Der Schlüsselsatz: „Wir bekennen uns zum Staat Israel als jüdischem und demokratischem Staat sowie zu dessen Sicherheit.“ (alle folgende Zitate aus dem Regierungsprogramm gleich zu Beginn des Kapitels „Außenpolitik“ S.181f)
„Jüdisch und demokratisch“ werden begrifflich untrennbar zusammengefügt. Die israelische Propaganda versucht sich seit Jahren als „einzige Demokratie des Nahen Ostens“ darzustellen. Dass diese nur für jüdische Bürger gilt (Apartheid), fällt damit unter den Tisch. So wird die Aggression gegen die Palästinenser zur Selbstverteidigung gemacht – eben kontextlose „Sicherheit“, bei der die strukturelle Gewalt der Herrschenden nicht existiert.
Diese forcierte Konjunktion zeigt auf der anderen Seite wie der weltweite demokratische Aufschrei gegen den letzten großen Kolonialismus sitzt, wie er den globalen Eliten wehtut und wie berechtigt er ist. Denn das exakte Gegenteil des Regierungsaxioms ist der Fall. Der exklusiv-jüdische Staat schließt nämlich die arabische Urbevölkerung, die Palästinenser, notwendigerweise aus. Sie werden vertrieben, kolonisiert, entrechtet, ja als Nation vernichtet. Ihnen stehen laut Zionismus die in der UN-Charta verbrieften elementaren Menschenrechte nicht zu. Sie sind unter israelischer Herrschaft richtige Untermenschen.
Ganz im Sinn des schwarzgrünen Regierungsprogramms ist es, wenn in Kürze alle im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien beschließen werden, dass das Recht der vertriebenen Palästinenser auf Rückkehr, wie es die UNO und das Völkerrecht verbriefen, antisemitisch sei. Gleichzeitig wird stillschweigend die zionistische Anmaßung des Rechts auf „Rückkehr“ aller Juden aus der ganzen Welt nach Israel (mit Verleihung der Staatsbürgerschaft) als selbstverständliches „Existenzrecht Israels“ gehandelt, dass keinesfalls „in Frage gestellt werden darf“.
Gleich darauf folgt der scheinbar harmlose Satz, der jedoch den Schwenk gegen das Völkerrecht rechtfertigen soll: „Österreich wird Initiativen und Resolutionen in internationalen Organisationen nicht unterstützen, die dem obgenannten Bekenntnis Österreichs zu Israel zuwiderlaufen.“ Was ist damit gemeint?
Die UNO-Generalversammlung beschließt seit Jahrzehnten einen Strom von Resolutionen gegen die israelische Besatzung und allen damit verbundenen Menschen- und Völkerrechtsbrüchen. Die große Mehrheit der Staaten unterstützt das und so wird Israel laufend verurteilt – rein symbolisch, ohne Auswirkungen. Denn die USA und Israel sowie ihre engsten Verbündeten blockieren Konsequenzen. Österreich, so wie viele europäische Staaten, enthielten sich meist oder manche unterstützen sogar die Verurteilungen. Am 3. Dezember 2019 kam es unter dem damaligen und neuerlichen VP-Außenminister Schallenberg zu einem wichtigen Positions- und offenbar auch Kurswechsel. Man wollte die illegale Siedlungstätigkeit in den besetzten Gebieten nicht mehr verurteilen! Das liegt ganz auf der Linie von Trump und Netanjahu. Nach ihnen solle das besetzte Jerusalem die Hauptstadt Israels sein, die besetzten Gebiete würden zu „umstrittenen Gebieten“, die illegale israelische Besiedlung des palästinensischen Lands sei kein Problem für den Frieden usw.
Von entscheidender Wichtigkeit in der proisraelischen Argumentationskette (auch des Regierungsprogramms) ist die Gleichsetzung von „Antisemitismus und Antizionismus“. Denn der Antizionismus ist ja gerade die Kritik am exklusiven jüdischen Nationalismus, der Transformation einer Religion in eine Nation zum Zweck der kolonialen Staatsbildung. Diese urdemokratische Kritik wird Schritt für Schritt zu Antisemitismus umgedeutet („einheitliche Definition in Europa“), die wenn möglich auch amtlich gemacht werden soll. Damit würde der Rufmord an den Kritikern am israelischen Kolonialismus auf eine höhere Stufe gehoben, die logisch irgendwann bei der strafrechtlichen Verfolgung von Meinung endet. Die erwähnte Nationalratsentschließung zitiert eine EU-Resolution, die genau dazu auffordert, nämlich, „die von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) erarbeitete Definition von Antisemitismus [zu] übernehmen und ihre Polizei- und Justizbehörden dahingehend [zu] schulen, Antisemitismus strafrechtlich zu verfolgen.“
Jeder weiß, dass der historische Antisemitismus als Diskriminierung der Juden stark abnimmt. Denn die Wirkung des Ressentiments und des Chauvinismus ganz wesentlich von den Zwecken der Eliten bestimmt. Die Muslime ersetzen heute die Juden als Feindbild. Die Intensivierung des „Kampfes gegen den Antisemitismus“ bedeutet also nichts anderes als den Versuch, die demokratischen und linken Kritiker Israels zum Schweigen zu bringen.
Und es geht um die Entwicklung und Nutzung eines neuen Feindbildes: der Muslime. Ein weiteres Ideologem der Regierungserklärung: Während der jüdische Staat axiomatisch mit Demokratie verbunden wird, amalgamiert man den Islam mit Extremismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus, Terrorismus – allein schon durch die zahllose Wiederholung nicht nur im Regierungsprogramm, sondern vor allem auch durch die Systemmedien.
Was liegt da näher, als dagegen das DÖW oder einen zukünftigen Ableger dessen in Stellung zu bringen. Dieses ist das Flaggschiff der Transformation und Domestikation des Antifaschismus von einer systemkritischen zu einer apologetischen Tendenz. Solange es die Sowjetunion noch gab und die linke Bewegung als Gefahr angesehen wurde, bekämpften die Eliten den Antifaschismus, so wie sie die südafrikanische Apartheid unterstützten. Heute hat man den Antifaschismus umarmt und eingegliedert. Man zweckentfremdet ihn zur Unterstützung und Tarnung der israelischen Apartheid. Und man will ihn auf infame Weise gegen die Muslime einsetzen – im Namen des „Kampfes gegen den Antisemitismus“ werden die neuen Juden vorgeführt, schlechtgemacht und zum Abschuss sturmreif geschrieben. Man erinnere sich an die Auftragsarbeit von Nationalratspräsident Sobotka 2019 an das DÖW, wo Schwarzblau, die historischen Träger des Antisemitismus, sich vom „linken“ DÖW freisprechen ließen und sie gemeinsam den linken Israelkritikern, Türken & Arabern und Muslimen das Label „Antisemitismus“ umhängten und mit Rechtsextremismus verbanden. Auf dieser Linie soll laut Regierungsprogramm intensiv weitergearbeitet werden.
Auf dieser Linie liegen auch weitere Ankündigungen von Schwarzgrünblau, wie die Präventiv- und Gesinnungshaft oder das Kopftuchverbot. (Diese sollen an anderer Stelle näher untersucht werden.) Zweck solcher Symbolpolitik ist es vor allem, den Feind zu markieren, zu dehumanisieren und erstrittene demokratische Rechte außer Kraft zu setzen – zuerst für den Feind und dann für alle, siehe auch den Terrorprozess gegen die Tierschützer. Im Namen des „Schutzes vor ideologisch begründeter Gewalt und vor Gewalt in jedem sozialen, kulturellen und religiösen Kontext (wie weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung, Kinderehen)“ (S.205) wird gegen den kulturell anderen Unterschichten identitärer Zwang aufgebaut. Im Namen der Verhinderung von „Parallelgesellschaften“ wird kulturelle und soziale Segregation produziert. Im Namen von „Sicherheit“ wird die Gesellschaft verunsichert und nach US-Vorbild Richtung Gewalt entwickelt. Wir wissen nur zu gut, dass der „Krieg gegen den Terror“ in der Realität ein Terrorkrieg ist.
Schwarzgrün ist um nichts besser als Schwarzblau, sondern dessen voller Kontinuität. Darum ist auch der Brief, den 35 israelische Wissenschaftler an Bundeskanzler Kurz anlässlich seiner Konferenz mit Natanjahu 2018 richteten, wo sie vor der Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus warten, hochaktuell.