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„Ich habe nichts getan, das zu verdienen“

Brief des zu lebenslanger Haft verurteilten Palästinensers Abdelkerim Abu Habel


27. Oktober 2019

Die Kindheit in einem israelischen Gefängnis, das Leben in einem österreichischen


8410
Justizanstalt Graz-Karlau, 14. Oktober 2019

Ich schreibe diese Zeilen, obwohl ich aus meiner Zelle bereits eine Gruft gemacht und jede Verbindung mit dem Leben abgebrochen habe. Meine gesamte Jugend musste ich hinter israelischen Gittern verbringen, nur um auch in Österreich dem gleichen Schicksal ausgeliefert zu werden.

Ich richte mich hiermit an alle freien Menschen:

Ich bin der Häftling Abdel Karim Mohammed Abu Habel aus Gaza in Palästina. Meine Familie musste im Herbst 1948 aus Palästina fliehen. Ich wurde am Schwarzen Sonntag des 20. Mai 1990 geboren, zeitgleich zu dem Massaker, das die israelische Armee an den Palästinensern anrichtete.

Ich war ein junger Bursche, der mit seinen gleichaltrigen Freunden spielte, trotz Besatzung, Unterdrückung und ständigem Blutvergießen. Am 20. Juli 2000 schoss mir ein israelischer Soldat in den linken Fuß – ich war neun Jahre alt und bis heute leide ich unter dieser Verletzung.

Einige Jahre später, am 12. Juli 2004, wurden wir von einer Offensive der israelischen Armee überrascht. Wie andere Kinder warf ich Steine gegen die angreifenden Armeefahrzeuge. Ich wurde gefangengenommen und im Lager Nr. 16 im Norden des Gazastreifens festgehalten. Dort wurde ich misshandelt: Man warf mich zu Boden, stieß und schlug mich, quetschte mir die Füße ein, ließ mich stundenlang auf den erhitzten Metallteilen eines Bulldozers sitzen. Sie hetzten Hunde auf mich, um mich weiter einzuschüchtern. Sie folterten mich, indem sie mir vormachten, dass sie mich töten würden. Einmal verbanden sie meine Augen mit einem weißen Tuch und kündigen an, dass sie mich nun hinrichten würden; schließlich brachten sie mich in einen anderen Raum und schossen um mich herum auf den Boden.

Man verlegte mich nach Ashkelon. Während der Fahrt beschimpften sie mich, schlugen mich auf den Körper und ins Gesicht. Und so ging es auch in der Untersuchungshaft weiter.

Ich durfte meine Eltern nicht sehen. Man drohte mir, dass man sie ebenfalls herbringen würde, um mich zu zwingen, ein Geständnis in einer Sprache zu unterschreiben, die ich nicht verstand. Dabei hörten sie nicht auf, meine Eltern wüst zu beleidigen.

Ein Beispiel der Folter in Ashkelon war, mich zu zuerst zu schlagen und auf den Boden zu werfen, mich dann an einen Stuhl zu fesseln, meine Hände am Rücken und meine Füße an den Stuhl gebunden. Unzählige Personen schlugen auf mich ein. Nach fünf Stunden versuchte ich, meinen rechten Arm zu befreien, und stellte fest, dass meine linke Hand gelähmt war. Ein Finger meiner linken Hand ist bis heute gelähmt.

Sie zwangen mich zu gestehen, dass ich Bomben auf sie geworfen hätte. Ich war dreizehn Jahre alt und hatte keine Ahnung von solchen Dingen.

Nach dreißig Tagen, in denen ich weder Sonnen- noch Mondlicht gesehen hatte, wurde ich in das Verhörzentrum des Gefängnisses ha-Sharon gebracht, und von dort überstellte man mich an ein Militärgericht in einer Siedlung namens Erez.

Ein Jahr später wurde ich vom Militärgericht zu neun Jahren Haft verurteilt. Meine Kindheit wurde so hinter Gitter geworfen.

Mein Leben im Elend begann also. Während all dieser Jahre durfte ich meine Eltern nur drei Mal sehen.

Ich wurde ständig hin und her verlegt, in insgesamt elf Gefängnisse von ha-Sharon im Osten bis Nafha im Süden.

Am 11. Juli 2013 wurde ich in Beir Saba (Beersheva) entlassen und schlug mich gleich zu meinen Eltern durch. Ich war ein völlig veränderter Mensch.

Es war wie eine Wiedergeburt nach ganz neun Jahren in den Kerkern der Besatzungsmacht.

Das Trauma von der Erinnerung an die Jahre im Gefängnis konnte ich bis heute nicht überwinden. Ich ging in eine Verhaltenstherapie, doch bis heute leide ich darunter. Alpträume plagen mich, und ich wache schreiend auf. Ich war am liebsten allein, wurde sehr einsam und wenn ich in einen leeren Raum komme, habe ich noch immer das Gefühl, ich werde in Isolationshaft gesteckt.

Vier Monate später heirateten Saeda Hassan und ich.

Ein Jahr nach meiner Entlassung erhielt ich einen Aufruf von der Besatzungsarmee. Mein Fall sei noch nicht abgeschlossen, ich hätte „noch offene Rechnungen mit Israel“. Wofür war ich dann all die Jahre im Gefängnis gesessen?

Am nächsten Tag wurde mein Haus beschossen, während meine schwangere Frau sich darin aufhielt. Sie überlebte gottseidank, aber sie hätte genauso auch getötet werden können. Die Anrufe der Besatzungsarmee hörten nicht auf. Sie drohten, mich umzubringen.

Ich dachte, dass ich Gaza verlassen musste. Ich ließ die beste Zeit und meine geliebte Familie nach dem Horrer des Gefängnisses zurück. Am 24. März 2016 suchte ich in Österreich um humanitäres und politisches Asyl an.

Am 30. März 2016 kam die Polizei zu mir, brachte mich und meine elektronischen Geräte auf die Wache und stellte mir alle möglichen Fragen zu Posts, Fotos und auch Telefonnummern. Meine Geräte wurden beschlagnahmt, aber ich hatte damit kein Problem und begab mich wieder in meine Unterkunft.

Am 17. Juli 2016 um 5 Uhr morgens wurde ich in meiner Unterkunft in Litschau von einer Cobra-Einheit überfallen, verhaftet, brutal an Händen und Füßen gefesselt und bis 9 Uhr in diesem Zustand gehalten. Sie beschuldigten mich, palästinensische Jugendliche dazu angestiftet zu haben, Terrorangriffe auf Israel zu verüben, sowie Mitglied einer terroristischen Organisation namens Hamas zu sein. Ich bat darum, meine Frau informieren zu dürfen. Aber man antwortete mir, dass dies erst nach neun Monaten möglich sein würde.

Ich verstand nichts von dem, was sie mir sagten. Sie fragten mich ständig nach Menschen, die ich nicht kannte. Ich erklärte, dass Israel die sozialen Medien kontrolliert und manipuliert, sowie Propagandalügen über die Palästinenser verbreitet, um sie besser unterdrücken und niederhalten zu können.

Zuerst sperrte man mich in das Gefängnis Krems, dann kam ich am 19. Juli 2017 in die Hochsicherheitsanstalt Josefstadt in Wien.

Die Hauptverhandlung fand im August 2017 in Krems statt. Sie dauerte fünf Tage. Die beiden wichtigsten „Zeugen“ waren zwei palästinensische Gefangene, die per Videokonferenz aus einem israelischen Gefängnis zugeschaltet waren. Der israelische Richter in Tel Aviv bestand darauf, dass ich die härteste Strafe erhielt.

Es war wurde mir nicht ermöglicht, mich in angemessener Weise zu verteidigen, so wie es den Palästinensern als Volk auch unmöglich gemacht wird.

Am 24. August 2017 wurde ich zu LEBENSLANGER HAFT verurteilt.

Ich war am Boden zerstört. Ein Leben hinter Gittern soll mein Schicksal sein? Ich habe NICHTS getan, um das zu verdienen. Das kann nicht mein Schicksal sein.

Abdelkerim Abu Habel

 

 

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