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Die steirischen Wahlen und ihre Präsentation durch die Elite

29. November 2019
Von A.F. Reiterer

Die schleichende Krise und ihre Verhüllung


Die politische Klasse ist bescheiden geworden. Aber sie bleibt arrogant wie eh und je. Sie weiß: Sie kann sich auf ihre Medien verlassen. Aber trotzdem wird ihre Legitimation von Mal zu Mal brüchiger.

Alle Medien, ohne Ausnahme, präsentieren uns die steirischen Landtags-Wahlen als großen Sieg der ÖVP. Dabei geht ein kleines Faktum unter: Die steirische ÖVP hat das zweitschlech­teste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Nur vor fünf Jahren war sie noch einmal bedeutend schlechter dran.

Aber das geht unter hinter dem langsamen Zusammenbruch der SPÖ. Das ist das Thema, dem wir wirklich unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen und es seit längerer Zeit auch tun. Die Niederlage war dann übrigens nicht so katastrophal, wie sie der unsägliche Herr Schickhofer offenbar befürchtet hat. Der sprach im Wahlkampf immerhin davon: Er würde zurück treten, wenn die SPÖ unter 20 % abrutsche. Nun er hat seine Haut nicht gerettet, die Niederlage war auch so katastrophal genug.

Immer öfter weisen nun deren Verantwortliche auf Franz Voves, der vor fünf Jahren diese Entwicklung mit seinem freiwilligen Verzicht auf den Landeshauptmann grundgelegt habe.  Er hätte ja der ÖVP taktisch entgegen zu treten und sagen können: Was, ihr wollt mit der FPÖ koalieren? Das können wir auch. Doch er hat sich vor der FPÖ zu Tode gefürchtet. Und hier fehlt nun in dieser Schuldzuweisung durch immer mehr SPÖ-ler eine wichtige Einsicht: Diese Haltung von Voves ist noch immer und zwar verstärkt, die Haltung der Bundes-SP heute. Das ist im Moment überhaupt das Einzige, was sich an deren Stellungnahmen erkennen lässt.

Und das ist wiederum das Ergebnis der Entwicklung seit Franz Vranitzky: von der reformisti­schen Partei der Arbeiter und der unteren Mittelschichten zur wirklich sozialreaktionären BoBo-Partei. Sie hat keine tragfähige politische Grundlage mehr jenseits des Globalismus und der Unterwerfung unter den neoliberalen Hauptstrom. So klammert sie sich an eine Ersatz-Ideologie: einen fiktiven „Antifaschismus“. Der war vor 80 Jahren und vielleicht auch noch vor 60 Jahren berechtigt. Heute überdeckt er nur mehr die politische Leere in der Partei, ihre völlige Einvernahmung durch die neoliberalen Eliten und den Wunsch der Partei-Granden, bei allen Gemeinheiten dieser Eliten von Palästina bis Lateinamerika dabei zu sein.

Diese Partei ist nicht mehr zu retten. Auch wenn sie diskutiert, ob sie sich nicht nach „links“ orientieren soll – es glaubt ihr keiner mehr. Und das Vokabel „links“ ist mittlerweile so von den BoBos für ihre Eliten-Angelegenheiten besetzt, dass es in der Bevölkerung nichts mehr bewegt.

Über die FPÖ brauchen wir eigentlich nicht zu sprechen. Sie zerstört sich regelmäßig selbst, wenn sie Gelegenheit hat, irgendwo an der realen Politik mitzuwirken. Das ist nahezu unver­meidlich. Es sind keineswegs nur die alten Folklore-Nazis, die in dieser Partei noch immer herum kriechen. Da stehen sich einerseits die Typen wie der g’spritzte oberösterreichische Hainbuchner – der genau so BoBO ist wie der Herr Drozda – und die Vertreter eines aufstre­benden plebeischen Flügels gegenüber. Für ihn gab bisher Strache die Gallions-Figur ab. Das soll natürlich nicht heißen, dass dies wirklich Repräsentanten einer plebeischen Schicht sind. Strache hat schließlich gezeigt: Er ist eine geradezu mustergültige Mischung zwischen Lum­pen-Proletarier und Lumpen-Bourgeois. Aber es bleibt, dass weite Teile der Unterschicht und vor allem der unteren Mittelschicht von diesen Typen glaubten, ein Anbot zu erhalten. Und vor Allem wollten und wollen sie teils noch immer mit ihrer Stimm-Abgabe für diese Partei ein Zeichen des Protests setzen. – Mit zwei solchen konträren Sozial-Charakteren kann es diese Partei nur zerreißen, wenn sie endlich die Futtertröge erreicht.

Aber warum dann die Feindschaft der Eliten und der Journalistik gegen diese FPÖ? Die müssten sich doch, so könnte man glauben, besonders bei dieser Partei bedanken. Doch der inzwischen sehr in die Jahre geraten Herr Rauscher vom „Standard“ – den ich noch als stramm konservativen Studenten kannte, als er auf der Publizistikwissenschaft parkte, bevor er seinen ersten Job bekam – schreibt fast täglich einen rührenden Artikel gegen die FPÖ…

Die Angst vor jeder Bewegung in den Massen ist ausgeprägt. Und diese Bewegung pflegt immer wieder eine Rhetorik gegen einige Ziele der Eliten. Die FPÖ ist der EU nicht zu 150 % gehorsam und das ist auch ein Grund für ihren bisherigen Erfolg. Das ruft den Hass und die unstillbare Wut der Eliten und ihrer Lohnschreiber hervor. Gerade beim „Standard“ ist das ausgeprägt. Wir sehen es ja auch auf seinen anderen Seiten. Er ist die einzige österreichische Zeitung, die eine wirkliche, andauernde Kampagne gegen Peter Handke mit all der Verbissen­heit führt, die solche Ideologen eben aufbringen können. – Das verdient aber eine eigene Betrachtung. Kehren wir zu den Wahlen zurück.

Denn nun kommt das fast Unheimliche. Diese untere Mittelschicht-Fraktion und einige Gruppen von ehrgeizigen und skrupellosen sonstigen Mittelschichten verlassen diese Partei wieder, weil sie sich inzwischen von der Kurz-ÖVP besser repräsentiert fühlen. Aber das wäre noch erklärlich. Viel schwieriger zu begreifen ist, dass auch gewisse Schichten sozial Unzufriedener diese „neue“ ÖVP unterstützen, (männliche) ländliche Pensionisten z. B. Hier haben wir ein Beispiel für eine Grundwahrheit der Oberflächen-Politik. Es ist nicht in erster Linie das Interesse, welches die politische Haltung und vor allem die Stimm-Abgabe entschei­det. Es ist die politische Identität. So ist Kurz derzeit unangefochten.

Der ansehnliche, aber doch wieder auch nicht überragende Erfolg der Grünen ist, an der politischen Oberfläche, der Krise der SPÖ geschuldet, wie ja auch in der BRD die dortigen Grünen die Nutznießer des Zusammenbruchs der SPD sind. Eine Spur tiefer, dankt sich dieser Erfolg der noch völlig unerschütterten Hegemonie der sogenannten „Linksliberalen“, de facto dem Teil der neoliberalen Strömung, welche die alten liberalen Anliegen kultureller Eliten wieder aufnahmen und nun weiter ziehen. Die schleichende Krise des Systems äußert sich in diesen Schichten in der plötzlichen Klima-Hysterie. Aber noch glauben diese Mittelschichten – zu Recht? – sie könnten die Situation meistern und zu den Gewinnern aufschließen.

Dasselbe gilt im Grund für den äußerst bescheidenen Erfolg der Neos, welche noch reiner den neoliberalen Strom der reinen Lehre – gegen die ÖVP, welche Kompromisse mit den alten Konservativen schließen muss – vertritt. Der wichtigste Unterschied zu den Grünen scheint darin zu bestehen, dass ihnen jedes Sensorium für die kritische Entwicklung abgeht. Oder etwas anders ausgedrückt: Jene leichten Wellen der Krise, welche auch sie verspüren, halten sie für eine Folge dessen, dass die reine neoliberale Lehre von den neoliberalen Praktikern beeinträchtigt wird. Das soll sich ändern, geht es nach Ihnen.

Die steirische KPÖ hat einen Erfolg errungen. Hierzu können wir den steirischen Genossen gratulieren. Konsequente linke Politik bringt offenbar manchmal doch etwas mehr als der Opportunismus der Bundes-KPÖ. Aber, da finden wir ein großes ABER, ohne dass wir den Erfolg bemäkeln und schmälern wollen: 6 % sind in der Situation der steirischen Gesellschaft und Politik doch betrüblich wenig an Zustimmung.

Und damit sind wir beim Hauptergebnis und dem Hauptproblem angelangt: Ein überragender Teil der österreichischen Bevölkerung ist nicht bereit, sich in irgendeiner Form zu engagieren. Die allgemeine Unzufriedenheit mag erheblich sein. Aber sie ist diffus. Sie lässt sich noch immer ohne große Schwierigkeiten in Gebiete und Fragen lenken, die wir nur als Ablenkung von echten Struktur-Problemen betrachten können. In diesem Sinn ist auch das weitere Sinken der Wahlbeteiligung zu sehen. Nicht dass dies von vorneherein negativ zu bewerten ist, in einem parlamentarischen System, das ja vor allem zur Isolierung der politischen Klasse gegen unten dient. Aber wenn die Resignation zur Hauptrektion der Unterschichten wird, stellt sich die Frage der Mobilierungs-Möglichkeiten noch einmal verschärft.

In diesem Sinn ist die steirische Landtags-Wahl ein Steinchen im politischen Prozess unter den vielen anderen.

AFR, 28. November 2019

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