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Tunesien: 10 Jahre Revolution

24. Januar 2021
Von Imad Garbaya

Mehr als zehn Jahre nach dem Start der ersten Aufstände in Tunesien, die zum Sturz des Diktators Ben Ali geführt haben, steht das Land wieder in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Die sozialen Aufstände entflammen das ganze Land, vor allem aber in den Städten, Dörfer und Vierteln, wo alles damals begann.


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Heute können wir sagen: Zehn Jahre Revolution in Tunesien sind auch zehn Jahre soziale Aufstände mit den gleichen Forderungen: Arbeit und soziale Gerechtigkeit.

Die Aufstände von 2010/2011 waren im Kern eine soziale Bewegung mit demokratisch-politischen Forderungen.

Seit damals ist vieles auf der demokratischen Ebene erreicht worden (Mehrparteiensystem, neue Verfassung, mehrere Regierungswechsel, …), aber so gut wie nichts von den sozialen Forderungen.

Die Enttäuschung und die Perspektivenlosigkeit bei den jungen Menschen sind groß.

Alle Regierungen die seit 2011 regiert haben, und die hauptsächlich von den alten Eliten in Koalition mit den Islamisten der Ennahda Partei (mehrfach Wahlgewinner) bestanden oder bestehen, haben nichts unternommen, um neue Wege einzuschlagen. Den Forderungen der Aufständischen wurde nicht entsprochen. Keine Spur von einer souveränistischen Wirtschaftspolitik, die weg von der totalen Unterordnung unter Frankreich, die EU und manchen Golf-Staaten führen würde.

Trotz aller demokratischen Erfolge in Tunesien herrschen im Land die gleichen abhängigen wirtschaftlichen Optionen.

Kein einziges großes Thema wurde angegangen: die Schulden, die Verstaatlichung manche vom alten Regime ausverkauften Sektoren, Freihandelsabkommen mit der EU (ALECA), die Frage der Investitionen im landwirtschaftlichen Sektor, weg vom fragilen Tourismus-Sektor … usw. All diese Themen wurden nie behandelt. Im Gegenteil, man hat den Eindruck die verschiedene Regierungen (und ihre Parteien) blockieren sogar jeden parlamentarischen Versuch, solche Themen auf die Tagesordnung zu bringen.

Doch die aktuelle Aufstandswelle in Tunesien zeigt einen neuen Trend: dieses Mal ist das Durchschnittsalter der jungen Demonstranten unter 20, das heißt wir haben es mit einer Generation zu tun, die praktisch die Ära Ben Ali nicht kennt, mit einer Generation, die von dem allem, was nach der Revolution passierte, enttäuscht ist und die das Vertrauen in die politischen Elite verloren hat.

Auf der andere Seite der gleiche Diskurs bei der Regierung (Law and Order) gemischt mit den gleichen Versprechungen der letzten zehn Jahre: wir holen Investoren ins Land und das braucht Stabilität und Sicherheit, der gleiche Diskurs bei den Islamisten : „das Ganze ist nur ein Versuch gegen uns zu putschen“ und „das sind Verschwörungsakte gegen das Land und uns“ und „wir rufen zum nationalen Dialog“ und fast der gleiche Diskurs bei den restlichen Kräften in der traditionellen Linken: „die Islamisten sind schuld, wir brauchen Neuwahlen“ (die sie höchstwahrscheinlich verlieren werden) und ihr Versagen, die permanente soziale Bewegung zu verstehen, bei ihr anzukommen und ihr Vertrauen zu gewinnen.

Die Corona-Krise verschärft natürlich die Situation. Versuche, das ganze durch einen „nationalen Dialog“ zu beruhigen (zwischen den Parlaments-Parteien, Gewerkschaften und dem Präsidenten), haben wir schon vor ein paar Jahren erlebt. Es ist nichts als eine Flucht nach vorne.

Wohin steuert Tunesien? Drohen die demokratisch-politischen Erfolge zu scheitern, wenn keine neue Wege eingeschlagen werden? Eines ist sicher: Wahlen alleine lösen keine Probleme und ohne freien politischen Willen siegt keine Revolution.

 

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