Das Eurexit-Forum in Rom am Samstag, den 13. April, bestand aus zwei Teilen. Am Vormittag gab es Berichte von und über die französischen Gelbwesten, die Depression in Griechenland, die drohende Rechtsregierung in Spanien sowie eine Interpretation der Verzögerungen beim Brexit. Am Nachmittag debattierten verschiedene Tendenzen der Euro-kritischen Linken Italiens die Lage vor den EU-Wahlen, die als Test für die populistische Regierung gewertet wird.
Zunächst zu den Organisatoren: Das Forum wurde durch die Gruppe „Programa 101“ (P101) ausgerichtet, benannt nach einem von Olivetti entwickelten Computer. Dieser hätte technisch die Voraussetzungen besessen, den späteren Siegeszug des PCs vorwegzunehmen. Doch fehlte dem Hersteller die Marktmacht sowie das restliche Umfeld. Für P101 steht er jedoch als Symbol für das Potential Italiens auf eine selbständige Entwicklung, im Gegensatz zum derzeitigen Niedergang in der Unterordnung unter das Diktat der neoliberalen Globalisierung. P101 hat sich die Bildung einer breiten, patriotischen Linken zum Ziel gesetzt, auf der Basis der Verfassung, die der Arbeit den Vorrang vor dem Kapital einräumt. Sie will das Erbe der Linken verteidigen, sich dabei aber auf die Seite des einfachen Volkes stellen, das die offizielle Linke aus gutem Grund hasst. Gegen die neoliberale Globalisierung setzt sie die Volkssouveränität.
Es hatten sich alle wichtigen Kräfte der Anti-Euro- und Anti-EU-Linken eingefunden. Rifondazione Communista (PRC), Potere al Popolo (PaP), Partito Comunista Italiano (PCI), Patria e Costituzione des ehemaligen PD-Abgeordneten Stefano Fassina, die selbst wiederum eine Koalition ist einschließlich der ebenfalls vertretenen italienischen Anhänger der Modern Monetary Theory um Senso Comune sowie der Zeitschrift Rinascita. Was sich in Italien als konsequente Linke versteht, lehnt nicht nur die gemeinsame Währung ab, sondern stellt sich mittlerweile auch gegen den Binnenmarkt und die EU als ganzer. Das ist mittlerweile in diesen Milieus eine unverrückbare Selbstverständlichkeit. Noch vor wenigen Jahren was das völlig anders, nämlich so wie heute noch in Deutschland und Österreich.
So drehte sich die Debatte vor allem um die Rolle der populistischen Regierung aus Fünfsternen und Lega, ihr Verhältnis zu den Erwartungen der Unterklassen und den daraus folgenden Handlungsmöglichkeiten für die Linke.
Die Organisatoren hatten das Forum unter das Motto Drängen, incalzare, gestellt. Damit ist einerseits der Wunsch, das Drängen der unteren Klassen auf soziale Entwicklung und politische Kontrolle gegen die neoliberalen Eliten und die EU gemeint. Andererseits auch der Versuch, die sozialen Anflüge der Regierungspolitik weiter, vorwärts zu drängen. Da geht es um die Rücknahme der Konterreformen bei den Pensionen und dem Arbeitsmarkt, das Grundeinkommen insbesondere für den Süden, die symbolträchtige Renationalisierungen von Alitalia und den Autostrade und natürlich der Anspielungen auf Währungssouveränität.
Mit der Formel konnten alle etwas anfangen, auch wenn sie es sehr unterschiedlich deklinierten. Am weitesten entfernt zeigte sich der Vertreter von Rifundazione Comunista (PRC), Dino Greco, der damit das Feld aufspannte. Er kritisierte die Regierung dafür, dass sie den neoliberalen Rahmen als ganzen nicht sprengen würde.
Leo Mazzei, einer der Köpfe von P101 und selbst ehemaliges Führungsmitglied der PRC in ihrer Kernprovinz Toskana, wies auf die doppelten Standards hin. Er war damals aus Rifundazione nicht nur wegen deren Unterstützung für Regierung, die Jugoslawien angreifen lies, ausgetreten, sondern auch der neoliberalen Sozialpolitik wegen, die die Konterreform erst so richtig in Fahrt brachte. Das erste zarte Pflänzchen einer Gegentendenz seit dreißig Jahren sei indes abzulehnen, weil zu wenig radikal?
Im Hintergrund trennt die kommenden EU-Wahlen, die als Referendum über die geld-grüne Regierung gilt. Und zwar nicht als ganzer, sondern jeweils Cinque Stelle und Lega für sich allein. Dabei konzentrieren sich die Attacken der alten Eliten ausschließlich auf die M5S. Der Hintergedanke: Salvinis Lega wieder in das bipolare System zurückzuholen und mit Berlusconi zusammenzuspannen, auch wenn das letztlich nur mit Neuwahlen möglich werden könnte, denn allein verfügen sie über entschieden zu wenig Sitze. Oder aber eine als technische Regierung getarnte Große Koalition, wie es sie bereits vor der letzten Wahl mehrfach gegen hatte.
Ein sensationelles Drittel der Stimmen hatten die Fünfsterne vor einem Jahr auf sich vereinigen können. Auf wieviel werden sie nun herabsinken? Und wieviel ist wenig genug, um die Lega zum Bruch bewegen zu können? Die Enttäuschungen sind groß und die bruchlose Fortsetzung der Römischen Misswirtschaft unter der Bürgermeistern Raggi beispielhaft. Auf der anderen Seite ist die Abwendung der Unterklassen von den Elitenparteien keine Eintagsfliege, sondern Ergebnis von Jahrzehnten der sozialen Katastrophe des EU-Wirtschaftsliberalismus – zumal der nächste Abschwung vor der Tür steht und Brüssel schon die Messer wegen Budgetüberschreitungen wetzt. Nach der Wahl werden sie den Austeritätsknüppel wieder auspacken.
Der Vorschlag von P101 war es daher, für No-Euro-Kandidaten der Fünfsterne zu stimmen. Damit sollte auch ihr linker Flügel angestachelt werden, sich von der internen Diktatur der Mittelstandsillusionen zu emanzipieren.
Doch auch viele der No-Euro-Linken werden wie von einem Magneten durch diverse linke Wahlprojekte angezogen, die letztlich wieder alle bei der linksliberalen Urmutter Partito Democratico enden. Eine aktive gemeinsame Front ist gegenwärtig nicht möglich.
So schloss Moreno Pasquinelli das Forum mit dem Hinweis, dass der Fortschritt der Patriotischen Linken langsamer sein könnte, als das Heraufziehen einer soziopolitischen Explosion. Sollevazione, Auflehnung oder Aufstand, heißt auch die Website der Gruppe.