen Staatsbürokratie, die damit ihre Loyalität zum Präsidenten ohne Zögern aufkündigen wird. Ob Nicolás Maduro zu solch einem Schritt noch genug Mut, Macht und Mobilisierungskraft hat ist unklar. Doch welche zukunftsfähigen Auswege mit nachhaltiger Erfolgsaussicht gegen die rechte Opposition bleiben dem chavistischen Venezuela sonst?
Nieder mit der pro-imperialistischen Offensive der Opposition!
Unterstützung des Regierungsvorschlages für Verhandlungen unter Vermittlung neutraler Staaten!
Gegen Imperialismus und Opposition – Erneuerung des Chavismus von unten!