Am Samstag, den 4.7.2020, rief ein breites Aktionsbündnis unter dem Motto „Niemanden zurücklassen – Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 80%“ zur Demonstration auf. An der vom Personenkomitee „Selbstbestimmtes Österreich – demokratisch.sozial.souverän.neutral“ initiierte Demonstration nahmen rund 250 Personen teil. Sie reiht sich in eine Reihe von Protestveranstaltungen gegen die neoliberale Politik der Regierung und für eine Krisenantwort im Interesse der Mehrheit ein.
Die Redner_innen bei der Demonstration kamen überwiegend aus dem gewerkschaftlichen und dem studentischen Bereich. Auch Vertreter_innen von EPU’s, aus dem Bereich der Kunst und von feministischen Organisationen unterstützen die Demonstration. Die Breite der aufrufenden Organisationen und Einzelpersonen zeigt, wie viele in der Krise zurückgelassen werden, und wer zurückgelassen wird: Während mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherung Kollektivverträge unterlaufen werden und Arbeitslose mit einer Einzahlung von 450 Euro abgespeist werden, erhalten Großkonzerne, wie die AUA, Benko, Pierer und Co. Milliardenstützen, ohne tatsächliche Gegenleistung.
Die unterstützende feministische Organisation Frauenstreik hat bereits mit dem feministischen Raubtag, zwei Wochen vor der Kundgebung, aufgezeigt, in welch vielfältiger Form gerade Frauen, vom Lock-down und den wirtschaftlichen Folgen betroffen sind: als Teilzeitarbeiterinnen, denen im Falle der Arbeitslosigkeit nicht genug zum Leben bleibt. Als jene, die als erste ihre Arbeitszeit reduzierten, um Betreuungspflichten wahrzunehmen. Als jene, die in den Niedriglohnsektoren des Einzelhandels und in der Pflege, oft ohne nötigen Gesundheitsschutz, zu Mehrstunden verpflichtet waren, während Schulen und Kindergärten geschlossen waren oder deren Inanspruchnahme so tabuisiert wurde, dass sie nicht genutzt wurden.
Selma Schacht, Arbeiterkammerrätin in Wien und Vertreterin der kommunistischen Gewerkschaftsinitative Komintern, welche auch an den Protesten im Sozialbereich beteiligt war, verwies darauf wie die Krise dazu genutzt wurde den sozialen Protest für eine 35-Stunden-Woche zum Erliegen zu bringen. Die Kollektivertragsabschlüsse im Sozialbereich liegen weit unter den Forderungen der Protestbewegung und werden durch die einzelnen Organisationen weiter unterboten.
Rene Schindler, pensionierter ÖGB-Sekretär, rief für die sofortige Einführung der 35-Stundenwoche bei vollen Lohnausgleich auf. Gerade in der Krise, und bei Arbeitslosigkeit ist eine gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit, die auch die Basis für eine gerechtere Aufteilung der Reproduktionsarbeit erlauben würde, eine wichtige Forderung. Auch Wilfried Leisch, Gewerkschafter (GPA-djp) und Mitarbeiter im Österreichischen Solidaritätskomitee/Plattform proSV forderte sofortige Maßnahmen zur Prävention prekärer Arbeitsverhältnisse und von Leiharbeit – jenen Personengruppen die in der Krise am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Norbert Bauer, Betriebsratsvorsitzender im Hotelgewerbe und Vorsitzender der Solidarwerkstatt Österreich, zeigte die Verbindung zwischen dem neoliberalen Konkurrenzregimes der EU und der Politik der türkis-grünen Regierung auf.
Unter den Redner_innen fanden sich auch ein Vertreter der AUGE-UG, Armin Kraml, Betriebsrat, Vorstandsmitglied der AUGE-UG, OÖ und Aktivist des Vereins Arbeitslos.Selbstermächtigt, der sich für die sofortige und dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes aussprach sich gegen die unternehmer_innenfreundliche Politik der türkis-grünen Regierung stellte.
Fiona Herzog, Vorsitzende der SJ Wien, wies auf das Problem des Lehrstellenmangels und der hohen Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen hin. Bereits vor der Krise, unter Türkis-Blau, wurden Arbeitsmarktprogramme und überbetriebliche Lehrstellenprogramme eingestellt. Unter Türkis-Grün wird diese Politik nun fortgesetzt. Es braucht Investitionen, damit aus der Generation der Krise keine verlorene Generation wird, betonte Herzog. Katharina Kucharowits, Abgeordnete zum Nationalrat (SPÖ), schloss sich den Forderungen ihrer Vorrednerin an und betonte, dass sie sich im Nationalrat weiter für die Anhebung des Arbeitslosengeldes einsetzten wird.
Vertreter_innen sozialer Bewegungen sprachen die steigende Armut in Folge der Corona Krise an. Ein existenzsicherndes Einkommen wird durch das geringe Arbeitslosengeld und die Sozialhilfe neu nicht garantiert, wie Eva Obemeata-Gimoh, Wiener Armutsnetzwerk, betont. Regina Amer, Homeless in Europe (HOPE), sprach sich für Vermögenssteuern aus, durch welche Interventionen im Sinne der Mehrheit getätigt werden sollen. Auch Axel Magnus, Betriebsrat, GewerkschafterInnen und SozialdemokratInnen gegen Notstandspolitik, sprach sich deutlich für Vermögenssteuern und Finanzsteuern aus. Seine Rechnung zeigt: Selbst bei 99% Versteuerung der Vermögen der Reichsten bleibt diesen im Jahr mehr übrig, als kleinen Angestellten im Bereich des Einzelhandels, die in der Krise als „Heldinnen“ gefeiert wurden.
Die beiden Vertreter_innen aus dem studentischen Milieu, Elena Ellmeier (KSV) und Anna Mornar (Studentin der Soziologie und Aktivistin der Antifaschistischen Aktion Wien) wiesen darauf hin, dass Studierende, die in der Mehrheit neben dem Studium in Billiglohnsektoren arbeiten, durch den Lock-down vielfach die Einkünfte weggebrochen sind. Die Unsicherheit, wie sie ihr Studium fortsetzen können – da Universitäten aus einige Bildungseinrichtungen bis Oktober 2020 geschlossen sind – verschläft die Situation.
Günther Mitteregger, Kleinunternehmer, schilderte, dass der Fixkostenzuschuss bei Kleinunternehmer_innen, die massive Einkommenseinbußen hatten, oftmals nur einen Teil der entstandenen Kosten deckt und durch die andauernde Krise viele kleine Unternehmen vor dem Nichts stehen.
Willi Langthaler, Mitbegründer des organisierenden Personenkomitees Selbstbestimmtes Österreich, rief zu weiteren Aktionen im Hebst auf und lud zur Vorbereitung eines Ratschlags in den kommenden Wochen ein. Der Protest gegen das neoliberale Regime muss weiter organisiert und verbreitert werden, für eine soziale und ökologische Wende im Sinne der Mehrheit.
Musikalisch begleitet wurde die Demonstration von Kurti Winterstein, Erwin Bartsch und Klaus Sypal. Wie Kurt Winterstein in seinem Corona-Lied resümiert: „Wir haben jetzt die Schnauze voll, es ist genug, ihr treibts zu toll, wir machen das nicht länger mit. Corona hat es klargestellt, wer unser Leben am Laufen hält. Doch den Applaus – den steckt euch in den Arsch. Vor allem Frauen im Supermarkt, die habn ghackelt ziemlich hart, es applaudiert die ganze Welt, doch diese Frauen brauchen Geld. Auch in der Pflege ist es hart, vor und hinten wird gespart. Wann schnalln die Menschen hier im Land, wer ist denn systemrelevant. Wir fordern das hier und gleich, einen Sozialausgleich. Ach Leute längst schon brennt der Hut, für erwerbslose wolln wir 80%.“