Site-Logo
Site Navigation

Der Fall Abu Habel vor dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof

Kolonialjustiz versus Europäische Menschenrechtskonvention


30. Dezember 2019
Wilhelm Langthaler

Am 15.11.2018 hat der Anwalt Abu Habels eine Beschwerde beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EMRG) eingebracht. Dabei wurde das Strafmaß „lebenslänglich“ beanstandet, weil der Richter das Urteil der israelischen Militärjustiz als erschwerend in Rechnung gestellt hatte.


8438

Die Beschwerde konnte nur mehr beim EMRG eingebracht werden, weil in Österreich selbst der Rechtsweg erschöpft ist.

Die Argumentation vor dem EMRG basiert inhaltlich auf den zweitinstanzlichen Einspruch in Österreich.

Der Richter hat beim Strafmaß als Erschwerungsgrund die Verurteilung Abu Habels als 14-Jähriger vor einem israelischen Militärgericht zu neun Jahren Haft berücksichtigt.

Die Verteidigung beeinspruchte dies als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) §6/1: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass […] über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“

Israel hat die EMRK nicht unterzeichnet.

Das Gericht hat in zweiter Instanz den Einspruch zurückgewiesen:

„Nach §73 StGB stehen ausländische Verurteilungen inländischen gleich, wenn sie in einem den Grundsätzen des Art 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechenden Verfahren ergangen sind.“

Bevor es diese Gleichheit argumentiert, macht das Gericht eingangs ein bedeutendes politisches Statement und reiht sich in den „Krieg gegen den Terror“ ein:

„Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes erheischt die Solidarität mit der internationalen Rechtsgemeinschaft bei der Verbrechensbekämpfung auch ein den ausländischen Vorverurteilungen Rechnung tragendes Strafmaß.“ Der Kolonial- und Besatzerstaat Israel wird also selbstverständlich in die „internationale Rechtsgemeinschaft“ eingeschlossen, obwohl er wie kein anderer Staat eine Geschichte der permanenten Verletzung internationalen Rechts und der grundlegenden Menschenrechte als letzter bedeutender Siedlerkolonialismus vorzuweisen hat.

Dann kehrt das Gericht zur Argumentation bezüglich der Menschenrechtskonvention (EMRK) zurück, die Israel nicht unterzeichnet hat und räumt die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung ein:

„Doch ist (nur) bei Urteilen aus Staaten, die die EMRK ratifiziert haben, grundsätzlich zu vermuten, dass das zugrundeliegende Verfahren den Anforderungen des Art 6 EMRK entsprochen hat. Bei Staaten, in denen die EMRK nicht gilt, muss das Gericht die Einhaltung der Grundsätze des Art 6 im ausländischen Verfahren auch ohne solche Hinweise positiv prüfen…“

Nachdem berichtet wurde, dass die Akten teilweise eingesehen worden waren, rotzt das Gericht einfach hin:

„Es gibt derzeit insgesamt keine ausreichenden Anhaltspunkte, von einem Verfahren auszugehen, dass den Grundsätzen des Art 6 EMRK wesentlich widersprochen hätte. Daher liegt der genannte Erschwerungsgrund vor.“

So leichtfertig wird über das Leben eines Menschen entschieden, der von Militärs der Besatzungsmacht, gegen die laut Völkerrecht sogar bewaffneter Widerstand gerechtfertigt ist, als Kind zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Besonders die Beifügungen „derzeit insgesamt“ sind verräterisch und belegen, dass sich das Gericht durchaus der Problematik bewusst gewesen ist.

Dennoch: Das Gericht hat sich weder die Mühe gemacht, spezifisch den Fall vor der israelischen Militärjustiz anzuschauen, noch die grundlegenden Ungerechtigkeiten der israelischen Justiz gegenüber den Palästinensern (und insbesondere der Militärjustiz) in Rechnung zu stellen.

Letztlich handelt es sich um eine blanke Rechtfertigung der Besatzung. Das Urteil ist politisch motiviert: die „mehrfache Tatbegehung und der Bestimmung anderer zu schweren terroristischen Taten im Nahen Osten [gebietet] schon aus generalpräventiven Erwägungen eine exemplarisch strenge Strafe. Nur durch entsprechend massive Sanktionen kann dem global um sich greifenden Terrorismus Einhalt geboten werden.“

Bereits im erstinstanzlichen Urteil hatte das Gericht sich politisch klar gegen das Völkerrecht gestellt. Ostentativ wurde Jerusalem bei der Al-Aqsa-Moschee in Klammer „Israel“ hinzugefügt. Israel hat jedoch Jerusalem völkerrechtswidrig annektiert, was von der UNO und auch dem Sicherheitsrat bis heute nicht anerkannt wird.

Das Gericht tut so als gebe es keine Besatzung und als wäre Israel ein Staat wie jeder anderer.

Um den unfairen Charakter der israelischen Militärjustiz im Sinne der EMRK zu belegen, hat der Anwalt der Beschwerde folgende englischsprachige Dokumente beigefügt:

Ynet
Report: Israeli military courts automatically convict Palestinians

International Review of the Red Cross
Sharon Weill: The judicial arm of the occupation: the Israeli military courts in the occupied territories

UN Human Rights Committee
CCPR General Comment No. 13:  Article 14 (Administration of Justice) Equality before the Courts and the Right to a Fair and Public Hearing by an Independent Court Established by Law

Prisoner Support and Human Rights Association, Addameer
Military Courts

UNICEF
Children in Israeli Military Detention

Defense for Children Palestine
Military Detention

Prisoner Support and Human Rights Association, Addameer
The Israeli Military System

Hoffen wir, dass der EMGR nicht auf den Spuren des Kolonialismus wandelt, wie es die österreichische Justiz vorexerziert hat.

Thema
Archiv