Das Erreichen des Zieles, die Durchschnittserwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, ist praktisch nicht mehr möglich. Während in Deutschland heftig um das Abschalten der hiesigen 150 Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 45 Gigawatt gestritten wird, planen die 120 größten Energiekonzerne der Welt auf diesem Globus zur Zeit den Bau von 1 400 neuen Kohlekraftwerken mit einer Gesamtkapazität von 670 Gigawatt – überwiegend in China, Indonesien, Vietnam, Pakistan, Bangladesch, aber auch zum Beispiel in Südafrika. Das ist schockierend, aber die fortgesetzte Ignoranz hat auch was mit Logik zu tun: nämlich der kapitalistischen Produktionsweise.
Karl Marx erkannte einst, die kapitalistische Produktion werde, wenn sie nicht überwunden würde, die „Springquellen allen Reichtums“ untergraben, die Erde und den Arbeiter. Und da das immer noch richtig ist, ist folgende beliebte linke Denk- und Argumentationsfigur falsch: da die Naturzerstörung innerhalb des Kapitalismus nicht mehr aufhaltbar sei, müsse die Frage der Umweltzerstörung auf die Gefahr des Untergangs der Zivilisation noch innerhalb kapitalistischer Rahmenbedingungen gelöst werden. Erst dann könne man voranschreiten zum Sozialismus.
Die Fakten zwingen zu einem anderen Schluss: Die Klimaverschiebungen werden nicht nur Länder wie den Nahostraum für große Menschenmengen so unbewohnbar machen wie es jetzt schon die Wüste Sahara ist. Absehbar ist es auch, dass große Teile Spaniens zur Wüste werden. Die dort jetzt noch Lebenden werden in die noch grünen Regionen Europas emigrieren. Die Flüchtlingswelle des Jahres 2015 oder auch die Wahlergebnisse zum Europaparlament 2019, die zum Teil der ungebildet-rohe Reflex angstgetriebener Massen auf diese Flüchtlingswelle waren, sind beide nur das Vorspiel größerer noch kommender Ereignisse.
Um das abzuwenden reichen CO2-Besteuerung, Änderung individueller Verhaltensweisen oder Reförmchen nicht mehr aus. Die Wahrheit ist: Es wird keine innerkapitalistische Lösung geben, denn z.B. die Erzeugung und der Verbrauch von Energie innerhalb unseres „Wertesystems“ folgt der kapitalistischen Logik, den Gegebenheiten des Marktes. Denn solange der Markt das gesellschaftliche Handeln bestimmt, wird es immer Wachstum geben und dessen Grenzen werden nur von der Natur gesetzt.Das bedeutet, dass die Menschheit sich ändernden Klimabedingungen anpassen wird – was allerdings ohne Katastrophen nicht zu haben sein wird. Das Ganze führt, unterwegs zu den Anpassungen, zu politischen Verhältnissen, die alles bisher Gewohnte umpflügen werden.
Der Ablasshandel, eine Verhöhnung der Natur
Lenin erkannte einst die Grundvoraussetzungen für das Heranreifen revolutionärer Situationen: Die Beherrschten, die Arbeiter, die Lohnabhängigen und kleine Gewerbetreibende müssen den Willen entwickeln, nicht mehr so weiterleben zu wollen wie bisher – auch die Besitzer der Fabriken, die Top-Manager, die Eliten der Finanzwelt müssen in die Situation geraten, nicht mehr weiter so herrschen zu können wie bisher. Und diese Verunsicherung beider Klassen erleben wir im Moment.
Und was beschließen die Eliten der Wirtschaft und der Politik? Sie stellen die CO2-Emissionsfrage in den Mittelpunkt der ganzen Debatte. Und dabei haben sie sich sogar noch ein Hintertürchen offen gelassen: nämlich die Möglichkeit, sich per Kompensationszertifikaten vom schlechten Gewissen freizukaufen.
Das führt sogar in ihren Kreisen zu Zynismus und Resignation. „Die Ablasshändler“ überschreibt die „Wirtschaftswoche“ am 26. Juli 2019 ihre Titelgeschichte und bringt das weltweit florierende System mit Umweltzertifikaten auf den Punkt: „Unternehmen und Verbraucher dürfen am einen Ende der Welt der Umwelt freveln, wenn sie sich am anderen Ende der Welt für den Umweltschutz engagieren, das ist die Logik des sogenannten freiwilligen Kompensationsmarktes (…). Das gemeinsame Versprechen von Politik, Unternehmen und Gutschriftenverkäufern: Wachstum ohne schlechtes Gewissen, ein klimatisches Nullsummenspiel, vielleicht sogar ein Plus für die Umwelt. Am besten, man stellt sich Zertifikatverkäufer als eine Art Waschmaschine für die kleinen und großen Sünden der westlichen Konsumgesellschaft vor.“
Und eine weitere Stimme zum Ablasshandel: Wolfgang Kaden, ehemaliger Chefredakteur des „Spiegel“ bilanziert in einem düsteren Artikel in der Juli-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins „Bilanz“, dass in dieser Gesellschaft „keinerlei Bereitschaft für eine wirkliche Umkehr“ erkennbar sei und resumiert: „Alles, was an Ressourcen und Abgaben eingespart werden könnte, wird durch den offenbar unaufhaltsamen Mehrverbrauch überkompensiert. Ungebrochenes Wachstum ist nach wie vor die Religion dieser Gesellschaft.“
Der 20. September
Die Ökologiebewegung war (und ist) traditionell auch deshalb ein Hort individualistischer Politikansätze, weil in ihr bei Millionen Menschen der Gedanke verfangen hat, die Umwelt könne gerettet werden, wenn jeder für sich vegan esse, Fahrrad statt Auto fahre oder Bio-Lebensmittel einkaufe. Für die Rettung des Klimas schien das für große Teile der Menshen lange Zeit eine Art Königsweg. Für die Beantwortung der Frage von Krieg und Frieden findet sich in diesem Ansatz jedoch keine Antwort. Deshalb konnten „Die Grünen“ 1998 für den Jugoslavienkrieg votieren.
Die Dortmunder Konferenz der „Fridays for Future“-Bewegung hat die Notwendigkeit des gesamtgesellschaftlichen, gesetzlichen – also kollektiven – Handelns in den Mittelpunkt ihrer strategischen Diskussionen gerückt. Allein das schon wäre ein Schritt nach vorne, heraus aus dem Gedankengefängnis des Individualismus, in dem selbst fortschrittliche Menschen seit dem Siegeszug des sogenannten Neoliberalismus gefangen sind.
Die Konferenz ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen, indem sie für Freitag, den 20. September aufgerufen hat, nicht nur Schulen, sondern auch Betriebe zu bestreiken. Damit geschieht – wenigstens potentiell und in der Perspektive – zweierlei: Neben den Schülern und Studenten werden auch die Gewerkschaften in die Auseinandersetzungen hineingezogen. (Leider war deren Resonanz eher zurückhaltend bis ablehnend) Mit diesem Aufruf sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich die Debatten bislang nur um Maßnahmen drehte, die ausschließlich in der Sphäre der Konsumtion angesiedelt sind.
Höhepunkt in diesen Debatten ist die CO2-Steuer, die die Belastungen vor allem für die sozial unteren Schichten erhöhen wird (und sie nebenher, vielleicht gewollt, in die Arme der AfD treiben würde). Ihre Einführung in Kombination mit „Belohnungen“ für ökologische Musterschüler stößt eine Entwicklung an, die dazu führen wird , dass die Wohlhabenden noch weiter von Geringverdienern abdrücken, indem sie ihre Eigenheime steuerbegünstigt ökologiesanieren. Auch das Verbot von Inlandflügen oder mehr Anreize für den öffentlichen statt individuellen Personenverkehr – zielen auf die Konsumenten.
So wichtig aber einzelne (auch individuelle) Schritte zur Reduktion von CO2-Emissionen sind, darf beim Engagement dafür nicht vergessen werden, was in den Mittelpunkt aller Debatten gehört: der Bereich der Produktion (und öffentlicher Investitionen). Das wird für die Klimafrage mehr und mehr eine zentrale Forderung werden müssen. Dazu gehören z.B. Forderungen zur Erweiterung alle Lebensbereiche umfassender öffentlicher Nahverkehrsmittel (damit das Auto in der Garage bleiben kann), Forderungen zur Dezentralisierung und zur Diverzifizierung nachhaltiger und emissionsfreier Stromerzeugung unter Berücksichtugung der Erhaltung von wertvollen Ökosystemen (z.B. bei Wasserkraft), Forderungen nach Erschwerung des individuelleen Autoverkehrs in Stadtzentren verbunden mit Forderungen für die Weiterentwicklung eines Stadtverkehrs auf Basis des Fahrrades oder eines öffentlichen eTaxisystems ausreichender Dichte und Reichweite. Das wären nur einige Beispiele, deren Anzahl die Bewegung FfF beliebig verlängern könnte.
HH, 24.9.2019