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L’Afrique , c’est moi

Gekränkte Kolonialmacht


9. Juli 2020
Von Murat Gürol

Gastbeitrag


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Ein gefährliches Spiel treibe die Türkei im Mittelmeer und in Syrien, ließ der französische Präsident Macron verlautbaren. Aktueller Anlass der französischen Breitseiten gegen die Türkei ist ein Zwischenfall in internationalen Gewässern im zentralen Mittelmeer. Türkische Marineschiffe hätten die französische Fregatte „Courbet“, die im Rahmen der EU-Operation Irini gemeinsam mit anderen EU-Kriegsschiffen den Strom an Waffenlieferungen in den libyschen Bürgerkrieg unterbinden soll,  mit ihrem Zielerfassungsradar drei Mal erfasst, was den letzten Schritt vor einem Beschuss darstellt. Von der Nato, die den Vorfall untersucht, wurden diese Beschuldigungen nicht bestätigt.

Dabei geht es für Frankreich um weit mehr, als vorgeblich einen UN-Beschluss umzusetzen. Zu tief sind die französischen Verwicklungen in Nordafrika und Subsahara.

 Operation Irini

Operation Irini legitimiert sich durch einen UN-Beschluss, der ein Waffenembargo für Libyen vorsieht, um dem Bürgerkrieg in Nordafrika den Brennstoff zu entziehen. Über das Mittelmeer versorgt die Türkei die international – auch von der EU – anerkannte Regierung des nationalen Zusammenschlusses (GNA) mit Hilfsgütern, aber auch Waffen und Munition. Über die libysch-ägyptische Grenze und über Luftbrücken aus Syrien und den Vereinigten Arabischen Emiraten wird der Putschisten-Warlord Haftar, der kommandierende Feldherr der libyschen nationalen Armee (LNA), von den Emiraten, Ägypten, Russland und Saudi-Arabien versorgt, es wurden aber auch französische Waffen bei der LNA sichergestellt. Durchlässig für Söldner aus dem Sudan und dem Tschad sind die Grenzen ebenso, so dass ein steter Zufluss an neuen Frontkämpfern für die LNA sichergestellt ist. Augenscheinlich ist sofort, dass die EU-Operation einseitig die Lieferungen an die GNA blockiert, denn eine Kontrolle der langen Grenzen Libyens ist praktisch nicht durchführbar. Es fehlt aber auch jeglicher internationale Druck, vor allem auf die Emirate und Russland, die als Hauptlieferanten von der Staatengemeinschaft völlig unbehelligt bleiben.

Genau genommen ist natürlich auch eine Seeblockade nicht durchführbar, weniger aus praktischen, vielmehr aus juristischen Gründen: Denn in internationalen Gewässern darf kein Handelsschiff von Mitgliedern einer anderen Nation betreten werden, selbst im Fall von Irini nicht. Eine Ausnahme wäre z.B. höchstens, wenn die Nation, unter deren Flagge ein Handelsschiff fährt, das Borden ausdrücklich zulässt. Entsprechend waren auch die ersten Einschätzungen türkischer Kommentatoren gleich zu Beginn von Operation Irini Ende März, dass ihr einziger Sinn darin bestehen würde, Öffentlichkeit zu erzeugen gegen die türkischen Lieferungen. Denn die ganze Operation zielte darauf ab, einen Zwischenfall zu generieren. Ein solcher ist denn auch am 17. Juni spektakulär vorgefallen.

Flottenmanöver „Need-for-Speed“

Die türkische Marine wies jegliche Anschuldigung, ihre Radare hätten die französische Fregatte zielerfasst, weit von sich. Im Gegenzug wurde der Courbet unprofessionelles und provokatives Verhalten, das jeder seefahrerischen Norm widerspricht, vorgehalten. Der türkische Botschafter in Paris, Musa, präsentierte unlängst vor französischen Abgeordneten das unfassbare Manöver, das die Courbet zwischen dem türkischen Marineverband vollzogen hat [siehe Abbildung 1]. Der Frachter „Cirkin“, in der Mitte eingefasst vom türkischen Begleitschutz, bewegt sich in westlicher Richtung, als die Courbet gegen 16:45 Uhr (Zeiten bezogen auf Greenwich-Time) ihren Kurs auf Nordost ändert und damit einen Kurs zwischen der führenden TCG Gökceada und dem Frachter einschlägt. Allein dieses Verhalten widerspricht allen Regeln der Kollisionsverhinderung, denn diese sehen vor, dass Schiffe, die von Backbord kommen, immer nach Steuerbord auszuweichen haben – das Rechts-vor-Links der Meere gewissermaßen. Gegen 17:10 Uhr ändert die Courbet erneut ihren Kurs und versucht zunächst, einen Kurs zwischen dem Frachter und TCG Gökova zu fahren, korrigiert diesen jedoch auf Ost, nachdem ersichtlich wird, dass sie trotz irregulärer Beschleunigung nicht zwischen beiden Schiffen passieren kann. Kurz vor 17:30 Uhr schneidet sie noch das dritte türkische Begleitschiff und verlässt dann das Gebiet. Auf Funksprüche ihres Nato-Partners reagiert sie genauso wenig wie auf deren Warnungen, dass die Courbet eine Kollision provoziere.

Mission Accomplished?
 
Begleitet wird der ganze Vorfall mit allen denkbaren Kampagnen zur Verunglimpfung der türkischen Unterstützung der offiziell anerkannten Regierung: Politischer Islam, gefährliches Spiel, osmanischer Größenwahn, Muslimbrüderschaft, Flüchtlingsströme usw. Die Courbet hat, indem sie den Prätext für den Anti-Erdogan-Medien-Tsunami geliefert hat, ihre Mission zweifelsfrei bravourös erfüllt. Die Frage stellt sich, ob der ganze „Militär“-Einsatz all die Steuergelder wert ist oder ob wir als EU-Bürger mit unseren Steuergeldern in Wahrheit großangelegte PR-Aktionen einer zerbröselnden Kolonialmacht finanzieren, nur um uns dann von unserem Geld eine Geschichte präsentieren zu lassen, die mit einer wenig aufwendigen Recherche entblößt werden kann.
 
Dennoch, so scheint es, ist es den Franzosen ihr Geld und ihre öffentliche Selbstbrüskierung wert. Denn es geht – das ist schon allein aus der schieren Lautstärke der Macron-Kampagne abzulesen – natürlich nicht um den humanitären Schutz der libyschen Bevölkerung, auch nicht um den Schutz vor Flüchtlingen aus Subsahara und mit Sicherheit nicht um die Eindämmung des Terrorismus. Im Gegenteil, Frankreich hat durch seine Unterstützung von Haftar wesentlich zur Problematik radikaler Kämpfer, Massaker in Tarhuna und Bombardierungen von zivilen Einrichtungen in Tripoli beigetragen.
 
Der Quell des afrikanischen Flüchtlingsstroms
 
Es geht vielmehr um den Erhalt des französischen Einflusses in Nordafrika und vor allem darüber hinaus in Subsahara. Denn Frankreich profitiert erheblich von seinen kolonialen Beziehungen zu West- und Zentralafrika, selbst wenn man die vielzitierten Ölinteressen in Libyen beiseitelässt. Wichtigstes Werkzeug ist hierbei die Währung, denn in 14 afrikanischen Staaten wird die Währung von Frankreich verwaltet, vom Druck der Scheine in Lyon bis zum Standort der Zentralbank. Ein erheblicher Teil der Geldreserven muss sich laut Vertrag in Frankreich befinden, auch wenn dieser Anteil seit den fünfziger Jahren von 80% auf 50% reduziert wurde. Zugriff auf diese externen Geldreserven funktionieren natürlich nur gegen Zinskredite. Erst neulich wurde der Name dieser Währung von CFA in Eco umbenannt, die Mechanismen bleiben aber die gleichen.
 
„Ohne Afrika hat Frankreich im 21. Jahrhundert keine Zukunft“, hat der spätere Präsident Mitterand bereits 1957 gesagt. Dass dieser Zugriff auf afrikanische Ressourcen zum Preis der Unterentwicklung kommt, lässt sich leicht an der monetären Unabhängigkeit der Maghreb-Staaten ablesen, die sich recht früh nach ihrer Unabhängigkeit vom Franc verabschiedet hatten und seither ihre eigenen Währungen verwalten. Verglichen mit den Subsahara-Staaten geht es dem Maghreb gut [1, 2, 3].
 
Statt also teure Missionen im Mittelmeer zur Kontrolle des Flüchtlingsstroms zu finanzieren, sollten Frankreich und die EU ihren kolonialen Würgegriff auf Afrika einstellen. Denn dann würde sich das Problem der Wirtschaftsflüchtlinge von selbst lösen. Wie wenig aber in Europa über die Ursachen der katastrophalen Unterentwicklung in Subsahara und damit der Flüchtlingskrise bekannt ist, ist schnell ersichtlich, wenn von halbwegs seriösen Medien Erdogan als Kontrolleur des Flüchtlingsstroms benannt werden kann, ohne dass die Absurdität und Dummdreistigkeit dieser Behauptung jemandem auffällt.

 

 

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